Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

so kommt man hier auf Widersprüche und da auf Widersprüche. Mit der
Auffindung eines richtigen Grundsatzes für die Ermittelung der persönlichen
Schuld hat sich auch diesmal wieder der Reichstag nutz- und fruchtlos abge¬
müht. Alte Allianzen und alte Sympathien erschienen dabei im Widerstreit,
aber nirgends ein haltbarer Gedanke.

Den Bericht über die drei letzten Sitzungen dieser Woche will ich auf
den nächsten Brief verspüren, weil die Nachwirkung derselben sich zum Theil
0 -- r. erst bei Abfassung des nächsten Briefes wird übersehen lassen.




Kuh dem -Llsasz.

Sie erinnern sich vielleicht eines Briefes aus dem vorigen Jahre, worin ich
Ihnen von einem hier zu Lande verbreiteten Brüsseler Blatte "I/Lre ekrötienno"
schrieb, dessen Redacteur ein früherer, dem Kirchenbanne verfallener, franzö¬
sischer Benedictinermönch und dessen Tendenz eine entschieden antiklerikale ist.
Jener Mann hatte sich nun vorgenommen, auch im Elsaß durch Wort und
Bild, soviel in seinen Kräften stand, zur Wiederherstellung des "Urchristen¬
tums" zu wirken. Zur Unterstützung seines religiösen Reformwerkes hatte
er mit Erlaubniß der Behörden verschiedene antiinfallibilistische Broschüren
(I^s, Lour as lioins, I^ö Nartinot, lies lZ6n6äiotin8, I^e iVlaeniav^Iisme re-
ÜMux sie.) verbreitet und gleichzeitig in den Hauptstädten des Elsasses
(Mülhausen, Colmar u. s. w.) einige Bilder aus der berühmten Kalorie I^^vnarä
zu Brüssel ausgestellt, von denen eines eine in Belgien vorgekommene gro߬
artige Erbschleichern der Jesuiten, ein anderes die Krakauer Nonne Barbara
Ubryk, die übrigen ähnliche Vorwürfe klerikaler Verderbtheit behandelten.

Der Pfarrer von Mülhausen, Herr Abbe' Winter er, hielt es für seine
Pflicht, vor dem Reichstage für diese Sachen den Kreisdirector von Mül¬
hausen verantwortlich zu machen. Die betr. Stelle aus seiner Rede lautet
nach dem stenographischen Bericht: ". . . . Einige Wochen nachher kam nach
Mülhausen ein anderer Mann, auch ein Priester, ein vor langen Jahren ex-
communieirter Mönch. Er hatte dreimal vor der Zuchtpolizei gestanden in
Frankreich, und war einmal wegen Gaunerei der niedrigsten Art zu ^monat¬
licher Gefängnißstrafe, ein anderes Mal wegen eines andern Vergehens zu
ILmonatlichem Gefängniß verurtheilt worden. Er war weder ein Elsässer noch ein
Deutscher; er kam um uns das wahre Christenthum zu predigen; und unter
dem Schutze desselben Kreisdirectors, der den elscissischen Priester ausgewiesen


so kommt man hier auf Widersprüche und da auf Widersprüche. Mit der
Auffindung eines richtigen Grundsatzes für die Ermittelung der persönlichen
Schuld hat sich auch diesmal wieder der Reichstag nutz- und fruchtlos abge¬
müht. Alte Allianzen und alte Sympathien erschienen dabei im Widerstreit,
aber nirgends ein haltbarer Gedanke.

Den Bericht über die drei letzten Sitzungen dieser Woche will ich auf
den nächsten Brief verspüren, weil die Nachwirkung derselben sich zum Theil
0 — r. erst bei Abfassung des nächsten Briefes wird übersehen lassen.




Kuh dem -Llsasz.

