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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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bei Herrn Minxit mit ihm speiste. Ader von der Stunde, da er die einem
hohen Adel schuldige Ehrfurcht vergißt, kenne ich ihn nicht mehr. -- El,
Herr Fata von Varzy, rief der Marquis, Sie essen bet dem Kerl, dem
Minxit? -- Oh, aus Zufall, Euer Durchlaucht, als ich einmal gerade durch
Corvol kam. Ich weiß wohl, daß Herr Minxit kein Umgang ist. Er ist
ein hirnverbrannter Kopf, ein Mensch, der, verblendet von seinem Reichthum
so viel wie ein Edelmann zu sein glaubt. An! an! wer giebt mir Fu߬
tritte? -- Ich, sagte Benjamin, von Seiten des Herrn Minxit." -- Fata
kann nun gehen, von Benjamin aber verlangt der Marquis nochmals, daß
er ihn grüße. Nochmalige Weigerung, dann Frage, ob er wohl bedacht habe,
was er thue. -- "Höre, sagte mein Onkel, ich will Rücksicht nehmen auf
Deinen Titel und Dir zeigen, wie coulant ich in allem bin, was die Eti¬
kette betrifft. Sodann zog er ein dickes Kupferstück aus der Tasche und ließ
es in der Luft tanzen. Willst Du Kops oder Wappen, sagte er zum Mar¬
quis, Arzt oder Edelmann? Der, welchen das Loos trifft, grüßt zuerst, und
dabei bleibt's. -- In diesem Augenblicke schlich sich ein Jagdhüter hinter
meinen Onkel und schlug ihm seinen Dreispitz vom Kopfe, der in den Koth
fiel. Benjamin drehte sich um und schickte, während jener noch das dumme
Lachen auf den Lippen hatte, das sein Streich daselbst hervorgerufen, mit
einem Schlage seiner Eisenfaust den Mann mit dem Bandelier halb in den
Graben und halb in die Hecke längs des Weges. Seine Kameraden wollten
ihn aus seiner amphibischen Lage befreien, aber Herr von Kambyses wider¬
setzte sich. Der Kerl soll lernen, sagte er, daß das Recht der Unverschämtheit
kein Recht der Kanaille ist." Benjamin aber läßt er von seinen Knechten
greifen und nach seinem Schlosse bringen. Im Hofe desselben angekommen,
befiehlt der Marquis das Thor zu schließen, die Glocke zu ziehen und alle
seine Leute zusammenzurufen. Man bringt zwei Lehnsessel, einen für ihn und
einen für seinen Haushofmeister, und darauf wird die Komödie einer Be¬
rathung über das Schicksal des rennenden Benjamin aufgeführt. Der Haus¬
hofmeister stimmt für fünfundzwanzig Peitschenhiebe und achtundvierzig
Stunden Einsparung im Burgverließ. Aber der Marquis ist andrer Mei¬
nung, er ist guten Humors, er spürt den Sillery ein wenig. "Hast Du
etwas zu Deiner Vertheidigung vorzubringen? sagte er zu Benjamin.
Nimm Deinen Degen, antwortete dieser, und komm dreißig Schritte weit
von Deinem Schlosse mit mir, dann will ich Dich mit meinen Vertheidtgungs-
mitteln bekannt machen. -- Hierauf erhob sich der Marquis und sprach:
Nach stattgehabter Berathung wird das hier gegenwärtige Individuum vom
Gerichtshofe verurtheilt, den Herrn Marquis von Kambyses, gebietenden
Freiherrn dieser Lande, Exlieutenant der Musketiere, Oberjägermeister der
Amtmannschaft Clamecy u. s. w. auf eine Stelle zu küssen , welche ihm be-


bei Herrn Minxit mit ihm speiste. Ader von der Stunde, da er die einem
hohen Adel schuldige Ehrfurcht vergißt, kenne ich ihn nicht mehr. — El,
Herr Fata von Varzy, rief der Marquis, Sie essen bet dem Kerl, dem
Minxit? — Oh, aus Zufall, Euer Durchlaucht, als ich einmal gerade durch
Corvol kam. Ich weiß wohl, daß Herr Minxit kein Umgang ist. Er ist
ein hirnverbrannter Kopf, ein Mensch, der, verblendet von seinem Reichthum
so viel wie ein Edelmann zu sein glaubt. An! an! wer giebt mir Fu߬
tritte? — Ich, sagte Benjamin, von Seiten des Herrn Minxit." — Fata
kann nun gehen, von Benjamin aber verlangt der Marquis nochmals, daß
er ihn grüße. Nochmalige Weigerung, dann Frage, ob er wohl bedacht habe,
was er thue. — „Höre, sagte mein Onkel, ich will Rücksicht nehmen auf
Deinen Titel und Dir zeigen, wie coulant ich in allem bin, was die Eti¬
kette betrifft. Sodann zog er ein dickes Kupferstück aus der Tasche und ließ
es in der Luft tanzen. Willst Du Kops oder Wappen, sagte er zum Mar¬
quis, Arzt oder Edelmann? Der, welchen das Loos trifft, grüßt zuerst, und
dabei bleibt's. — In diesem Augenblicke schlich sich ein Jagdhüter hinter
meinen Onkel und schlug ihm seinen Dreispitz vom Kopfe, der in den Koth
fiel. Benjamin drehte sich um und schickte, während jener noch das dumme
Lachen auf den Lippen hatte, das sein Streich daselbst hervorgerufen, mit
einem Schlage seiner Eisenfaust den Mann mit dem Bandelier halb in den
Graben und halb in die Hecke längs des Weges. Seine Kameraden wollten
ihn aus seiner amphibischen Lage befreien, aber Herr von Kambyses wider¬
setzte sich. Der Kerl soll lernen, sagte er, daß das Recht der Unverschämtheit
kein Recht der Kanaille ist." Benjamin aber läßt er von seinen Knechten
greifen und nach seinem Schlosse bringen. Im Hofe desselben angekommen,
befiehlt der Marquis das Thor zu schließen, die Glocke zu ziehen und alle
seine Leute zusammenzurufen. Man bringt zwei Lehnsessel, einen für ihn und
einen für seinen Haushofmeister, und darauf wird die Komödie einer Be¬
rathung über das Schicksal des rennenden Benjamin aufgeführt. Der Haus¬
hofmeister stimmt für fünfundzwanzig Peitschenhiebe und achtundvierzig
Stunden Einsparung im Burgverließ. Aber der Marquis ist andrer Mei¬
nung, er ist guten Humors, er spürt den Sillery ein wenig. „Hast Du
etwas zu Deiner Vertheidigung vorzubringen? sagte er zu Benjamin.
Nimm Deinen Degen, antwortete dieser, und komm dreißig Schritte weit
von Deinem Schlosse mit mir, dann will ich Dich mit meinen Vertheidtgungs-
mitteln bekannt machen. — Hierauf erhob sich der Marquis und sprach:
Nach stattgehabter Berathung wird das hier gegenwärtige Individuum vom
Gerichtshofe verurtheilt, den Herrn Marquis von Kambyses, gebietenden
Freiherrn dieser Lande, Exlieutenant der Musketiere, Oberjägermeister der
Amtmannschaft Clamecy u. s. w. auf eine Stelle zu küssen , welche ihm be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/232>, abgerufen am 27.09.2024.