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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Wenn wir mit dieser Erkenntniß das Verhältniß des deutschen Staates
zur römischen Kirche prüfen, so gewahren wir alsbald, daß die römische
Kirche im Begriff war, auf dem Boden des Staates der stärkere Theil zu
werden, und daß aus diesem Fortschritt der römischen Macht die Abwehr des
deutschen Staats entsprungen ist.

Wir haben Herrn Reichensperger's These von der Koordination beleuchtet.
Prüfen wir die Kritik, die er gegen die beiden Systeme der Subordination richtet.
Daß er die Theokratie nicht für empfehlenswert!) erachtet, ist eine Einsicht,
die wir gewiß anerkennen, nur mußten wir schon bezweifeln, ob er dabei im
Einklange mit dem römischen Stuhl steht. Für ebenso unmöglich, wie die
Theokratie erklärt er den Caesaropapismus. Wenn freilich die Ueberordnung
des Staates nur als Caesaropapismus zu denken wäre, möchte er mit der
Verwerfung beider Recht haben. Allein der unterrichtete Verfasser möge sich
erinnern, welch ein Sprung es ist, aus dieser Ueberordnung die Erniedrigung
der Kirche "zur Dienerin und sogar zur Polizeianstalt" herzuleiten. Im
Medoperfischen Reich waren die Sterndeuter ein herrschender Stand und ähn¬
lich die Priester in den meisten altorientalischen Staaten. In Egypten war die
Heilkunde Vorrecht und Geheimbesttz der Priester. Heute wird die Sternkunde
wie die Heilkunde auf Staatsanstalten gelehrt, sind Astronomie und Medicin
dadurch etwa schlechter geworden? Fällt es dem Staate etwa ein, die Be¬
handlung des Fiebers und die Bestimmung der Planetenbahnen vorzuschreiben?
Vielmehr der Staat accommodirt sich der Wahrheit, wie sie von Forschern
erkannt wird, deren Existenz gleichwohl von ihm abhängt. Warum soll die
Religion eines souveränen äußeren Organismus bedürfen, warum soll sie nur
durch den Besitz eines solchen frei sein, während ihn die Wissenschaft entbehrt
und nur um so freier ist?

Wir wissen nun sehr wohl, daß die römische Kirche nicht Staatsanstalt
sein kann, obwohl es die Wissenschaft sein kann, die ebenso kosmopolitisch
ist. Nur folgt diese Unmöglichkeit keineswegs aus dem Wesen der Religion
oder des Christenthums. Wir wollen aber die Nothwendigkeit des souveränen
äußeren Organismus für die römische Kirche anerkennen aus Achtung vor
den Thatsachen der Geschichte. Dann müssen aber die Freunde der römischen
Kirche eins von beiden anerkennen: entweder einen geordneten Einfluß des
Staates aus die Kirche, oder aber, wenn dieser Einfluß um keinen Preis
heute noch zulässig sein soll, das Recht der Grenzfeststellung für den Staat.
Andernfalls verlangen sie die Souveränität der Kirche über alle Staaten,
während sie von Coordination sprechen.

Wenn der Staat vergäße, daß er sich selbst der römischen Kirche über¬
liefert, falls er sich sowohl des Einflusses als der Grenzfeststellung begiebt, so
würde er daran erinnert werden durch dieselbe Forderung anderer Religions-


Grenzboten. l. 187". 34

Wenn wir mit dieser Erkenntniß das Verhältniß des deutschen Staates
zur römischen Kirche prüfen, so gewahren wir alsbald, daß die römische
Kirche im Begriff war, auf dem Boden des Staates der stärkere Theil zu
werden, und daß aus diesem Fortschritt der römischen Macht die Abwehr des
deutschen Staats entsprungen ist.

Wir haben Herrn Reichensperger's These von der Koordination beleuchtet.
Prüfen wir die Kritik, die er gegen die beiden Systeme der Subordination richtet.
Daß er die Theokratie nicht für empfehlenswert!) erachtet, ist eine Einsicht,
die wir gewiß anerkennen, nur mußten wir schon bezweifeln, ob er dabei im
Einklange mit dem römischen Stuhl steht. Für ebenso unmöglich, wie die
Theokratie erklärt er den Caesaropapismus. Wenn freilich die Ueberordnung
des Staates nur als Caesaropapismus zu denken wäre, möchte er mit der
Verwerfung beider Recht haben. Allein der unterrichtete Verfasser möge sich
erinnern, welch ein Sprung es ist, aus dieser Ueberordnung die Erniedrigung
der Kirche „zur Dienerin und sogar zur Polizeianstalt" herzuleiten. Im
Medoperfischen Reich waren die Sterndeuter ein herrschender Stand und ähn¬
lich die Priester in den meisten altorientalischen Staaten. In Egypten war die
Heilkunde Vorrecht und Geheimbesttz der Priester. Heute wird die Sternkunde
wie die Heilkunde auf Staatsanstalten gelehrt, sind Astronomie und Medicin
dadurch etwa schlechter geworden? Fällt es dem Staate etwa ein, die Be¬
handlung des Fiebers und die Bestimmung der Planetenbahnen vorzuschreiben?
Vielmehr der Staat accommodirt sich der Wahrheit, wie sie von Forschern
erkannt wird, deren Existenz gleichwohl von ihm abhängt. Warum soll die
Religion eines souveränen äußeren Organismus bedürfen, warum soll sie nur
durch den Besitz eines solchen frei sein, während ihn die Wissenschaft entbehrt
und nur um so freier ist?