Sie erinnern sich vielleicht eines Briefes aus dem vorigen Jahre, worin ich
Ihnen von einem hier zu Lande verbreiteten Brüsseler Blatte „I/Lre ekrötienno"
schrieb, dessen Redacteur ein früherer, dem Kirchenbanne verfallener, franzö¬
sischer Benedictinermönch und dessen Tendenz eine entschieden antiklerikale ist.
Jener Mann hatte sich nun vorgenommen, auch im Elsaß durch Wort und
Bild, soviel in seinen Kräften stand, zur Wiederherstellung des „Urchristen¬
tums" zu wirken. Zur Unterstützung seines religiösen Reformwerkes hatte
er mit Erlaubniß der Behörden verschiedene antiinfallibilistische Broschüren
(I^s, Lour as lioins, I^ö Nartinot, lies lZ6n6äiotin8, I^e iVlaeniav^Iisme re-
ÜMux sie.) verbreitet und gleichzeitig in den Hauptstädten des Elsasses
(Mülhausen, Colmar u. s. w.) einige Bilder aus der berühmten Kalorie I^^vnarä
zu Brüssel ausgestellt, von denen eines eine in Belgien vorgekommene gro߬
artige Erbschleichern der Jesuiten, ein anderes die Krakauer Nonne Barbara
Ubryk, die übrigen ähnliche Vorwürfe klerikaler Verderbtheit behandelten.

