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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Huus, welches damals ein Mittelpunkt für die Pflege der classischen Musik
war, und zugleich nebenbei genauere Blicke in das preußische Staatswesen zu
thun, dessen Bewunderer und treuer Anhänger er von da an je länger je
mehr geworden ist. Nachdem er sich im Herbste 1844 in Berlin mit einer
Dissertation über den Erzbischof Eooo von Rheims den Doctorgrad erworben
hatte, habilitirte er sich zu Ostern 1845 in Jena als Docent für Geschichte
und deutsche Alterthumskunde.

Diese Jenenser Zeit von seinem 22. bis 29. Jahre war eine reiche und
bedeutungsvolle in seinem Leben, war seine eigentliche Entwickelung^ und
Blüthezeit, wozu Jena als ein von frei strebenden und fortschrittslustigen
Geistern immer vorzugsweise gern gewählter Wohnort wohl gerade der rich¬
tige Boden sein mochte. Hier herrschte ganz besonders damals jene scharfe poli¬
tische und wissenschaftliche Bewegung der Geister, welche dem Nevolutionsjahre
1848 voraus ging. Die Träger dieser geistigen Gährung und Unruhe waren in
Jena besonders die jungen Docenten, und eben zu dieser Zeit stand in Jena
das Institut des Privatdocententhums in voller Blüthe. Auch Rückert ver¬
schloß sich keineswegs dem fröhlichen, häufig von Humor übersprudelnden
Treiben dieser Kreise, welche sich das junge Jena nannten und in einer Art
von wissenschaftlichen Sturm- und Drangperiode lebten, worin sie gegen alles
in ihrem Sinne Veraltete leidenschaftliche Opposition machten: so in der spe¬
kulativen Philosophie zu Gunsten des Fries'schen Systems, für welches damals
Schleiden und Apelt warben; in der Griechischen Mythologie zu Gunsten
neuer Ansichten, welche Ludwig Preller zur Geltung brachte; in der Theo¬
logie zu Gunsten der von Tübingen ausgegangenen kritischen Richtung, mit
welcher Htlgenfeld wetteiferte; in der Philologie zu Gunsten der von Rückert
selbst betriebenen vergleichenden Linguistik; in der Pädagogik zu Gunsten der
Pestalozzi'schen Lehrmethode, welche Stop an seinem Knabeninstitut mit Er¬
folg handhabte; in der Botanik zu Gunsten der neuen Zellentheorie, in welcher
Schleiden arbeitete; in der Medicin zu Gunsten einer exaeteren Diagnose und
in Opposition gegen die damals durch Kieser und Huschke vertretene Oken'sche
Naturphilosophie. In solchem fröhlichen vielbewegten Treiben konnte Rückert
sich recht in seinem Elemente fühlen. Hier schloß er dauernde Freundschaften
mit jüngeren und älteren Genossen, welche sich von seinem geistvollen Um¬
gange mächtig angezogen fanden, und zu denen sich der Schreiber dieser Zeilen
selbst in erster Linie mitrechnet; hier begann seine reiche schriftstellerische Thä¬
tigkeit; hier übte er einen bedeutenden Einfluß aus die studirende Jugend aus.
Zwar war die Art seiner Kathedervortrage weder jene sorgfältig formulirte
und ausgearbeitete, noch jene rhetorische und einschneidende, womit man in
der Regel große Zuhörerkreise fesselt. Er durfte sich nur einfach so gehen
lassen, wie er war, damit man aus der Fülle seines Wissens immer reichlich


Huus, welches damals ein Mittelpunkt für die Pflege der classischen Musik
war, und zugleich nebenbei genauere Blicke in das preußische Staatswesen zu
thun, dessen Bewunderer und treuer Anhänger er von da an je länger je
mehr geworden ist. Nachdem er sich im Herbste 1844 in Berlin mit einer
Dissertation über den Erzbischof Eooo von Rheims den Doctorgrad erworben
hatte, habilitirte er sich zu Ostern 1845 in Jena als Docent für Geschichte
und deutsche Alterthumskunde.

