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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Treffnazi hieß. Da thut sich einmal, als er auf der Jagd ist, ein Auerhahn
vor ihm auf und fällt auf den höchsten Ast eines Zirbelbaumes ein. Der
Schütz geht näher hin und legt an. In dem Augenblick aber guckt der Hahn
aus den Zweigen heraus und ruft: "Ihr da unten, seid Ihr nicht der Treff-
nazi?" -- "Ja wohl", sagt der, "der bin ich. Was soll's?" -- "Na", er¬
widert darauf der Vogel, "dann ist es schon gut. Ihr braucht nicht zu
schießen; ich komme schon von selber hinunter." Auch diese und ähnliche
Jagdgeschichten, die in unsern Witzblättern als neu aufgetischt werden, sehen
stark wie modernistrte Ueberlieferungen aus alter Zeit -- der Zeit aus, wo
"die Elbe brannte und die Bauern herbeikamen, um sie mit Strohwischen
zu löschen".

Echte Producte des deutschen Volkshumors sind endlich die Anekdoten,
Histörchen und Schwänke, die seit der Erfindung der Buchdruckerkunst die
beliebteste geistige Speise der untern Stände bildeten. Die Sammlung und
Bearbeitung derselben erfolgte zwar meist durch gelehrte Hände, auch ist ein
Theil der Geschichtchen aus romanischen Nachbarländern, aus dem westlichen
Orient, vielleicht selbst aus dem fernen Osten eingewandert. Aber jene
Sammler stellten nur zusammen oder häuften nur auf einen Ort, was schon
lange da oder dort im Volksmunde war, oder von verschiedenen Personen oder
Orten erzählt wurde, und jene Fremdlinge hatten sich rasch so eingebürgert,
daß sie so wenig mehr als Ausländer zu erkennen waren, wie Kreuz, Kelch
und Kirche und andere Worte, die aus Italien und Griechenland stammten.

Die ältesten Erzeugnisse dieser Art Volkspoesie finden wir in Oesterreich.
Hier begegnen wir im vierzehnten Jahrhundert zunächst dem "Pfaffen Amis",
der, nachdem er von seiner Tugend nur Nachtheil gehabt hat, den Entschluß
faßt, fortan lediglich seiner Klugheit nachzuleben, und der, bis dahin ein
ruhiger seßhafter Mann gewesen, von jetzt ab ein Herumtreiber wird, welcher,
bald als Reliquienhändler,, bald als Maler, bald als Kaufmann von Eng¬
land bis nach Konstantinopel hinab an Hoch und Niedrig, Klug und Ein¬
fältig allerlei Schalksstreiche, Prellereien und Täuschungen verübt. Wir
treffen hier ferner den "Neidhart", der unter Otto dem Fröhlichen den Bauern
mit allerhand Schimpf und Schabernack zusetzt. Ein dritter österreichischer
Narr ist der "Pfaff von Kalenberg", der alle Welt, selbst seine Vorgesetzten,
ja zuletzt sogar den Fürsten, dessen lustiger Rath er geworden ist, sehr un¬
säuberlich vexirt. Er betrügt seine Bauern, die ihn übers Ohr hauen wollen,
er prellt seine Tagelöhner, die ihn zu täuschen beabsichtigen, er disputirt glück¬
lich mit seinen Amtsgenossen, er entweiht seinen Altar in cynischer Weise,
heizt mit heiligen Bildern ein, macht seinen halbblinden Bischof durch ein
hübsches Mädchen doppelt sehend u. tgi. in.. was sich nicht näher bezeichnen
läßt. Die schwanke dieser drei Narren sind fast immer schamlos und plump,


Treffnazi hieß. Da thut sich einmal, als er auf der Jagd ist, ein Auerhahn
vor ihm auf und fällt auf den höchsten Ast eines Zirbelbaumes ein. Der
Schütz geht näher hin und legt an. In dem Augenblick aber guckt der Hahn
aus den Zweigen heraus und ruft: „Ihr da unten, seid Ihr nicht der Treff-
nazi?" — „Ja wohl", sagt der, „der bin ich. Was soll's?" — „Na", er¬
widert darauf der Vogel, „dann ist es schon gut. Ihr braucht nicht zu
schießen; ich komme schon von selber hinunter." Auch diese und ähnliche
Jagdgeschichten, die in unsern Witzblättern als neu aufgetischt werden, sehen
stark wie modernistrte Ueberlieferungen aus alter Zeit — der Zeit aus, wo
„die Elbe brannte und die Bauern herbeikamen, um sie mit Strohwischen
zu löschen".

Echte Producte des deutschen Volkshumors sind endlich die Anekdoten,
Histörchen und Schwänke, die seit der Erfindung der Buchdruckerkunst die
beliebteste geistige Speise der untern Stände bildeten. Die Sammlung und
Bearbeitung derselben erfolgte zwar meist durch gelehrte Hände, auch ist ein
Theil der Geschichtchen aus romanischen Nachbarländern, aus dem westlichen
Orient, vielleicht selbst aus dem fernen Osten eingewandert. Aber jene
Sammler stellten nur zusammen oder häuften nur auf einen Ort, was schon
lange da oder dort im Volksmunde war, oder von verschiedenen Personen oder
Orten erzählt wurde, und jene Fremdlinge hatten sich rasch so eingebürgert,
daß sie so wenig mehr als Ausländer zu erkennen waren, wie Kreuz, Kelch
und Kirche und andere Worte, die aus Italien und Griechenland stammten.

