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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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In denselben Kreis gehören die Lügenmärchen, die in den Spinnstuben
erzählt werden, die Geschichten von dem dummen Jungen, der von seiner
Mutter mit landwirthschaftlichen Erzeugnissen zu Markte geschickt wird, den
Auftrag, den er bei jeder Sendung bekommt, stets falsch versteht, die Butter
auf den Weg streicht, um sich ihn zu kühlen, die quakenden Frösche mit Quark
füttert u. f. w.; die Erzählung von einem dummen Hans, der durch stets
unvortheilhaftes Täuschen für das Pferd, mit dem er ausgeritten, zuletzt einen
Schleifstein erwirbt, der ihm in den Brunnen fällt; die Historie von dem
Müller, der seine dumme Frau mit der Drohung verläßt, nur wiederkommen
Zu wollen, wenn er eine noch dümmere treffe, und diese dann in einer Gräfin
findet, welcher er weiß macht, er sei vom Himmel gefallen, wo ihr Mann sich
in Noth befinde, und die ihn darauf mit Geld und Kleidern für diesen ver¬
steht, endlich eine Anzahl von Geschichten, in denen Leute durch ihre Dumm¬
heit ihr Glück machen.

Ferner ist hier des Liedes von Doctor Eisenbart und seinen Wunder¬
baren, mit denen er die Lahmen sehend und die Blinden gehend macht, der
Münchhaustaden und der Jägerlügen zu gedenken. Wenn der freiherrliche
Nahrheitsfreund uns erzählt, wie er mit einem Ladestock eine ganze Kette
Rebhühner aus einen Schuß erlegt, wie er sein Gewehr, als ihm der Stein
"us dem Hahn gesprungen, dadurch zum Losgehen bringt, daß er sich durch
eine derbe Ohrfeige Funken aus den Augen auf die Pfanne schlägt, wie er
einen Fuchs, den er durch einen Schuß mit einem Bretnagel an einen Baum
geheftet hat, durch kräftige Hiebe aus seiner Haut zu fahren zwingt, wenn
Mr sein Windspiel sehen, welches so eifrig dem Hasen nachsetzt, daß es sich
endlich die Beine abgelaufen hat und nur noch als Dachssucher zu brauchen
ist, oder wenn wir uns sein Abenteuer mit dem Hirsche betrachten, dem er in
Ermangelung von Kugeln eine Ladung Kirschkerne zwischen die Geweihe ge¬
schossen hat, und dem er später mit einem reise Kirschen tragenden Bäumchen
auf dem Kopfe begegnet, so stehen mehrere von diesen Wundern schon in
Kirchhof's "Wendeunmuth" oder in Bebel's "Facetiae", waren also bestimmt
schon den Deutschen des sechzehnten Jahrhunderts bekannt, vermuthlich aber
schon früheren Geschlechtern. Das "Jägerbrevier" berichtet: War einmal
^mer im Walde, um Wildpret zu schießen. Da begegnete ihm ein großes
Schwein, das, vor Alter blind geworden, sich von einem Frischling in der
Neise führen ließ, daß es dessen Schwänzchen im Maule hielt. Der Jäger
besann sich nicht lange, er schoß den Frischling nieder, schnitt ihm den Schwanz
Hintern ab und führte daran das Alte gelassen auf den Markt, worauf
°r umkehrte, um sich auch das Junge zu holen. Dasselbe Buch berichtet:
>M Tirol gab es einen Schützen, der so gutes Glück hatte, daß er oft schon
^af, bevor er abgeschossen, und der deshalb in der ganzen Gegend nur der


Grenzboten I. 187". 38

In denselben Kreis gehören die Lügenmärchen, die in den Spinnstuben
erzählt werden, die Geschichten von dem dummen Jungen, der von seiner
Mutter mit landwirthschaftlichen Erzeugnissen zu Markte geschickt wird, den
Auftrag, den er bei jeder Sendung bekommt, stets falsch versteht, die Butter
auf den Weg streicht, um sich ihn zu kühlen, die quakenden Frösche mit Quark
füttert u. f. w.; die Erzählung von einem dummen Hans, der durch stets
unvortheilhaftes Täuschen für das Pferd, mit dem er ausgeritten, zuletzt einen
Schleifstein erwirbt, der ihm in den Brunnen fällt; die Historie von dem
Müller, der seine dumme Frau mit der Drohung verläßt, nur wiederkommen
Zu wollen, wenn er eine noch dümmere treffe, und diese dann in einer Gräfin
findet, welcher er weiß macht, er sei vom Himmel gefallen, wo ihr Mann sich
in Noth befinde, und die ihn darauf mit Geld und Kleidern für diesen ver¬
steht, endlich eine Anzahl von Geschichten, in denen Leute durch ihre Dumm¬
heit ihr Glück machen.

