Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bricht, unerquicklich, und wir beklagen, daß ein großer realistischer Künstler
sich statt dieser Aufgabe nicht eine erfreulichere gesetzt hat.

Die zweite Novelle: "Der Letzte der Valerier". die in Rom spielt,
gehört zu dem Besten, was aus dem Gebiete der Belletristik in der Lösung
seltsamer Probleme geleistet worden ist. Zwar ist auch sie nicht frei von pein¬
lichen Wendungen und Scenen, aber die Verirrung, die uns hier in ihrer
Entwicklung vorgeführt wird, ist von Kraft getragen, energisch, trotzig, vor¬
nehm, und der Ausgang ist Sieg des Verstandes über die Verblendung des
Helden, Genesung und Versöhnung. Eine junge, reiche und schöne Ameri¬
kanerin, die Pathe des Verfassers, heirathet einen römischen Grafen aus der
uralten Familie der Valerier. Alles geht eine Zeitlang gut. Der Conte
Valerio entspricht den Wünschen seiner Gemahlin, obwohl er geistig nicht be¬
deutend, etwas träge und ohne große Interessen ist, und obwohl er bisweilen
einen Zug verräth, nach welchem er nicht recht in die heutige Welt paßt, in
allen Stücken. Da fällt es der jungen Frau, die ehrgeizig und strebsam ist,
ein, in den Gärten der Villa, die sie mit ihrem Gatten bewohnt, Nachgra¬
bungen nach alten Bildsäulen anstellen zu lassen. Der Graf ist gegen den Plan.

"Laß sie doch liegen", sagt er, "die armen abgesetzten Götter, die Du so
gewiß zu finden hoffst, und unterbrich ihre Ruhe nicht. Was willst Du mit
ihnen? Wir können sie nicht anbeten. Möchtest Du sie auf Piedestale stellen,
um sie anzustarren und sich über sie lustig zu machen? Wenn Du nicht an
sie glauben kannst, so störe sie nicht. Friede sei mit ihnen." -- Seine Frau
erklärt darauf scherzhaft, er sei durch und durch abergläubisch. -- "Ja,
beim Bachus," ruft er, "ich bin abergläubisch! vielleicht nur zu
sehr. Aber ich bin ein alter Italiener, und Du mußt mich nehmen, wie
Du mich findest. Man hat hier in Rom Dinge gesehen und gethan, die selt¬
same Eindrücke zurückgelassen haben. Sie berühren dich ohne Zweifel nicht,
da Du von einem andern Geschlecht stammst. Mich aber berühren sie oft,
im Geflüster der Blätter, im Dufte des modrigen Bodens, und in den leeren
Augenhöhlen der alten Bildsäulen. Ich kann es nicht ertragen, den Bild¬
säulen in die Gesichter zu blicken. Mir ist es, als sähe ich andere unheimliche
Augen in den leeren Höhlen, und ich weiß kaum, was sie mir sagen. Ich
nenne die armen alten Statuen Geister. Wahrlich, wir haben hier genug, was uns
aus jedem schattigen Winkel unheimlich anstiert. Grabe nicht noch mehr auf.
sonst stehe ich nicht für meinen Verstand."

Diese Mittheilung ist zu phantastisch, um der Gräfin als ernst gemeint
vorzukommen. Sie setzt ihre Nachgrabungen fort, und eines Tages finden
ihre Arbeiter eine prachtvolle Juno, ein wunderbar gut erhaltenes Meisterwerk
der alten Bildhauerkunst. Das Glück der jungen Frau ist groß, aber bald
erfährt sie, daß mit dem Funde das Unheil in ihre Häuslichkeit eingezogen


bricht, unerquicklich, und wir beklagen, daß ein großer realistischer Künstler
sich statt dieser Aufgabe nicht eine erfreulichere gesetzt hat.

Die zweite Novelle: „Der Letzte der Valerier". die in Rom spielt,
gehört zu dem Besten, was aus dem Gebiete der Belletristik in der Lösung
seltsamer Probleme geleistet worden ist. Zwar ist auch sie nicht frei von pein¬
lichen Wendungen und Scenen, aber die Verirrung, die uns hier in ihrer
Entwicklung vorgeführt wird, ist von Kraft getragen, energisch, trotzig, vor¬
nehm, und der Ausgang ist Sieg des Verstandes über die Verblendung des
Helden, Genesung und Versöhnung. Eine junge, reiche und schöne Ameri¬
kanerin, die Pathe des Verfassers, heirathet einen römischen Grafen aus der
uralten Familie der Valerier. Alles geht eine Zeitlang gut. Der Conte
Valerio entspricht den Wünschen seiner Gemahlin, obwohl er geistig nicht be¬
deutend, etwas träge und ohne große Interessen ist, und obwohl er bisweilen
einen Zug verräth, nach welchem er nicht recht in die heutige Welt paßt, in
allen Stücken. Da fällt es der jungen Frau, die ehrgeizig und strebsam ist,
ein, in den Gärten der Villa, die sie mit ihrem Gatten bewohnt, Nachgra¬
bungen nach alten Bildsäulen anstellen zu lassen. Der Graf ist gegen den Plan.