Der Pfarrer von Mülhausen, Herr Abbe' Winter er, hielt es für seine
Pflicht, vor dem Reichstage für diese Sachen den Kreisdirector von Mül¬
hausen verantwortlich zu machen. Die betr. Stelle aus seiner Rede lautet
nach dem stenographischen Bericht: „. . . . Einige Wochen nachher kam nach
Mülhausen ein anderer Mann, auch ein Priester, ein vor langen Jahren ex-
communieirter Mönch. Er hatte dreimal vor der Zuchtpolizei gestanden in
Frankreich, und war einmal wegen Gaunerei der niedrigsten Art zu ^monat¬
licher Gefängnißstrafe, ein anderes Mal wegen eines andern Vergehens zu
ILmonatlichem Gefängniß verurtheilt worden. Er war weder ein Elsässer noch ein
Deutscher; er kam um uns das wahre Christenthum zu predigen; und unter
dem Schutze desselben Kreisdirectors, der den elscissischen Priester ausgewiesen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135296"/>
          <p xml:id="ID_656" prev="#ID_655"> so kommt man hier auf Widersprüche und da auf Widersprüche. Mit der<lb/>
Auffindung eines richtigen Grundsatzes für die Ermittelung der persönlichen<lb/>
Schuld hat sich auch diesmal wieder der Reichstag nutz- und fruchtlos abge¬<lb/>
müht. Alte Allianzen und alte Sympathien erschienen dabei im Widerstreit,<lb/>
aber nirgends ein haltbarer Gedanke.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_657"> Den Bericht über die drei letzten Sitzungen dieser Woche will ich auf<lb/>
den nächsten Brief verspüren, weil die Nachwirkung derselben sich zum Theil<lb/><note type="byline"> 0 &#x2014; r.</note> erst bei Abfassung des nächsten Briefes wird übersehen lassen.  </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Kuh dem -Llsasz.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_658"> Sie erinnern sich vielleicht eines Briefes aus dem vorigen Jahre, worin ich<lb/>
Ihnen von einem hier zu Lande verbreiteten Brüsseler Blatte &#x201E;I/Lre ekrötienno"<lb/>
schrieb, dessen Redacteur ein früherer, dem Kirchenbanne verfallener, franzö¬<lb/>
sischer Benedictinermönch und dessen Tendenz eine entschieden antiklerikale ist.<lb/>
Jener Mann hatte sich nun vorgenommen, auch im Elsaß durch Wort und<lb/>
Bild, soviel in seinen Kräften stand, zur Wiederherstellung des &#x201E;Urchristen¬<lb/>
tums" zu wirken. Zur Unterstützung seines religiösen Reformwerkes hatte<lb/>
er mit Erlaubniß der Behörden verschiedene antiinfallibilistische Broschüren<lb/>
(I^s, Lour as lioins, I^ö Nartinot, lies lZ6n6äiotin8, I^e iVlaeniav^Iisme re-<lb/>
ÜMux sie.) verbreitet und gleichzeitig in den Hauptstädten des Elsasses<lb/>
(Mülhausen, Colmar u. s. w.) einige Bilder aus der berühmten Kalorie I^^vnarä<lb/>
zu Brüssel ausgestellt, von denen eines eine in Belgien vorgekommene gro߬<lb/>
artige Erbschleichern der Jesuiten, ein anderes die Krakauer Nonne Barbara<lb/>
Ubryk, die übrigen ähnliche Vorwürfe klerikaler Verderbtheit behandelten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_659" next="#ID_660"> Der Pfarrer von Mülhausen, Herr Abbe' Winter er, hielt es für seine<lb/>
Pflicht, vor dem Reichstage für diese Sachen den Kreisdirector von Mül¬<lb/>
hausen verantwortlich zu machen. Die betr. Stelle aus seiner Rede lautet<lb/>
nach dem stenographischen Bericht: &#x201E;. . . . Einige Wochen nachher kam nach<lb/>
Mülhausen ein anderer Mann, auch ein Priester, ein vor langen Jahren ex-<lb/>
communieirter Mönch. Er hatte dreimal vor der Zuchtpolizei gestanden in<lb/>
Frankreich, und war einmal wegen Gaunerei der niedrigsten Art zu ^monat¬<lb/>
licher Gefängnißstrafe, ein anderes Mal wegen eines andern Vergehens zu<lb/>
ILmonatlichem Gefängniß verurtheilt worden. Er war weder ein Elsässer noch ein<lb/>
Deutscher; er kam um uns das wahre Christenthum zu predigen; und unter<lb/>
dem Schutze desselben Kreisdirectors, der den elscissischen Priester ausgewiesen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0243] so kommt man hier auf Widersprüche und da auf Widersprüche. Mit der Auffindung eines richtigen Grundsatzes für die Ermittelung der persönlichen Schuld hat sich auch diesmal wieder der Reichstag nutz- und fruchtlos abge¬ müht. Alte Allianzen und alte Sympathien erschienen dabei im Widerstreit, aber nirgends ein haltbarer Gedanke. Den Bericht über die drei letzten Sitzungen dieser Woche will ich auf den nächsten Brief verspüren, weil die Nachwirkung derselben sich zum Theil 0 — r. erst bei Abfassung des nächsten Briefes wird übersehen lassen. Kuh dem -Llsasz. Sie erinnern sich vielleicht eines Briefes aus dem vorigen Jahre, worin ich Ihnen von einem hier zu Lande verbreiteten Brüsseler Blatte „I/Lre ekrötienno" schrieb, dessen Redacteur ein früherer, dem Kirchenbanne verfallener, franzö¬ sischer Benedictinermönch und dessen Tendenz eine entschieden antiklerikale ist. Jener Mann hatte sich nun vorgenommen, auch im Elsaß durch Wort und Bild, soviel in seinen Kräften stand, zur Wiederherstellung des „Urchristen¬ tums" zu wirken. Zur Unterstützung seines religiösen Reformwerkes hatte er mit Erlaubniß der Behörden verschiedene antiinfallibilistische Broschüren (I^s, Lour as lioins, I^ö Nartinot, lies lZ6n6äiotin8, I^e iVlaeniav^Iisme re- ÜMux sie.) verbreitet und gleichzeitig in den Hauptstädten des Elsasses (Mülhausen, Colmar u. s. w.) einige Bilder aus der berühmten Kalorie I^^vnarä zu Brüssel ausgestellt, von denen eines eine in Belgien vorgekommene gro߬ artige Erbschleichern der Jesuiten, ein anderes die Krakauer Nonne Barbara Ubryk, die übrigen ähnliche Vorwürfe klerikaler Verderbtheit behandelten. Der Pfarrer von Mülhausen, Herr Abbe' Winter er, hielt es für seine Pflicht, vor dem Reichstage für diese Sachen den Kreisdirector von Mül¬ hausen verantwortlich zu machen. Die betr. Stelle aus seiner Rede lautet nach dem stenographischen Bericht: „. . . . Einige Wochen nachher kam nach Mülhausen ein anderer Mann, auch ein Priester, ein vor langen Jahren ex- communieirter Mönch. Er hatte dreimal vor der Zuchtpolizei gestanden in Frankreich, und war einmal wegen Gaunerei der niedrigsten Art zu ^monat¬ licher Gefängnißstrafe, ein anderes Mal wegen eines andern Vergehens zu ILmonatlichem Gefängniß verurtheilt worden. Er war weder ein Elsässer noch ein Deutscher; er kam um uns das wahre Christenthum zu predigen; und unter dem Schutze desselben Kreisdirectors, der den elscissischen Priester ausgewiesen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/243
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/243>, abgerufen am 22.07.2024.