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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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in der Urzeit erfreuten, welches aber seit dem vierzehnten Jahrhundert be¬
sonders gepflegt wurde. Wir denken dabei an Räthsel wie: "Was machen
die zwölf Apostel im Himmel?" -- "Ein Dutzend", oder: "Warum macht
der Hahn, wenn er kräht, die Augen zu?" -- "Weil er's auswendig kann",
oder: "Was ist zwischen Himmel und Erde?" -- "Das Wörtchen und",
oder: "Wer geht auf dem Kopf in die Kirche?" -- "Der Schuhnägel", oder:
"Welches ist das theuerste Wasser?" -- "Das, welches der Wirth in den Wein
und der Advocat in die Tinte schüttet." Noch deutlicher tritt die Verwandt¬
schaft hervor bei dem sächsischen Kinderräthsel:


"Kaiser Karolus hatte einen Hund,
Wie Du hieß der Hund,
Also wie hieß Kaiser Karolus' sein Hund?"

Sagt der Gefragte seinen eignen Namen, so erwidert man ihm: Nein,
Wiedu hieß er. Antwortet er: Wiedu. so entgegnet der Fragende: Falsch,
er hieß Hinz oder Kunz oder wie der Gefragte sonst getauft ist.

Zu derselben Betternschaft rechnen sich gewisse Abfertigungen von Fragen,
die man nicht beantworten kann oder will. Kindern, die gern wüßten, was
es diesen Mittag zu essen giebt, erwidert die Mutter: "Kapern mit langen
Schwänzen", wohl auch: "Junge Hunde mit Schwanzperücken", oder: "Ein¬
gemachte Kellerstufen." Fragen sie nach, wo dieß oder das sich befinde, der
oder Jener hin sei, so sagt man in jenem Falle: "In Trippstrille, wo die
Pfütze über die Weide hängt", oder: "In der Pelzmühle, wo die alten Weiber
jung gemacht werden", in plattdeutsch redenden Gegenden auch: "In Htmp-
hamp" oder "Im Obskroog."

Weitere Gaben des alten Volkshumors sind die Lügenlieder, in denen
die gebratnen Hühner, den Bauch dem Himmel, den Rücken der Hölle zuge¬
kehrt, umherfliegen, ein Ambos und ein Mühlstein mit einander über den
Rhein schwimmen, ein Frosch im Sommer auf dem Eise eine glühende Pflug-
schaar frißt, Leute einen Berg hinaufsegeln und oben ertrinken, und wo es
dann weiter heißt:

"Je wölben dre Kerls einen Hasen fangen,
Se quemen up Kröten und Stollen gangen,
De Eine, de konnt "ich hören
De Ander was blind, de Drüdde stumm
De Veerde konnte "ich en Fol rören.
Nu will ik ju singen, wo (wie) it geschach:
De Blinde alterst den Hasen sach
All aver dat Feld herdraven,
De Stumme sprat den Lahmen to,
De treg en bi den Kragen."

in der Urzeit erfreuten, welches aber seit dem vierzehnten Jahrhundert be¬
sonders gepflegt wurde. Wir denken dabei an Räthsel wie: „Was machen
die zwölf Apostel im Himmel?" — „Ein Dutzend", oder: „Warum macht
der Hahn, wenn er kräht, die Augen zu?" — „Weil er's auswendig kann",
oder: „Was ist zwischen Himmel und Erde?" — „Das Wörtchen und",
oder: „Wer geht auf dem Kopf in die Kirche?" — „Der Schuhnägel", oder:
„Welches ist das theuerste Wasser?" — „Das, welches der Wirth in den Wein
und der Advocat in die Tinte schüttet." Noch deutlicher tritt die Verwandt¬
schaft hervor bei dem sächsischen Kinderräthsel:


„Kaiser Karolus hatte einen Hund,
Wie Du hieß der Hund,
Also wie hieß Kaiser Karolus' sein Hund?"

Sagt der Gefragte seinen eignen Namen, so erwidert man ihm: Nein,
Wiedu hieß er. Antwortet er: Wiedu. so entgegnet der Fragende: Falsch,
er hieß Hinz oder Kunz oder wie der Gefragte sonst getauft ist.

