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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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gegenwärtige man sich nur, wie ihre Leitung einheitlich sein muß. Jedem
Verwaltungsganzen eigene Anstalten schaffen zu wollen, käme leicht auf For¬
malismus, wohl auf Unmöglichkeiten hinaus. Es genügt, wenn die noth¬
wendigen Anstalten so oder so zur Verfügung stehen und man darf ver¬
trauen die trefflichen Schöpfungen des sächsischen Voluntarismus der sechsziger
Jahre dem Verwaltungssysteme von 1873 sich einpassen und gern einpassen
zu sehen.

Die sächsischen Kreise können ihrer Größe wegen die Landarmenlast viel¬
leicht besser übertragen und überwälzen, das spricht nicht unbedingt für die
Gestaltung der Kreise als Landarmenverbände. Diesem möglichen Uebelstande
wäre durch Zuschüsse an die Bezirke aus Kreis-, lieber noch aus Landes¬
mitteln zu begegnen, wie das Reichsgesetz (§ 8) sie ausdrücklich versucht.
Der sächsische Entwurf erkennt die Nothwendigkeit einer außerordentlichen
Staatsbeihülfe für den ersten Anfang wenigstens an. Die Reichsgesetzgebung
in ihren Wirkungen auf diese Weise zu mildern, empfiehlt sich mehr, als
Aenderungen in derselben anzustreben, die dann neue Mängel zum Vor¬
schein kommen lassen. Daß die Bezirke die Landarmenangelegenheiten un¬
schwer ohne weiteren Aufwand mitzubesorgen vermögen, verdient hervor¬
gehoben zu werden, wenn es auch von keiner tonangebenden Bedeutung er¬
scheinen kann.

Bei der Beurtheilung des sächsischen Entwurfs, wie bei den allgemeinen
Erwägungen über die dauernde Regelung des sächsischen Landarmenwesens, ist
der gestaltende Gesichtspunkt voranzustellen. Die Bezirke ("Kreise") bilden
seit Jahren in Baden die Landarmenverbände, ohne wesentliche Mängel
bemerkbar zu machen. In Sachsen würden die Dinge bei der gesteigerten
Leistungsfähigkeit der Bezirksverwaltungsorgane der Amtshauptmannschaften,
gewiß noch viel günstiger sich gestalten. Die Entwickelung der sächsischen
Kreise zu Landarmenverbänden bietet manches Verlockende dar, sie kann be¬
sonders einer Art großstaatlicher Regung reizend vorkommen: den herrschen¬
den Anschauungen sind solche Trugauffassungen fern. An der gegenwärtigen
Form der sächsischen Kreise soll und darf nicht gerüttelt werden, die Krets-
ausschüsse leisten unleugbar gute Dienste. Die Bezirke sind das Organ der
sächsischen inneren Verwaltung, auf dessen Durchbildung überall und immer
hinzuarbeiten ist. In Betreff de^ Gestaltung und Bestimmung der höheren
Verwaltung dürfen in Deutschland die Ansichten keineswegs für abgeschlossen
gelten, die früheren Verhältnisse wirken nach, sie hindern die reine unbefangene
Erfassung des gegenwärtigen Berufs der deutschen höheren Verwaltung. Der
bedeutsamen Aufgabe, welche der sächsische Gesetzgeber bei der dauernden
Regelung des Landarmenwesens sich gestellt sieht, ist nur gerecht zu werden,
wenn der neue Beruf der sächsischen höheren Verwaltung scharf und unde-


gegenwärtige man sich nur, wie ihre Leitung einheitlich sein muß. Jedem
Verwaltungsganzen eigene Anstalten schaffen zu wollen, käme leicht auf For¬
malismus, wohl auf Unmöglichkeiten hinaus. Es genügt, wenn die noth¬
wendigen Anstalten so oder so zur Verfügung stehen und man darf ver¬
trauen die trefflichen Schöpfungen des sächsischen Voluntarismus der sechsziger
Jahre dem Verwaltungssysteme von 1873 sich einpassen und gern einpassen
zu sehen.

Die sächsischen Kreise können ihrer Größe wegen die Landarmenlast viel¬
leicht besser übertragen und überwälzen, das spricht nicht unbedingt für die
Gestaltung der Kreise als Landarmenverbände. Diesem möglichen Uebelstande
wäre durch Zuschüsse an die Bezirke aus Kreis-, lieber noch aus Landes¬
mitteln zu begegnen, wie das Reichsgesetz (§ 8) sie ausdrücklich versucht.
Der sächsische Entwurf erkennt die Nothwendigkeit einer außerordentlichen
Staatsbeihülfe für den ersten Anfang wenigstens an. Die Reichsgesetzgebung
in ihren Wirkungen auf diese Weise zu mildern, empfiehlt sich mehr, als
Aenderungen in derselben anzustreben, die dann neue Mängel zum Vor¬
schein kommen lassen. Daß die Bezirke die Landarmenangelegenheiten un¬
schwer ohne weiteren Aufwand mitzubesorgen vermögen, verdient hervor¬
gehoben zu werden, wenn es auch von keiner tonangebenden Bedeutung er¬
scheinen kann.

Bei der Beurtheilung des sächsischen Entwurfs, wie bei den allgemeinen
Erwägungen über die dauernde Regelung des sächsischen Landarmenwesens, ist
der gestaltende Gesichtspunkt voranzustellen. Die Bezirke („Kreise") bilden
seit Jahren in Baden die Landarmenverbände, ohne wesentliche Mängel
bemerkbar zu machen. In Sachsen würden die Dinge bei der gesteigerten
Leistungsfähigkeit der Bezirksverwaltungsorgane der Amtshauptmannschaften,
gewiß noch viel günstiger sich gestalten. Die Entwickelung der sächsischen
Kreise zu Landarmenverbänden bietet manches Verlockende dar, sie kann be¬
sonders einer Art großstaatlicher Regung reizend vorkommen: den herrschen¬
den Anschauungen sind solche Trugauffassungen fern. An der gegenwärtigen
Form der sächsischen Kreise soll und darf nicht gerüttelt werden, die Krets-
ausschüsse leisten unleugbar gute Dienste. Die Bezirke sind das Organ der
sächsischen inneren Verwaltung, auf dessen Durchbildung überall und immer
hinzuarbeiten ist. In Betreff de^ Gestaltung und Bestimmung der höheren
Verwaltung dürfen in Deutschland die Ansichten keineswegs für abgeschlossen
gelten, die früheren Verhältnisse wirken nach, sie hindern die reine unbefangene
Erfassung des gegenwärtigen Berufs der deutschen höheren Verwaltung. Der
bedeutsamen Aufgabe, welche der sächsische Gesetzgeber bei der dauernden
Regelung des Landarmenwesens sich gestellt sieht, ist nur gerecht zu werden,
wenn der neue Beruf der sächsischen höheren Verwaltung scharf und unde-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/207>, abgerufen am 22.07.2024.