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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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lang vor dem wehrhaften Neuß. "Durch Großsprecherei hatte er seine Ehre
an die Eroberung der Stadt gesetzt." Nun aber zog der deutsche Kaiser mit
dem Reichsheere zum Entsatz von Neuß heran. Schon im August 1474 war
das Aufgebot an die Stände ergangen, sich bei Verlust aller Gnaden und
Freiheiten wehrlich gerüstet bei Koblenz ins Feld zu stellen; im Januar 1475
gebot der Kaiser noch einmal den säumigen Ständen bet schwerer Pön "vor
Ostern mit dem vierten Theile aller Mannspersonen aus Stadt und Land
und aller Enden" bei ihm im Felde zu erscheinen. Am 11. Mai, zu Pfingsten,
brach dann endlich das versammelte Heer langsam und bedächtig von Köln
auf. Die Stärke desselben wurde auf 80,000 M. angeschlagen; aber nach
der Angabe seines Feldhauptmanns, des Kurfürsten Albrecht Achilles von
Brandenburg, soll es thatsächlich nur 20.000 M. mit 4000 gerüsteten Pferden
stark gewesen sein. -- Das Heer harrte noch auf Zuzug; es wollte am 23.
Mai an der Erst eine Wagenburg aufschlagen; "der alte Ehrenstreit zwischen
den Schaaren der Franken und Schwaben wegen Se. Georg's Fahne war
eben vom Kaiser dahin verglichen, daß sie mit Führung und Besetzung
desselben von Tag zu Tag abwechselten; die Ritter hatten abgesattelt und
man dachte, sich zu "vergraben" (d. h. sich zu verschanzen), als Karl der Kühne
oder wie der Chronist ihn nennt, der "Kühne borstig" sein Lager vor Neuß
verließ und auf das ungtwarnte Reichsheer mit auserlesenen Rittern und
"viel Schlangen und Steinbüchsen" daherstürmte. Obgleich der Heeresoberste,
Kurfürst Albrecht, nicht zugegen war und das Fußvolk, wie in trauriger
Erinnerung an die Hussitenkriege, in merklicher Masse davonlief, ehe es zum
Schlagen kam, so leistete doch die Mehrzahl des Heeres wackeren Widerstand
und warf den Angriff der Burgunder zurück.*) Nun ging der Kaiser weiter
vor und bezog gegenüber dem Herzoge ebenfalls vor Neuß das Lager, so
nah, daß man sich von den Lagerwällen beschoß und mehre Kugeln in des
Kaisers Zelt und Wagen fielen. Selten aber kam es zu Gefechten; nur die
tapferen Münsterländer rauften gelegentlich mit den.Pikarden; daher man
sagte, Bischof Heinrich von Münster, nicht Albrecht von Brandenburg, sei der
wahre Achilles des Lagers. -- Inzwischen kam es zu Frtedensverhandlungen:
Karl's des Kühnen Bundesgenosse, König Eduard IV. von England, landete
nämlich im Juli mit einem wohlgerüsteten Heere zu Calais, und seinen Vor¬
stellungen wie der Vermittelung des Papstes gelang es zuletzt, den Herzog
zu vermögen, die Belagerung aufzuheben. Damit war hier, wie der Legat
sich ausdrückte, weiteres "Christenblutvergießen" gehindert. Der Herzog ge¬
lobte, ohne Kampf abzuziehn, und der Kaiser versprach, ihm nicht zu folgen,
was so viel hieß, als die Elsässer und Schweizer im Stiche lassen.



") Vergl. Barthold: Geschichte der Kriegsverfassung und des Kriegswesens der Deutschen.
Lpzg. 1855.

lang vor dem wehrhaften Neuß. „Durch Großsprecherei hatte er seine Ehre
an die Eroberung der Stadt gesetzt." Nun aber zog der deutsche Kaiser mit
dem Reichsheere zum Entsatz von Neuß heran. Schon im August 1474 war
das Aufgebot an die Stände ergangen, sich bei Verlust aller Gnaden und
Freiheiten wehrlich gerüstet bei Koblenz ins Feld zu stellen; im Januar 1475
gebot der Kaiser noch einmal den säumigen Ständen bet schwerer Pön „vor
Ostern mit dem vierten Theile aller Mannspersonen aus Stadt und Land
und aller Enden" bei ihm im Felde zu erscheinen. Am 11. Mai, zu Pfingsten,
brach dann endlich das versammelte Heer langsam und bedächtig von Köln
auf. Die Stärke desselben wurde auf 80,000 M. angeschlagen; aber nach
der Angabe seines Feldhauptmanns, des Kurfürsten Albrecht Achilles von
Brandenburg, soll es thatsächlich nur 20.000 M. mit 4000 gerüsteten Pferden
stark gewesen sein. — Das Heer harrte noch auf Zuzug; es wollte am 23.
Mai an der Erst eine Wagenburg aufschlagen; „der alte Ehrenstreit zwischen
den Schaaren der Franken und Schwaben wegen Se. Georg's Fahne war
eben vom Kaiser dahin verglichen, daß sie mit Führung und Besetzung
desselben von Tag zu Tag abwechselten; die Ritter hatten abgesattelt und
man dachte, sich zu „vergraben" (d. h. sich zu verschanzen), als Karl der Kühne
oder wie der Chronist ihn nennt, der „Kühne borstig" sein Lager vor Neuß
verließ und auf das ungtwarnte Reichsheer mit auserlesenen Rittern und
„viel Schlangen und Steinbüchsen" daherstürmte. Obgleich der Heeresoberste,
Kurfürst Albrecht, nicht zugegen war und das Fußvolk, wie in trauriger
Erinnerung an die Hussitenkriege, in merklicher Masse davonlief, ehe es zum
Schlagen kam, so leistete doch die Mehrzahl des Heeres wackeren Widerstand
und warf den Angriff der Burgunder zurück.*) Nun ging der Kaiser weiter
vor und bezog gegenüber dem Herzoge ebenfalls vor Neuß das Lager, so
nah, daß man sich von den Lagerwällen beschoß und mehre Kugeln in des
Kaisers Zelt und Wagen fielen. Selten aber kam es zu Gefechten; nur die
tapferen Münsterländer rauften gelegentlich mit den.Pikarden; daher man
sagte, Bischof Heinrich von Münster, nicht Albrecht von Brandenburg, sei der
wahre Achilles des Lagers. — Inzwischen kam es zu Frtedensverhandlungen:
Karl's des Kühnen Bundesgenosse, König Eduard IV. von England, landete
nämlich im Juli mit einem wohlgerüsteten Heere zu Calais, und seinen Vor¬
stellungen wie der Vermittelung des Papstes gelang es zuletzt, den Herzog
zu vermögen, die Belagerung aufzuheben. Damit war hier, wie der Legat
sich ausdrückte, weiteres „Christenblutvergießen" gehindert. Der Herzog ge¬
lobte, ohne Kampf abzuziehn, und der Kaiser versprach, ihm nicht zu folgen,
was so viel hieß, als die Elsässer und Schweizer im Stiche lassen.



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/28>, abgerufen am 24.08.2024.