Ferner ist hier des Liedes von Doctor Eisenbart und seinen Wunder¬
baren, mit denen er die Lahmen sehend und die Blinden gehend macht, der
Münchhaustaden und der Jägerlügen zu gedenken. Wenn der freiherrliche
Nahrheitsfreund uns erzählt, wie er mit einem Ladestock eine ganze Kette
Rebhühner aus einen Schuß erlegt, wie er sein Gewehr, als ihm der Stein
"us dem Hahn gesprungen, dadurch zum Losgehen bringt, daß er sich durch
eine derbe Ohrfeige Funken aus den Augen auf die Pfanne schlägt, wie er
einen Fuchs, den er durch einen Schuß mit einem Bretnagel an einen Baum
geheftet hat, durch kräftige Hiebe aus seiner Haut zu fahren zwingt, wenn
Mr sein Windspiel sehen, welches so eifrig dem Hasen nachsetzt, daß es sich
endlich die Beine abgelaufen hat und nur noch als Dachssucher zu brauchen
ist, oder wenn wir uns sein Abenteuer mit dem Hirsche betrachten, dem er in
Ermangelung von Kugeln eine Ladung Kirschkerne zwischen die Geweihe ge¬
schossen hat, und dem er später mit einem reise Kirschen tragenden Bäumchen
auf dem Kopfe begegnet, so stehen mehrere von diesen Wundern schon in
Kirchhof's „Wendeunmuth" oder in Bebel's „Facetiae", waren also bestimmt
schon den Deutschen des sechzehnten Jahrhunderts bekannt, vermuthlich aber
schon früheren Geschlechtern. Das „Jägerbrevier" berichtet: War einmal
^mer im Walde, um Wildpret zu schießen. Da begegnete ihm ein großes
Schwein, das, vor Alter blind geworden, sich von einem Frischling in der
Neise führen ließ, daß es dessen Schwänzchen im Maule hielt. Der Jäger
besann sich nicht lange, er schoß den Frischling nieder, schnitt ihm den Schwanz
Hintern ab und führte daran das Alte gelassen auf den Markt, worauf
°r umkehrte, um sich auch das Junge zu holen. Dasselbe Buch berichtet:
>M Tirol gab es einen Schützen, der so gutes Glück hatte, daß er oft schon
^af, bevor er abgeschossen, und der deshalb in der ganzen Gegend nur der


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[0305] In denselben Kreis gehören die Lügenmärchen, die in den Spinnstuben erzählt werden, die Geschichten von dem dummen Jungen, der von seiner Mutter mit landwirthschaftlichen Erzeugnissen zu Markte geschickt wird, den Auftrag, den er bei jeder Sendung bekommt, stets falsch versteht, die Butter auf den Weg streicht, um sich ihn zu kühlen, die quakenden Frösche mit Quark füttert u. f. w.; die Erzählung von einem dummen Hans, der durch stets unvortheilhaftes Täuschen für das Pferd, mit dem er ausgeritten, zuletzt einen Schleifstein erwirbt, der ihm in den Brunnen fällt; die Historie von dem Müller, der seine dumme Frau mit der Drohung verläßt, nur wiederkommen Zu wollen, wenn er eine noch dümmere treffe, und diese dann in einer Gräfin findet, welcher er weiß macht, er sei vom Himmel gefallen, wo ihr Mann sich in Noth befinde, und die ihn darauf mit Geld und Kleidern für diesen ver¬ steht, endlich eine Anzahl von Geschichten, in denen Leute durch ihre Dumm¬ heit ihr Glück machen. Ferner ist hier des Liedes von Doctor Eisenbart und seinen Wunder¬ baren, mit denen er die Lahmen sehend und die Blinden gehend macht, der Münchhaustaden und der Jägerlügen zu gedenken. Wenn der freiherrliche Nahrheitsfreund uns erzählt, wie er mit einem Ladestock eine ganze Kette Rebhühner aus einen Schuß erlegt, wie er sein Gewehr, als ihm der Stein "us dem Hahn gesprungen, dadurch zum Losgehen bringt, daß er sich durch eine derbe Ohrfeige Funken aus den Augen auf die Pfanne schlägt, wie er einen Fuchs, den er durch einen Schuß mit einem Bretnagel an einen Baum geheftet hat, durch kräftige Hiebe aus seiner Haut zu fahren zwingt, wenn Mr sein Windspiel sehen, welches so eifrig dem Hasen nachsetzt, daß es sich endlich die Beine abgelaufen hat und nur noch als Dachssucher zu brauchen ist, oder wenn wir uns sein Abenteuer mit dem Hirsche betrachten, dem er in Ermangelung von Kugeln eine Ladung Kirschkerne zwischen die Geweihe ge¬ schossen hat, und dem er später mit einem reise Kirschen tragenden Bäumchen auf dem Kopfe begegnet, so stehen mehrere von diesen Wundern schon in Kirchhof's „Wendeunmuth" oder in Bebel's „Facetiae", waren also bestimmt schon den Deutschen des sechzehnten Jahrhunderts bekannt, vermuthlich aber schon früheren Geschlechtern. Das „Jägerbrevier" berichtet: War einmal ^mer im Walde, um Wildpret zu schießen. Da begegnete ihm ein großes Schwein, das, vor Alter blind geworden, sich von einem Frischling in der Neise führen ließ, daß es dessen Schwänzchen im Maule hielt. Der Jäger besann sich nicht lange, er schoß den Frischling nieder, schnitt ihm den Schwanz Hintern ab und führte daran das Alte gelassen auf den Markt, worauf °r umkehrte, um sich auch das Junge zu holen. Dasselbe Buch berichtet: >M Tirol gab es einen Schützen, der so gutes Glück hatte, daß er oft schon ^af, bevor er abgeschossen, und der deshalb in der ganzen Gegend nur der Grenzboten I. 187«. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/305>, abgerufen am 27.09.2024.