Zu derselben Betternschaft rechnen sich gewisse Abfertigungen von Fragen,
die man nicht beantworten kann oder will. Kindern, die gern wüßten, was
es diesen Mittag zu essen giebt, erwidert die Mutter: „Kapern mit langen
Schwänzen", wohl auch: „Junge Hunde mit Schwanzperücken", oder: „Ein¬
gemachte Kellerstufen." Fragen sie nach, wo dieß oder das sich befinde, der
oder Jener hin sei, so sagt man in jenem Falle: „In Trippstrille, wo die
Pfütze über die Weide hängt", oder: „In der Pelzmühle, wo die alten Weiber
jung gemacht werden", in plattdeutsch redenden Gegenden auch: „In Htmp-
hamp" oder „Im Obskroog."

Weitere Gaben des alten Volkshumors sind die Lügenlieder, in denen
die gebratnen Hühner, den Bauch dem Himmel, den Rücken der Hölle zuge¬
kehrt, umherfliegen, ein Ambos und ein Mühlstein mit einander über den
Rhein schwimmen, ein Frosch im Sommer auf dem Eise eine glühende Pflug-
schaar frißt, Leute einen Berg hinaufsegeln und oben ertrinken, und wo es
dann weiter heißt:

„Je wölben dre Kerls einen Hasen fangen,
Se quemen up Kröten und Stollen gangen,
De Eine, de konnt «ich hören
De Ander was blind, de Drüdde stumm
De Veerde konnte »ich en Fol rören.
Nu will ik ju singen, wo (wie) it geschach:
De Blinde alterst den Hasen sach
All aver dat Feld herdraven,
De Stumme sprat den Lahmen to,
De treg en bi den Kragen."

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[0304] in der Urzeit erfreuten, welches aber seit dem vierzehnten Jahrhundert be¬ sonders gepflegt wurde. Wir denken dabei an Räthsel wie: „Was machen die zwölf Apostel im Himmel?" — „Ein Dutzend", oder: „Warum macht der Hahn, wenn er kräht, die Augen zu?" — „Weil er's auswendig kann", oder: „Was ist zwischen Himmel und Erde?" — „Das Wörtchen und", oder: „Wer geht auf dem Kopf in die Kirche?" — „Der Schuhnägel", oder: „Welches ist das theuerste Wasser?" — „Das, welches der Wirth in den Wein und der Advocat in die Tinte schüttet." Noch deutlicher tritt die Verwandt¬ schaft hervor bei dem sächsischen Kinderräthsel: „Kaiser Karolus hatte einen Hund, Wie Du hieß der Hund, Also wie hieß Kaiser Karolus' sein Hund?" Sagt der Gefragte seinen eignen Namen, so erwidert man ihm: Nein, Wiedu hieß er. Antwortet er: Wiedu. so entgegnet der Fragende: Falsch, er hieß Hinz oder Kunz oder wie der Gefragte sonst getauft ist. Zu derselben Betternschaft rechnen sich gewisse Abfertigungen von Fragen, die man nicht beantworten kann oder will. Kindern, die gern wüßten, was es diesen Mittag zu essen giebt, erwidert die Mutter: „Kapern mit langen Schwänzen", wohl auch: „Junge Hunde mit Schwanzperücken", oder: „Ein¬ gemachte Kellerstufen." Fragen sie nach, wo dieß oder das sich befinde, der oder Jener hin sei, so sagt man in jenem Falle: „In Trippstrille, wo die Pfütze über die Weide hängt", oder: „In der Pelzmühle, wo die alten Weiber jung gemacht werden", in plattdeutsch redenden Gegenden auch: „In Htmp- hamp" oder „Im Obskroog." Weitere Gaben des alten Volkshumors sind die Lügenlieder, in denen die gebratnen Hühner, den Bauch dem Himmel, den Rücken der Hölle zuge¬ kehrt, umherfliegen, ein Ambos und ein Mühlstein mit einander über den Rhein schwimmen, ein Frosch im Sommer auf dem Eise eine glühende Pflug- schaar frißt, Leute einen Berg hinaufsegeln und oben ertrinken, und wo es dann weiter heißt: „Je wölben dre Kerls einen Hasen fangen, Se quemen up Kröten und Stollen gangen, De Eine, de konnt «ich hören De Ander was blind, de Drüdde stumm De Veerde konnte »ich en Fol rören. Nu will ik ju singen, wo (wie) it geschach: De Blinde alterst den Hasen sach All aver dat Feld herdraven, De Stumme sprat den Lahmen to, De treg en bi den Kragen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/304>, abgerufen am 27.09.2024.