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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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benssatz nicht zu einer staatsgefährlichen Institution werden könne. Auf diese
Weise könnte jemand behaupten: weil die Nothwendigkeit des Duells bisher
als persönliche Ueberzeugung festgehalten werden konnte und weil dasselbe
thatsächlich vielfach geübt ward, so könne es auch durch Gesetz obligatorisch
eingeführt werden ohne den Charakter einer staatsgefährlichen Institution
anzunehmen. Der Papst, an dessen Unfehlbarkeit fortan alle Katholiken
verbunden sind zu glauben, ist gewiß ein anderer, als der, dessen Unfehl¬
barkeit eine vielfach bestrittene Lehrmeinung anzunehmen nicht gebieten konnte.

Herr Reichensperger widerlegt sodann die ofstciell und nichtofficiell hin
und wieder gegebene Darlegung von dem Ursprung des Kulturkampfes:
nämlich als sei der Kampf veranlaßt durch die Anträge des Centrums im
deutschen Reichstage auf Herübernahme der die kirchliche Selbständigkeit ver¬
bürgender Artikel aus der preußischen in die deutsche Verfassung, durch den
Widerspruch des Centrums gegen einen die Nichtinterventionstheorie aus¬
sprechenden Passus der ersten Reichstagsadresse, durch die bloße Thatsache
des Auftretens einer katholischen Fraction. In der That ist diese Darlegung
so oberflächlich, heftet sich so sehr an Zufälle und Aeußerlichkeiten, daß, wer
sich die Mühe der Widerlegung nehmen will, leichtes Spiel hat. Wir haben
an dieser Widerlegung nichts zu widerlegen. Aber glaubt Herr Reichen¬
sperger im Ernst, nun bewiesen zu haben, daß der Anlaß zum Kulturkampf
nicht von der katholischen Seite ausgegangen sei?

Herr Reichensperger scheint dies doch nicht zu glauben, er wendet sich
von selbst zu den Gefahren, welche das bisherige Verhalten des deutschen
Staates gegen die römische Kirche sowohl diesem Staat selbst als dem Pro¬
testantismus gebracht hat, oder nach Herrn Reichensperger allerdings nur
gebracht haben soll. Um zu entscheiden, ob die römische Kirche den deutschen
Staat gefährdet habe, muß man vor allem wissen, wie das normale Ver¬
hältniß zwischen Staat und Kirche zu denken ist. Herr Reichensperger erhält
hier Veranlassung, den Haupt- und Mittelpunkt seiner positiven Anschauung
vorzutragen. Er verwirft die beiden Systeme, das der Ueberordnung der
Kirche über den Staat und ebenso das der Ueberordnung des Staates über
die Kirche und erklärt für grundsätzlich allein berechtigt das System der
Nebenordnung der beiden großen Gewalten zu gleichem Recht innerhalb der
einer jeden Gewalt eigenthümlichen Lebenssphäre. Das theokratische wie das
caesaropapistische System sei gleich unmöglich geworden, insofern die Voraus¬
setzungen beider längst nicht mehr bestehen.

Hier müssen wir Herrn Reichensperger vor allem fragen, ob das System
der Nebenordnung von Staat und Kirche zu gleichem Recht in verschiedenen
Sphären jemals von der römischen Kirche angenommen und zugelassen werden
kann. Die gebildete Welt weiß nicht anders, als daß die römische Kirche


benssatz nicht zu einer staatsgefährlichen Institution werden könne. Auf diese
Weise könnte jemand behaupten: weil die Nothwendigkeit des Duells bisher
als persönliche Ueberzeugung festgehalten werden konnte und weil dasselbe
thatsächlich vielfach geübt ward, so könne es auch durch Gesetz obligatorisch
eingeführt werden ohne den Charakter einer staatsgefährlichen Institution
anzunehmen. Der Papst, an dessen Unfehlbarkeit fortan alle Katholiken
verbunden sind zu glauben, ist gewiß ein anderer, als der, dessen Unfehl¬
barkeit eine vielfach bestrittene Lehrmeinung anzunehmen nicht gebieten konnte.

Herr Reichensperger widerlegt sodann die ofstciell und nichtofficiell hin
und wieder gegebene Darlegung von dem Ursprung des Kulturkampfes:
nämlich als sei der Kampf veranlaßt durch die Anträge des Centrums im
deutschen Reichstage auf Herübernahme der die kirchliche Selbständigkeit ver¬
bürgender Artikel aus der preußischen in die deutsche Verfassung, durch den
Widerspruch des Centrums gegen einen die Nichtinterventionstheorie aus¬
sprechenden Passus der ersten Reichstagsadresse, durch die bloße Thatsache
des Auftretens einer katholischen Fraction. In der That ist diese Darlegung
so oberflächlich, heftet sich so sehr an Zufälle und Aeußerlichkeiten, daß, wer
sich die Mühe der Widerlegung nehmen will, leichtes Spiel hat. Wir haben
an dieser Widerlegung nichts zu widerlegen. Aber glaubt Herr Reichen¬
sperger im Ernst, nun bewiesen zu haben, daß der Anlaß zum Kulturkampf
nicht von der katholischen Seite ausgegangen sei?

Herr Reichensperger scheint dies doch nicht zu glauben, er wendet sich
von selbst zu den Gefahren, welche das bisherige Verhalten des deutschen
Staates gegen die römische Kirche sowohl diesem Staat selbst als dem Pro¬
testantismus gebracht hat, oder nach Herrn Reichensperger allerdings nur
gebracht haben soll. Um zu entscheiden, ob die römische Kirche den deutschen
Staat gefährdet habe, muß man vor allem wissen, wie das normale Ver¬
hältniß zwischen Staat und Kirche zu denken ist. Herr Reichensperger erhält
hier Veranlassung, den Haupt- und Mittelpunkt seiner positiven Anschauung
vorzutragen. Er verwirft die beiden Systeme, das der Ueberordnung der
Kirche über den Staat und ebenso das der Ueberordnung des Staates über
die Kirche und erklärt für grundsätzlich allein berechtigt das System der
Nebenordnung der beiden großen Gewalten zu gleichem Recht innerhalb der
einer jeden Gewalt eigenthümlichen Lebenssphäre. Das theokratische wie das
caesaropapistische System sei gleich unmöglich geworden, insofern die Voraus¬
setzungen beider längst nicht mehr bestehen.

Hier müssen wir Herrn Reichensperger vor allem fragen, ob das System
der Nebenordnung von Staat und Kirche zu gleichem Recht in verschiedenen
Sphären jemals von der römischen Kirche angenommen und zugelassen werden
kann. Die gebildete Welt weiß nicht anders, als daß die römische Kirche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/271>, abgerufen am 25.08.2024.