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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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und frisch und jungfräulich, aber ich behaupte, das war vor Jahren. Sie
hat immer noch as beaux restvs. Um des Himmels willen lassen Sie sie
sich sitzen!" -- "vo beaux restös? Ich danke Ihnen, daß Sie mir das
nicht in unsrer Sprache sagen. Ich muß also meine Madonna aus as bsaux
r-zstes zusammenstellen. Was für ein Meisterwerk sie sein wird! Alt -- alt --
alt!" murmelte er.

Der Freund spricht ihm nun mitleidig Muth ein: "Kümmern Sie sich
nicht um den Eindruck, den sie auf mich gemacht hat. Sie haben Ihr Ge¬
dächtniß, Ihre Notizen. Ihr Genie. Vollenden Sie Ihr Bild in einem
Monate. Ich preise es im Voraus als ein Meisterwerk und biete Ihnen
hiermit dafür jede Summe, die Sie zu verlangen belieben." -- Theobald
scheint ihn kaum zu verstehen. Als sie aber Abschied nehmen, rafft er sich
auf und ruft: "Ich werde sie in einem Monat vollenden. Nein, in vierzehn
Tagen! Am Ende habe ich sie ja hier." Und er tippt sich an die Stirn.
"Natürlich ist sie alt. Sie kann sich's aber gefallen lassen, daß man es von
ihr sagt -- ein Weib, das mir zwanzig Jahre hat vergehen lassen, als ob
es zwölf Monate wären. Alt -- alt! -- ja, mein Herr, sie soll in Ewig¬
keit leben!"

Auch aus diesem Vorsatze wird nichts. Theobald verschwindet für mehre
Tage, und als der Freund ihn dann in seiner ärmlichen Dachstube aufsucht,
sitzt der Maler in dumpfe Apathie versunken halb verhungert vor seiner
Staffelei. Die Madonna der Zukunft ist eine leere Leinwand. Einige
Tage später aber stirbt Theobald an einem Gehirnfieber. Das alles ist er¬
greifend erzählt, man meint bisweilen eine Novelle Otto Ludwig's vor sich
zu haben.

Das fünfte Stück unserer Sammlung: "Der Roman von gewissen
alten Kleidern" erzählt uns die Geschichte zweier Schwestern, die nach
einander denselben Mann heirathen. Die jüngere hinterläßt ihrer kleinen
Tochter eine Anzahl schöner Kleider und Schmucksachen, die, bis das Kind
erwachsen ist, in einer großen Truhe auf dem Hausboden aufbewahrt werden
sollen. Die ältere, neidisch und putzsüchtig, weiß davon und sucht, als die
Verhältnisse ihres Mannes ihr nicht mehr gestatten wollen, sich so elegant wie
früher zu kleiden, den Schatz für sich zu gewinnen, der Mann widersteht eine
Weile, giebt aber zuletzt den begehrten Schlüssel heraus, und Madame ver¬
schwindet damit. Als der Gatte zum Mittagsessen zurückkehrt, vermißt er
seine Frau. Er sucht sie überall zuletzt auf dem Boden, wo er sie vor der
Truhe auf den Knieen liegend findet. "Der Deckel der Truhe stand offen und
zeigte inmitten ihrer parfümirten Servietten ihre Schätze an Stoffen und
Juwelen. Viola war aus einer knieenden Stellung nach rückwärts gefallen


und frisch und jungfräulich, aber ich behaupte, das war vor Jahren. Sie
hat immer noch as beaux restvs. Um des Himmels willen lassen Sie sie
sich sitzen!" — „vo beaux restös? Ich danke Ihnen, daß Sie mir das
nicht in unsrer Sprache sagen. Ich muß also meine Madonna aus as bsaux
r-zstes zusammenstellen. Was für ein Meisterwerk sie sein wird! Alt — alt —
alt!" murmelte er.

Der Freund spricht ihm nun mitleidig Muth ein: „Kümmern Sie sich
nicht um den Eindruck, den sie auf mich gemacht hat. Sie haben Ihr Ge¬
dächtniß, Ihre Notizen. Ihr Genie. Vollenden Sie Ihr Bild in einem
Monate. Ich preise es im Voraus als ein Meisterwerk und biete Ihnen
hiermit dafür jede Summe, die Sie zu verlangen belieben." — Theobald
scheint ihn kaum zu verstehen. Als sie aber Abschied nehmen, rafft er sich
auf und ruft: „Ich werde sie in einem Monat vollenden. Nein, in vierzehn
Tagen! Am Ende habe ich sie ja hier." Und er tippt sich an die Stirn.
„Natürlich ist sie alt. Sie kann sich's aber gefallen lassen, daß man es von
ihr sagt — ein Weib, das mir zwanzig Jahre hat vergehen lassen, als ob
es zwölf Monate wären. Alt — alt! — ja, mein Herr, sie soll in Ewig¬
keit leben!"

Auch aus diesem Vorsatze wird nichts. Theobald verschwindet für mehre
Tage, und als der Freund ihn dann in seiner ärmlichen Dachstube aufsucht,
sitzt der Maler in dumpfe Apathie versunken halb verhungert vor seiner
Staffelei. Die Madonna der Zukunft ist eine leere Leinwand. Einige
Tage später aber stirbt Theobald an einem Gehirnfieber. Das alles ist er¬
greifend erzählt, man meint bisweilen eine Novelle Otto Ludwig's vor sich
zu haben.

Das fünfte Stück unserer Sammlung: „Der Roman von gewissen
alten Kleidern" erzählt uns die Geschichte zweier Schwestern, die nach
einander denselben Mann heirathen. Die jüngere hinterläßt ihrer kleinen
Tochter eine Anzahl schöner Kleider und Schmucksachen, die, bis das Kind
erwachsen ist, in einer großen Truhe auf dem Hausboden aufbewahrt werden
sollen. Die ältere, neidisch und putzsüchtig, weiß davon und sucht, als die
Verhältnisse ihres Mannes ihr nicht mehr gestatten wollen, sich so elegant wie
früher zu kleiden, den Schatz für sich zu gewinnen, der Mann widersteht eine
Weile, giebt aber zuletzt den begehrten Schlüssel heraus, und Madame ver¬
schwindet damit. Als der Gatte zum Mittagsessen zurückkehrt, vermißt er
seine Frau. Er sucht sie überall zuletzt auf dem Boden, wo er sie vor der
Truhe auf den Knieen liegend findet. „Der Deckel der Truhe stand offen und
zeigte inmitten ihrer parfümirten Servietten ihre Schätze an Stoffen und
Juwelen. Viola war aus einer knieenden Stellung nach rückwärts gefallen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/266>, abgerufen am 22.07.2024.