„Laß sie doch liegen", sagt er, „die armen abgesetzten Götter, die Du so
gewiß zu finden hoffst, und unterbrich ihre Ruhe nicht. Was willst Du mit
ihnen? Wir können sie nicht anbeten. Möchtest Du sie auf Piedestale stellen,
um sie anzustarren und sich über sie lustig zu machen? Wenn Du nicht an
sie glauben kannst, so störe sie nicht. Friede sei mit ihnen." — Seine Frau
erklärt darauf scherzhaft, er sei durch und durch abergläubisch. — „Ja,
beim Bachus," ruft er, „ich bin abergläubisch! vielleicht nur zu
sehr. Aber ich bin ein alter Italiener, und Du mußt mich nehmen, wie
Du mich findest. Man hat hier in Rom Dinge gesehen und gethan, die selt¬
same Eindrücke zurückgelassen haben. Sie berühren dich ohne Zweifel nicht,
da Du von einem andern Geschlecht stammst. Mich aber berühren sie oft,
im Geflüster der Blätter, im Dufte des modrigen Bodens, und in den leeren
Augenhöhlen der alten Bildsäulen. Ich kann es nicht ertragen, den Bild¬
säulen in die Gesichter zu blicken. Mir ist es, als sähe ich andere unheimliche
Augen in den leeren Höhlen, und ich weiß kaum, was sie mir sagen. Ich
nenne die armen alten Statuen Geister. Wahrlich, wir haben hier genug, was uns
aus jedem schattigen Winkel unheimlich anstiert. Grabe nicht noch mehr auf.
sonst stehe ich nicht für meinen Verstand."

