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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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frühverstorbenen trefflichen Arztes und Menschen, Dr. Friedrich Stein., und
seiner damals auch schon verstorbenen Ehefrau Jda Stein, geborene Eitzen.
Der Wunsch Rückert's, seine Verlobte in seinem elterlichen Hause heimisch zu
machen, ging sehr bald in Erfüllung. Denn er führte sie schon im Herbste
des Jahres 1848 in Begleitung ihrer der Rückert'schen Familie von Berlin
her befreundeten Angehörigen, seinen Eltern, Brüdern und Schwestern in
Neuses zu, so daß sich dieselbe bald in dieser Familie als ein gern aufge¬
nommenes und herzlich liebgewonnenes Mitglied einlebte. Auch verweilte sie
das Jahr darauf vom Herbste 1849 bis zum Frühjahr 1830 im Schooße
der Rückert'schen Familie in Neuses, woselbst der Vater Rückert, seiner aca-
demischen Wirksamkeit in Berlin enthoben, von jetzt an seinen dauernden
Aufenthalt genommen hatte. Von dieser Zeit an betrieb Rückert den Vollzug
seiner ehelichen Verbindung mit Nachdruck, immer durch die politischen Ver¬
hältnisse Störungen befürchtend. Ein maßgebender Ausspruch des Vaters
hob die Bedenken: "Bis dahin hat mein Sohn Alles, was er unternommen
hat, ehrenhaft und gut durchgeführt; wir müssen ihm also das Vertrauen
schenken, daß es auch hierin der Fall sein wird. Wie er es bis jetzt gemacht
hat, weiß ich nicht; auch nicht, wie er es künftig machen wird; aber das ist
seine Sache." Und so heirathete Heinrich Rückert den 2. September 18S0
als außerordentlicher Professor ohne Gehalt, dabei ohne Vermögen von
beiden Seiten. Des Vaters Ausspruch bewahrheitete sich in der Folge.
Rückert und seine Frau waren beide gute Haushalter. Sie hatten nicht
nur immer ausreichend zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse, sondern auch
noch etwas zum Erübrigen, konnten jährlich in bequemer Weise ihre Ferien¬
reisen machen, und auch noch ihrer Neigung zur Wohlthätigkeit und Frei¬
gebigkeit willfahren.

Rückert bekam Ostern 1852 einen Ruf nach Breslau als Professor der
deutschen Sprache und Literatur. Hier setzte er sein in Jena begonnenes flei¬
ßiges schriftstellerisches Arbeiten neben seiner academischen Berufsthätigkeit
fort. Dagegen gab er die geschichtlichen Vorlesungen, welche er in Jena noch
außerdem gehalten hatte, auf und beschränkte sich in seinen Vorträgen auf
Sprachwissenschaft und altdeutsche Literatur. Besonders auch gewann er durch
die in seiner Wohnung angestellten Privatübungen viele junge Männer für
sein Fach, indem er sie in deutsche Grammatik, Geschichte der deutschen Sprache
und Literatur des Mittelalters einführte und hierbei zum gründlichen Arbeiten
und selbstständigen Forschen anleitete. Seine Schüler rühmten immer seine
große Bereitwilligkeit, mit welcher er zu ihrem Besten keinen Aufwand von
Zeit und Mühe jemals scheuete. Auch war er in der Examinations-Com-
mission für Gymnasiallehrer in Beziehung auf dieses Fach eine Reihe von
Jahren hindurch thätig. So gründete er in Breslau eine germanistische Schule,


frühverstorbenen trefflichen Arztes und Menschen, Dr. Friedrich Stein., und
seiner damals auch schon verstorbenen Ehefrau Jda Stein, geborene Eitzen.
Der Wunsch Rückert's, seine Verlobte in seinem elterlichen Hause heimisch zu
machen, ging sehr bald in Erfüllung. Denn er führte sie schon im Herbste
des Jahres 1848 in Begleitung ihrer der Rückert'schen Familie von Berlin
her befreundeten Angehörigen, seinen Eltern, Brüdern und Schwestern in
Neuses zu, so daß sich dieselbe bald in dieser Familie als ein gern aufge¬
nommenes und herzlich liebgewonnenes Mitglied einlebte. Auch verweilte sie
das Jahr darauf vom Herbste 1849 bis zum Frühjahr 1830 im Schooße
der Rückert'schen Familie in Neuses, woselbst der Vater Rückert, seiner aca-
demischen Wirksamkeit in Berlin enthoben, von jetzt an seinen dauernden
Aufenthalt genommen hatte. Von dieser Zeit an betrieb Rückert den Vollzug
seiner ehelichen Verbindung mit Nachdruck, immer durch die politischen Ver¬
hältnisse Störungen befürchtend. Ein maßgebender Ausspruch des Vaters
hob die Bedenken: „Bis dahin hat mein Sohn Alles, was er unternommen
hat, ehrenhaft und gut durchgeführt; wir müssen ihm also das Vertrauen
schenken, daß es auch hierin der Fall sein wird. Wie er es bis jetzt gemacht
hat, weiß ich nicht; auch nicht, wie er es künftig machen wird; aber das ist
seine Sache." Und so heirathete Heinrich Rückert den 2. September 18S0
als außerordentlicher Professor ohne Gehalt, dabei ohne Vermögen von
beiden Seiten. Des Vaters Ausspruch bewahrheitete sich in der Folge.
Rückert und seine Frau waren beide gute Haushalter. Sie hatten nicht
nur immer ausreichend zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse, sondern auch
noch etwas zum Erübrigen, konnten jährlich in bequemer Weise ihre Ferien¬
reisen machen, und auch noch ihrer Neigung zur Wohlthätigkeit und Frei¬
gebigkeit willfahren.

Rückert bekam Ostern 1852 einen Ruf nach Breslau als Professor der
deutschen Sprache und Literatur. Hier setzte er sein in Jena begonnenes flei¬
ßiges schriftstellerisches Arbeiten neben seiner academischen Berufsthätigkeit
fort. Dagegen gab er die geschichtlichen Vorlesungen, welche er in Jena noch
außerdem gehalten hatte, auf und beschränkte sich in seinen Vorträgen auf
Sprachwissenschaft und altdeutsche Literatur. Besonders auch gewann er durch
die in seiner Wohnung angestellten Privatübungen viele junge Männer für
sein Fach, indem er sie in deutsche Grammatik, Geschichte der deutschen Sprache
und Literatur des Mittelalters einführte und hierbei zum gründlichen Arbeiten
und selbstständigen Forschen anleitete. Seine Schüler rühmten immer seine
große Bereitwilligkeit, mit welcher er zu ihrem Besten keinen Aufwand von
Zeit und Mühe jemals scheuete. Auch war er in der Examinations-Com-
mission für Gymnasiallehrer in Beziehung auf dieses Fach eine Reihe von
Jahren hindurch thätig. So gründete er in Breslau eine germanistische Schule,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/216>, abgerufen am 27.09.2024.