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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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weniger den zwingenden Anlaß gegeben. Er sucht zu diesem Zweck zu wider¬
legen, daß von Seiten der katholischen Kirche Uebergriffe gegen den deutschen
Staat erfolgt seien und ferner, daß der Syllabus und das Unfehlbarkeits¬
dogma eine Bekämpfung des Staates und seiner Rechte in sich schließen.
Was den Syllabus betrifft, so unterscheidet er als guter Logiker in jenen
bekannten Sätzen des Syllabus, welche das Zeitbewußtsein am meisten be¬
fremdet haben, das conträre von dem contradictorischen Gegentheil. Herr
Reichensperger sagt: was der Syllabus hier verwirft oder verneint, wird nur
contradictorisch aber nicht conträr verneint; d. h, es wird von den ver¬
worfenen Lehrsätzen nur gesagt, sie sind nicht ohne Einschränkung wahr,
aber es wird nicht behauptet, die Wahrheit liege in den Extremen gegen
diese Sätze. Wenn der Syllabus sagt: daß die Freiheit aller Meinungen
und Kulte nur heilsam wirke, sei nicht wahr; so sagt Herr Reichensperger:
damit ist nur gesagt, daß jener Satz nicht ohne Einschränkung gilt, und was
kann unwidersprechlicher sein, als die Nothwendigkeit einer Einschränkung,
welche die Gesetzgebung der freiesten Staaten thatsächlich fordert und durch¬
führt? Die Berufung an die Instanz der Logik, wenn sie in correkten For¬
men eingelegt wird, gewährt uns in der heutigen unlogischen und alogischen
Zeit eine solche Genugthuung, daß wir diese Argumentation des Herrn
Reichensperger nicht weiter bemängeln wollen. Nur die beiläufige Bemerkung
sei erlaubt, ob es denn nöthig ist und lohnt, so harmlose Wahrheiten, wie
nach dieser Interpretation der Syllabus enthält, mit so feierlichem Pompe
zu verkünden.

Etwas mehr Rückhalt legt uns Herrn Reichensperger's Urtheil über das
Unfehlbarkeitsdogma auf. Zunächst behauptet er, daß dieses Dogma nichts
weniger thue, als einem sterblichen Menschen die Sündlosigkett oder die
Gottgleichheit beilegen. Er beruft sich darauf, daß ja die Unfehlbarkeit der
Concilien alter unbestrittener Lehrsatz der katholischen Kirche gewesen, ohne
daß die Concilien darum aus sündlosen Menschen bestehen müssen so wenig
wie die nach dem Glauben aller Confesstonen inspirirter Verfasser der heiligen
Schrift. Allein hier darf denn doch der beträchtliche Unterschied nicht über¬
sehen werden, ob eine einzelne Handlung unter außerordentlichem göttlichem
Beistand sich ohne Fehl vollzieht, oder der ganze Lebenslauf einer tausend¬
jährigen Reihe von Personen in ihren Berufshandlungen, zu denen sie sich
selbst bevollmächtigen. Wir wollen auch darüber nicht weiter richten. Um
so entschiedeneren Widerspruch müssen wir aber gegen den Satz des Ver¬
fassers einlegen, daß eine Lehrmeinung, wie die von der päpstlichen Unfehl¬
barkeit, welche bis dahin von jedem Katholiken als seine persönliche Ueber¬
zeugung festgehalten werden konnte und namentlich vom römischen Stuhl
thatsächlich angenommen und geübt war, durch ihre Feststellung als Glan-


weniger den zwingenden Anlaß gegeben. Er sucht zu diesem Zweck zu wider¬
legen, daß von Seiten der katholischen Kirche Uebergriffe gegen den deutschen
Staat erfolgt seien und ferner, daß der Syllabus und das Unfehlbarkeits¬
dogma eine Bekämpfung des Staates und seiner Rechte in sich schließen.
Was den Syllabus betrifft, so unterscheidet er als guter Logiker in jenen
bekannten Sätzen des Syllabus, welche das Zeitbewußtsein am meisten be¬
fremdet haben, das conträre von dem contradictorischen Gegentheil. Herr
Reichensperger sagt: was der Syllabus hier verwirft oder verneint, wird nur
contradictorisch aber nicht conträr verneint; d. h, es wird von den ver¬
worfenen Lehrsätzen nur gesagt, sie sind nicht ohne Einschränkung wahr,
aber es wird nicht behauptet, die Wahrheit liege in den Extremen gegen
diese Sätze. Wenn der Syllabus sagt: daß die Freiheit aller Meinungen
und Kulte nur heilsam wirke, sei nicht wahr; so sagt Herr Reichensperger:
damit ist nur gesagt, daß jener Satz nicht ohne Einschränkung gilt, und was
kann unwidersprechlicher sein, als die Nothwendigkeit einer Einschränkung,
welche die Gesetzgebung der freiesten Staaten thatsächlich fordert und durch¬
führt? Die Berufung an die Instanz der Logik, wenn sie in correkten For¬
men eingelegt wird, gewährt uns in der heutigen unlogischen und alogischen
Zeit eine solche Genugthuung, daß wir diese Argumentation des Herrn
Reichensperger nicht weiter bemängeln wollen. Nur die beiläufige Bemerkung
sei erlaubt, ob es denn nöthig ist und lohnt, so harmlose Wahrheiten, wie
nach dieser Interpretation der Syllabus enthält, mit so feierlichem Pompe
zu verkünden.