Diese Mittheilung ist zu phantastisch, um der Gräfin als ernst gemeint
vorzukommen. Sie setzt ihre Nachgrabungen fort, und eines Tages finden
ihre Arbeiter eine prachtvolle Juno, ein wunderbar gut erhaltenes Meisterwerk
der alten Bildhauerkunst. Das Glück der jungen Frau ist groß, aber bald
erfährt sie, daß mit dem Funde das Unheil in ihre Häuslichkeit eingezogen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0261" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135314"/>
          <p xml:id="ID_712" prev="#ID_711"> bricht, unerquicklich, und wir beklagen, daß ein großer realistischer Künstler<lb/>
sich statt dieser Aufgabe nicht eine erfreulichere gesetzt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_713"> Die zweite Novelle: &#x201E;Der Letzte der Valerier". die in Rom spielt,<lb/>
gehört zu dem Besten, was aus dem Gebiete der Belletristik in der Lösung<lb/>
seltsamer Probleme geleistet worden ist. Zwar ist auch sie nicht frei von pein¬<lb/>
lichen Wendungen und Scenen, aber die Verirrung, die uns hier in ihrer<lb/>
Entwicklung vorgeführt wird, ist von Kraft getragen, energisch, trotzig, vor¬<lb/>
nehm, und der Ausgang ist Sieg des Verstandes über die Verblendung des<lb/>
Helden, Genesung und Versöhnung. Eine junge, reiche und schöne Ameri¬<lb/>
kanerin, die Pathe des Verfassers, heirathet einen römischen Grafen aus der<lb/>
uralten Familie der Valerier. Alles geht eine Zeitlang gut. Der Conte<lb/>
Valerio entspricht den Wünschen seiner Gemahlin, obwohl er geistig nicht be¬<lb/>
deutend, etwas träge und ohne große Interessen ist, und obwohl er bisweilen<lb/>
einen Zug verräth, nach welchem er nicht recht in die heutige Welt paßt, in<lb/>
allen Stücken. Da fällt es der jungen Frau, die ehrgeizig und strebsam ist,<lb/>
ein, in den Gärten der Villa, die sie mit ihrem Gatten bewohnt, Nachgra¬<lb/>
bungen nach alten Bildsäulen anstellen zu lassen. Der Graf ist gegen den Plan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_714"> &#x201E;Laß sie doch liegen", sagt er, &#x201E;die armen abgesetzten Götter, die Du so<lb/>
gewiß zu finden hoffst, und unterbrich ihre Ruhe nicht. Was willst Du mit<lb/>
ihnen? Wir können sie nicht anbeten. Möchtest Du sie auf Piedestale stellen,<lb/>
um sie anzustarren und sich über sie lustig zu machen? Wenn Du nicht an<lb/>
sie glauben kannst, so störe sie nicht. Friede sei mit ihnen." &#x2014; Seine Frau<lb/>
erklärt darauf scherzhaft, er sei durch und durch abergläubisch. &#x2014; &#x201E;Ja,<lb/>
beim Bachus," ruft er, &#x201E;ich bin abergläubisch! vielleicht nur zu<lb/>
sehr. Aber ich bin ein alter Italiener, und Du mußt mich nehmen, wie<lb/>
Du mich findest. Man hat hier in Rom Dinge gesehen und gethan, die selt¬<lb/>
same Eindrücke zurückgelassen haben. Sie berühren dich ohne Zweifel nicht,<lb/>
da Du von einem andern Geschlecht stammst. Mich aber berühren sie oft,<lb/>
im Geflüster der Blätter, im Dufte des modrigen Bodens, und in den leeren<lb/>
Augenhöhlen der alten Bildsäulen. Ich kann es nicht ertragen, den Bild¬<lb/>
säulen in die Gesichter zu blicken. Mir ist es, als sähe ich andere unheimliche<lb/>
Augen in den leeren Höhlen, und ich weiß kaum, was sie mir sagen. Ich<lb/>
nenne die armen alten Statuen Geister. Wahrlich, wir haben hier genug, was uns<lb/>
aus jedem schattigen Winkel unheimlich anstiert. Grabe nicht noch mehr auf.<lb/>
sonst stehe ich nicht für meinen Verstand."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_715" next="#ID_716"> Diese Mittheilung ist zu phantastisch, um der Gräfin als ernst gemeint<lb/>
vorzukommen. Sie setzt ihre Nachgrabungen fort, und eines Tages finden<lb/>
ihre Arbeiter eine prachtvolle Juno, ein wunderbar gut erhaltenes Meisterwerk<lb/>
der alten Bildhauerkunst. Das Glück der jungen Frau ist groß, aber bald<lb/>
erfährt sie, daß mit dem Funde das Unheil in ihre Häuslichkeit eingezogen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0261] bricht, unerquicklich, und wir beklagen, daß ein großer realistischer Künstler sich statt dieser Aufgabe nicht eine erfreulichere gesetzt hat. Die zweite Novelle: „Der Letzte der Valerier". die in Rom spielt, gehört zu dem Besten, was aus dem Gebiete der Belletristik in der Lösung seltsamer Probleme geleistet worden ist. Zwar ist auch sie nicht frei von pein¬ lichen Wendungen und Scenen, aber die Verirrung, die uns hier in ihrer Entwicklung vorgeführt wird, ist von Kraft getragen, energisch, trotzig, vor¬ nehm, und der Ausgang ist Sieg des Verstandes über die Verblendung des Helden, Genesung und Versöhnung. Eine junge, reiche und schöne Ameri¬ kanerin, die Pathe des Verfassers, heirathet einen römischen Grafen aus der uralten Familie der Valerier. Alles geht eine Zeitlang gut. Der Conte Valerio entspricht den Wünschen seiner Gemahlin, obwohl er geistig nicht be¬ deutend, etwas träge und ohne große Interessen ist, und obwohl er bisweilen einen Zug verräth, nach welchem er nicht recht in die heutige Welt paßt, in allen Stücken. Da fällt es der jungen Frau, die ehrgeizig und strebsam ist, ein, in den Gärten der Villa, die sie mit ihrem Gatten bewohnt, Nachgra¬ bungen nach alten Bildsäulen anstellen zu lassen. Der Graf ist gegen den Plan. „Laß sie doch liegen", sagt er, „die armen abgesetzten Götter, die Du so gewiß zu finden hoffst, und unterbrich ihre Ruhe nicht. Was willst Du mit ihnen? Wir können sie nicht anbeten. Möchtest Du sie auf Piedestale stellen, um sie anzustarren und sich über sie lustig zu machen? Wenn Du nicht an sie glauben kannst, so störe sie nicht. Friede sei mit ihnen." — Seine Frau erklärt darauf scherzhaft, er sei durch und durch abergläubisch. — „Ja, beim Bachus," ruft er, „ich bin abergläubisch! vielleicht nur zu sehr. Aber ich bin ein alter Italiener, und Du mußt mich nehmen, wie Du mich findest. Man hat hier in Rom Dinge gesehen und gethan, die selt¬ same Eindrücke zurückgelassen haben. Sie berühren dich ohne Zweifel nicht, da Du von einem andern Geschlecht stammst. Mich aber berühren sie oft, im Geflüster der Blätter, im Dufte des modrigen Bodens, und in den leeren Augenhöhlen der alten Bildsäulen. Ich kann es nicht ertragen, den Bild¬ säulen in die Gesichter zu blicken. Mir ist es, als sähe ich andere unheimliche Augen in den leeren Höhlen, und ich weiß kaum, was sie mir sagen. Ich nenne die armen alten Statuen Geister. Wahrlich, wir haben hier genug, was uns aus jedem schattigen Winkel unheimlich anstiert. Grabe nicht noch mehr auf. sonst stehe ich nicht für meinen Verstand." Diese Mittheilung ist zu phantastisch, um der Gräfin als ernst gemeint vorzukommen. Sie setzt ihre Nachgrabungen fort, und eines Tages finden ihre Arbeiter eine prachtvolle Juno, ein wunderbar gut erhaltenes Meisterwerk der alten Bildhauerkunst. Das Glück der jungen Frau ist groß, aber bald erfährt sie, daß mit dem Funde das Unheil in ihre Häuslichkeit eingezogen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/261
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/261>, abgerufen am 22.07.2024.