Die ältesten Erzeugnisse dieser Art Volkspoesie finden wir in Oesterreich.
Hier begegnen wir im vierzehnten Jahrhundert zunächst dem „Pfaffen Amis",
der, nachdem er von seiner Tugend nur Nachtheil gehabt hat, den Entschluß
faßt, fortan lediglich seiner Klugheit nachzuleben, und der, bis dahin ein
ruhiger seßhafter Mann gewesen, von jetzt ab ein Herumtreiber wird, welcher,
bald als Reliquienhändler,, bald als Maler, bald als Kaufmann von Eng¬
land bis nach Konstantinopel hinab an Hoch und Niedrig, Klug und Ein¬
fältig allerlei Schalksstreiche, Prellereien und Täuschungen verübt. Wir
treffen hier ferner den „Neidhart", der unter Otto dem Fröhlichen den Bauern
mit allerhand Schimpf und Schabernack zusetzt. Ein dritter österreichischer
Narr ist der „Pfaff von Kalenberg", der alle Welt, selbst seine Vorgesetzten,
ja zuletzt sogar den Fürsten, dessen lustiger Rath er geworden ist, sehr un¬
säuberlich vexirt. Er betrügt seine Bauern, die ihn übers Ohr hauen wollen,
er prellt seine Tagelöhner, die ihn zu täuschen beabsichtigen, er disputirt glück¬
lich mit seinen Amtsgenossen, er entweiht seinen Altar in cynischer Weise,
heizt mit heiligen Bildern ein, macht seinen halbblinden Bischof durch ein
hübsches Mädchen doppelt sehend u. tgi. in.. was sich nicht näher bezeichnen
läßt. Die schwanke dieser drei Narren sind fast immer schamlos und plump,


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[0306] Treffnazi hieß. Da thut sich einmal, als er auf der Jagd ist, ein Auerhahn vor ihm auf und fällt auf den höchsten Ast eines Zirbelbaumes ein. Der Schütz geht näher hin und legt an. In dem Augenblick aber guckt der Hahn aus den Zweigen heraus und ruft: „Ihr da unten, seid Ihr nicht der Treff- nazi?" — „Ja wohl", sagt der, „der bin ich. Was soll's?" — „Na", er¬ widert darauf der Vogel, „dann ist es schon gut. Ihr braucht nicht zu schießen; ich komme schon von selber hinunter." Auch diese und ähnliche Jagdgeschichten, die in unsern Witzblättern als neu aufgetischt werden, sehen stark wie modernistrte Ueberlieferungen aus alter Zeit — der Zeit aus, wo „die Elbe brannte und die Bauern herbeikamen, um sie mit Strohwischen zu löschen". Echte Producte des deutschen Volkshumors sind endlich die Anekdoten, Histörchen und Schwänke, die seit der Erfindung der Buchdruckerkunst die beliebteste geistige Speise der untern Stände bildeten. Die Sammlung und Bearbeitung derselben erfolgte zwar meist durch gelehrte Hände, auch ist ein Theil der Geschichtchen aus romanischen Nachbarländern, aus dem westlichen Orient, vielleicht selbst aus dem fernen Osten eingewandert. Aber jene Sammler stellten nur zusammen oder häuften nur auf einen Ort, was schon lange da oder dort im Volksmunde war, oder von verschiedenen Personen oder Orten erzählt wurde, und jene Fremdlinge hatten sich rasch so eingebürgert, daß sie so wenig mehr als Ausländer zu erkennen waren, wie Kreuz, Kelch und Kirche und andere Worte, die aus Italien und Griechenland stammten. Die ältesten Erzeugnisse dieser Art Volkspoesie finden wir in Oesterreich. Hier begegnen wir im vierzehnten Jahrhundert zunächst dem „Pfaffen Amis", der, nachdem er von seiner Tugend nur Nachtheil gehabt hat, den Entschluß faßt, fortan lediglich seiner Klugheit nachzuleben, und der, bis dahin ein ruhiger seßhafter Mann gewesen, von jetzt ab ein Herumtreiber wird, welcher, bald als Reliquienhändler,, bald als Maler, bald als Kaufmann von Eng¬ land bis nach Konstantinopel hinab an Hoch und Niedrig, Klug und Ein¬ fältig allerlei Schalksstreiche, Prellereien und Täuschungen verübt. Wir treffen hier ferner den „Neidhart", der unter Otto dem Fröhlichen den Bauern mit allerhand Schimpf und Schabernack zusetzt. Ein dritter österreichischer Narr ist der „Pfaff von Kalenberg", der alle Welt, selbst seine Vorgesetzten, ja zuletzt sogar den Fürsten, dessen lustiger Rath er geworden ist, sehr un¬ säuberlich vexirt. Er betrügt seine Bauern, die ihn übers Ohr hauen wollen, er prellt seine Tagelöhner, die ihn zu täuschen beabsichtigen, er disputirt glück¬ lich mit seinen Amtsgenossen, er entweiht seinen Altar in cynischer Weise, heizt mit heiligen Bildern ein, macht seinen halbblinden Bischof durch ein hübsches Mädchen doppelt sehend u. tgi. in.. was sich nicht näher bezeichnen läßt. Die schwanke dieser drei Narren sind fast immer schamlos und plump,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/306>, abgerufen am 27.09.2024.