Diese Jenenser Zeit von seinem 22. bis 29. Jahre war eine reiche und
bedeutungsvolle in seinem Leben, war seine eigentliche Entwickelung^ und
Blüthezeit, wozu Jena als ein von frei strebenden und fortschrittslustigen
Geistern immer vorzugsweise gern gewählter Wohnort wohl gerade der rich¬
tige Boden sein mochte. Hier herrschte ganz besonders damals jene scharfe poli¬
tische und wissenschaftliche Bewegung der Geister, welche dem Nevolutionsjahre
1848 voraus ging. Die Träger dieser geistigen Gährung und Unruhe waren in
Jena besonders die jungen Docenten, und eben zu dieser Zeit stand in Jena
das Institut des Privatdocententhums in voller Blüthe. Auch Rückert ver¬
schloß sich keineswegs dem fröhlichen, häufig von Humor übersprudelnden
Treiben dieser Kreise, welche sich das junge Jena nannten und in einer Art
von wissenschaftlichen Sturm- und Drangperiode lebten, worin sie gegen alles
in ihrem Sinne Veraltete leidenschaftliche Opposition machten: so in der spe¬
kulativen Philosophie zu Gunsten des Fries'schen Systems, für welches damals
Schleiden und Apelt warben; in der Griechischen Mythologie zu Gunsten
neuer Ansichten, welche Ludwig Preller zur Geltung brachte; in der Theo¬
logie zu Gunsten der von Tübingen ausgegangenen kritischen Richtung, mit
welcher Htlgenfeld wetteiferte; in der Philologie zu Gunsten der von Rückert
selbst betriebenen vergleichenden Linguistik; in der Pädagogik zu Gunsten der
Pestalozzi'schen Lehrmethode, welche Stop an seinem Knabeninstitut mit Er¬
folg handhabte; in der Botanik zu Gunsten der neuen Zellentheorie, in welcher
Schleiden arbeitete; in der Medicin zu Gunsten einer exaeteren Diagnose und
in Opposition gegen die damals durch Kieser und Huschke vertretene Oken'sche
Naturphilosophie. In solchem fröhlichen vielbewegten Treiben konnte Rückert
sich recht in seinem Elemente fühlen. Hier schloß er dauernde Freundschaften
mit jüngeren und älteren Genossen, welche sich von seinem geistvollen Um¬
gange mächtig angezogen fanden, und zu denen sich der Schreiber dieser Zeilen
selbst in erster Linie mitrechnet; hier begann seine reiche schriftstellerische Thä¬
tigkeit; hier übte er einen bedeutenden Einfluß aus die studirende Jugend aus.
Zwar war die Art seiner Kathedervortrage weder jene sorgfältig formulirte
und ausgearbeitete, noch jene rhetorische und einschneidende, womit man in
der Regel große Zuhörerkreise fesselt. Er durfte sich nur einfach so gehen
lassen, wie er war, damit man aus der Fülle seines Wissens immer reichlich


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[0212] Huus, welches damals ein Mittelpunkt für die Pflege der classischen Musik war, und zugleich nebenbei genauere Blicke in das preußische Staatswesen zu thun, dessen Bewunderer und treuer Anhänger er von da an je länger je mehr geworden ist. Nachdem er sich im Herbste 1844 in Berlin mit einer Dissertation über den Erzbischof Eooo von Rheims den Doctorgrad erworben hatte, habilitirte er sich zu Ostern 1845 in Jena als Docent für Geschichte und deutsche Alterthumskunde. Diese Jenenser Zeit von seinem 22. bis 29. Jahre war eine reiche und bedeutungsvolle in seinem Leben, war seine eigentliche Entwickelung^ und Blüthezeit, wozu Jena als ein von frei strebenden und fortschrittslustigen Geistern immer vorzugsweise gern gewählter Wohnort wohl gerade der rich¬ tige Boden sein mochte. Hier herrschte ganz besonders damals jene scharfe poli¬ tische und wissenschaftliche Bewegung der Geister, welche dem Nevolutionsjahre 1848 voraus ging. Die Träger dieser geistigen Gährung und Unruhe waren in Jena besonders die jungen Docenten, und eben zu dieser Zeit stand in Jena das Institut des Privatdocententhums in voller Blüthe. Auch Rückert ver¬ schloß sich keineswegs dem fröhlichen, häufig von Humor übersprudelnden Treiben dieser Kreise, welche sich das junge Jena nannten und in einer Art von wissenschaftlichen Sturm- und Drangperiode lebten, worin sie gegen alles in ihrem Sinne Veraltete leidenschaftliche Opposition machten: so in der spe¬ kulativen Philosophie zu Gunsten des Fries'schen Systems, für welches damals Schleiden und Apelt warben; in der Griechischen Mythologie zu Gunsten neuer Ansichten, welche Ludwig Preller zur Geltung brachte; in der Theo¬ logie zu Gunsten der von Tübingen ausgegangenen kritischen Richtung, mit welcher Htlgenfeld wetteiferte; in der Philologie zu Gunsten der von Rückert selbst betriebenen vergleichenden Linguistik; in der Pädagogik zu Gunsten der Pestalozzi'schen Lehrmethode, welche Stop an seinem Knabeninstitut mit Er¬ folg handhabte; in der Botanik zu Gunsten der neuen Zellentheorie, in welcher Schleiden arbeitete; in der Medicin zu Gunsten einer exaeteren Diagnose und in Opposition gegen die damals durch Kieser und Huschke vertretene Oken'sche Naturphilosophie. In solchem fröhlichen vielbewegten Treiben konnte Rückert sich recht in seinem Elemente fühlen. Hier schloß er dauernde Freundschaften mit jüngeren und älteren Genossen, welche sich von seinem geistvollen Um¬ gange mächtig angezogen fanden, und zu denen sich der Schreiber dieser Zeilen selbst in erster Linie mitrechnet; hier begann seine reiche schriftstellerische Thä¬ tigkeit; hier übte er einen bedeutenden Einfluß aus die studirende Jugend aus. Zwar war die Art seiner Kathedervortrage weder jene sorgfältig formulirte und ausgearbeitete, noch jene rhetorische und einschneidende, womit man in der Regel große Zuhörerkreise fesselt. Er durfte sich nur einfach so gehen lassen, wie er war, damit man aus der Fülle seines Wissens immer reichlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/212>, abgerufen am 25.08.2024.