Wir wissen nun sehr wohl, daß die römische Kirche nicht Staatsanstalt
sein kann, obwohl es die Wissenschaft sein kann, die ebenso kosmopolitisch
ist. Nur folgt diese Unmöglichkeit keineswegs aus dem Wesen der Religion
oder des Christenthums. Wir wollen aber die Nothwendigkeit des souveränen
äußeren Organismus für die römische Kirche anerkennen aus Achtung vor
den Thatsachen der Geschichte. Dann müssen aber die Freunde der römischen
Kirche eins von beiden anerkennen: entweder einen geordneten Einfluß des
Staates aus die Kirche, oder aber, wenn dieser Einfluß um keinen Preis
heute noch zulässig sein soll, das Recht der Grenzfeststellung für den Staat.
Andernfalls verlangen sie die Souveränität der Kirche über alle Staaten,
während sie von Coordination sprechen.

Wenn der Staat vergäße, daß er sich selbst der römischen Kirche über¬
liefert, falls er sich sowohl des Einflusses als der Grenzfeststellung begiebt, so
würde er daran erinnert werden durch dieselbe Forderung anderer Religions-


Grenzboten. l. 187». 34
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[0273] Wenn wir mit dieser Erkenntniß das Verhältniß des deutschen Staates zur römischen Kirche prüfen, so gewahren wir alsbald, daß die römische Kirche im Begriff war, auf dem Boden des Staates der stärkere Theil zu werden, und daß aus diesem Fortschritt der römischen Macht die Abwehr des deutschen Staats entsprungen ist. Wir haben Herrn Reichensperger's These von der Koordination beleuchtet. Prüfen wir die Kritik, die er gegen die beiden Systeme der Subordination richtet. Daß er die Theokratie nicht für empfehlenswert!) erachtet, ist eine Einsicht, die wir gewiß anerkennen, nur mußten wir schon bezweifeln, ob er dabei im Einklange mit dem römischen Stuhl steht. Für ebenso unmöglich, wie die Theokratie erklärt er den Caesaropapismus. Wenn freilich die Ueberordnung des Staates nur als Caesaropapismus zu denken wäre, möchte er mit der Verwerfung beider Recht haben. Allein der unterrichtete Verfasser möge sich erinnern, welch ein Sprung es ist, aus dieser Ueberordnung die Erniedrigung der Kirche „zur Dienerin und sogar zur Polizeianstalt" herzuleiten. Im Medoperfischen Reich waren die Sterndeuter ein herrschender Stand und ähn¬ lich die Priester in den meisten altorientalischen Staaten. In Egypten war die Heilkunde Vorrecht und Geheimbesttz der Priester. Heute wird die Sternkunde wie die Heilkunde auf Staatsanstalten gelehrt, sind Astronomie und Medicin dadurch etwa schlechter geworden? Fällt es dem Staate etwa ein, die Be¬ handlung des Fiebers und die Bestimmung der Planetenbahnen vorzuschreiben? Vielmehr der Staat accommodirt sich der Wahrheit, wie sie von Forschern erkannt wird, deren Existenz gleichwohl von ihm abhängt. Warum soll die Religion eines souveränen äußeren Organismus bedürfen, warum soll sie nur durch den Besitz eines solchen frei sein, während ihn die Wissenschaft entbehrt und nur um so freier ist? Wir wissen nun sehr wohl, daß die römische Kirche nicht Staatsanstalt sein kann, obwohl es die Wissenschaft sein kann, die ebenso kosmopolitisch ist. Nur folgt diese Unmöglichkeit keineswegs aus dem Wesen der Religion oder des Christenthums. Wir wollen aber die Nothwendigkeit des souveränen äußeren Organismus für die römische Kirche anerkennen aus Achtung vor den Thatsachen der Geschichte. Dann müssen aber die Freunde der römischen Kirche eins von beiden anerkennen: entweder einen geordneten Einfluß des Staates aus die Kirche, oder aber, wenn dieser Einfluß um keinen Preis heute noch zulässig sein soll, das Recht der Grenzfeststellung für den Staat. Andernfalls verlangen sie die Souveränität der Kirche über alle Staaten, während sie von Coordination sprechen. Wenn der Staat vergäße, daß er sich selbst der römischen Kirche über¬ liefert, falls er sich sowohl des Einflusses als der Grenzfeststellung begiebt, so würde er daran erinnert werden durch dieselbe Forderung anderer Religions- Grenzboten. l. 187». 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/273>, abgerufen am 25.08.2024.