Etwas mehr Rückhalt legt uns Herrn Reichensperger's Urtheil über das
Unfehlbarkeitsdogma auf. Zunächst behauptet er, daß dieses Dogma nichts
weniger thue, als einem sterblichen Menschen die Sündlosigkett oder die
Gottgleichheit beilegen. Er beruft sich darauf, daß ja die Unfehlbarkeit der
Concilien alter unbestrittener Lehrsatz der katholischen Kirche gewesen, ohne
daß die Concilien darum aus sündlosen Menschen bestehen müssen so wenig
wie die nach dem Glauben aller Confesstonen inspirirter Verfasser der heiligen
Schrift. Allein hier darf denn doch der beträchtliche Unterschied nicht über¬
sehen werden, ob eine einzelne Handlung unter außerordentlichem göttlichem
Beistand sich ohne Fehl vollzieht, oder der ganze Lebenslauf einer tausend¬
jährigen Reihe von Personen in ihren Berufshandlungen, zu denen sie sich
selbst bevollmächtigen. Wir wollen auch darüber nicht weiter richten. Um
so entschiedeneren Widerspruch müssen wir aber gegen den Satz des Ver¬
fassers einlegen, daß eine Lehrmeinung, wie die von der päpstlichen Unfehl¬
barkeit, welche bis dahin von jedem Katholiken als seine persönliche Ueber¬
zeugung festgehalten werden konnte und namentlich vom römischen Stuhl
thatsächlich angenommen und geübt war, durch ihre Feststellung als Glan-


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[0270] weniger den zwingenden Anlaß gegeben. Er sucht zu diesem Zweck zu wider¬ legen, daß von Seiten der katholischen Kirche Uebergriffe gegen den deutschen Staat erfolgt seien und ferner, daß der Syllabus und das Unfehlbarkeits¬ dogma eine Bekämpfung des Staates und seiner Rechte in sich schließen. Was den Syllabus betrifft, so unterscheidet er als guter Logiker in jenen bekannten Sätzen des Syllabus, welche das Zeitbewußtsein am meisten be¬ fremdet haben, das conträre von dem contradictorischen Gegentheil. Herr Reichensperger sagt: was der Syllabus hier verwirft oder verneint, wird nur contradictorisch aber nicht conträr verneint; d. h, es wird von den ver¬ worfenen Lehrsätzen nur gesagt, sie sind nicht ohne Einschränkung wahr, aber es wird nicht behauptet, die Wahrheit liege in den Extremen gegen diese Sätze. Wenn der Syllabus sagt: daß die Freiheit aller Meinungen und Kulte nur heilsam wirke, sei nicht wahr; so sagt Herr Reichensperger: damit ist nur gesagt, daß jener Satz nicht ohne Einschränkung gilt, und was kann unwidersprechlicher sein, als die Nothwendigkeit einer Einschränkung, welche die Gesetzgebung der freiesten Staaten thatsächlich fordert und durch¬ führt? Die Berufung an die Instanz der Logik, wenn sie in correkten For¬ men eingelegt wird, gewährt uns in der heutigen unlogischen und alogischen Zeit eine solche Genugthuung, daß wir diese Argumentation des Herrn Reichensperger nicht weiter bemängeln wollen. Nur die beiläufige Bemerkung sei erlaubt, ob es denn nöthig ist und lohnt, so harmlose Wahrheiten, wie nach dieser Interpretation der Syllabus enthält, mit so feierlichem Pompe zu verkünden. Etwas mehr Rückhalt legt uns Herrn Reichensperger's Urtheil über das Unfehlbarkeitsdogma auf. Zunächst behauptet er, daß dieses Dogma nichts weniger thue, als einem sterblichen Menschen die Sündlosigkett oder die Gottgleichheit beilegen. Er beruft sich darauf, daß ja die Unfehlbarkeit der Concilien alter unbestrittener Lehrsatz der katholischen Kirche gewesen, ohne daß die Concilien darum aus sündlosen Menschen bestehen müssen so wenig wie die nach dem Glauben aller Confesstonen inspirirter Verfasser der heiligen Schrift. Allein hier darf denn doch der beträchtliche Unterschied nicht über¬ sehen werden, ob eine einzelne Handlung unter außerordentlichem göttlichem Beistand sich ohne Fehl vollzieht, oder der ganze Lebenslauf einer tausend¬ jährigen Reihe von Personen in ihren Berufshandlungen, zu denen sie sich selbst bevollmächtigen. Wir wollen auch darüber nicht weiter richten. Um so entschiedeneren Widerspruch müssen wir aber gegen den Satz des Ver¬ fassers einlegen, daß eine Lehrmeinung, wie die von der päpstlichen Unfehl¬ barkeit, welche bis dahin von jedem Katholiken als seine persönliche Ueber¬ zeugung festgehalten werden konnte und namentlich vom römischen Stuhl thatsächlich angenommen und geübt war, durch ihre Feststellung als Glan-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/270>, abgerufen am 25.08.2024.