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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Nun entsteht die Frage: ist die Vermehrung der Zahl eingetreten durch Auf¬
steigen der untersten wtrthschaftlichen Stufen zur Klassensteuerfähigkeit, oder
durch Herabsinken bisher einkommensteuerpflichtiger Steuerzahler zur wirth¬
schaftlichen Stufe der Klassensteuer. Erfreulicherweise konnte der Finanz¬
minister erraren, daß die Vermehrung der Klassensteuerpflichtigen nicht durch
Herabsinken erfolgt ist, denn auch die Zahl der Einkommensteuerpflichtigen
hat sich vermehrt. Daraus folgt allerdings noch nicht, daß auch der Ertrag
der Einkommensteuer sich vermehrt hat; denn es könnte immer noch sein, daß
viele bisher zu hohen Stufen Eingeschätzte zu niedrigeren Stufen haben ein¬
geschätzt werden müssen. Indeß weist die Gesammtveranlagung der Ein¬
kommensteuer für 1876 eine kleine Erhöhung auf im Belaufe von 1,300,000
Mark.

Dürste man das Budget für 1876 als für sich bestehend betrachten, so
würde man keinen Anlaß zur Besorgniß finden. Bekanntlich hat aber der
Reichstag das Defizit für 1876 nur durch Anweisung älterer angesammelter
Bestände zur Bestreitung der laufenden Jahresausgaben decken wollen. Für
1877 wird also das aus den laufenden Reichseinnahmen keinesfalls bestreit¬
bare Ausgabequantum durch eine erhebliche Vergrößerung der Matrikularbei-
träge gedeckt werden müssen. Die Frage ist also: wie wird der preußische
Staat, den jede Erhöhung der Matrikularbeiträge mit der größten Summe
trifft, der zu erwartenden Anforderung des Reiches genügen können? Der
Finanzminister konnte nicht umhin, diese Frage zu berühren. Er erklärte
indeß, daß er trotz dieser bevorstehenden Frage keinen Anstand genommen
habe, Mehrverwendungen für innere Zwecke des preußischen Staates im Haus¬
halt für 1876 in Vorschlag zu bringen. Herr Camphausen fügte hinzu, daß
er sich auf die Vertreter des Landes verlasse, dieselben würden später mit der
Regierung die Sorge zur Beschaffung der erforderlichen Einnahmen übernehmen.
Es ist angezeigt, den Leser an die Rede zu erinnern, welche der Finanz¬
minister am 20. November v. I. im Reichstag in seiner Eigenschaft als Bun¬
desbevollmächtigter hielt. Bei jener Gelegenheit versicherte er, es sei durchaus
nicht die Rücksicht auf den preußischen Haushalt, welche ihn veranlasse, die
Vermehrung der Reichseinnahmen durch die in Vorschlag gebrachten neuen
Reichssteuern -- Erhöhung der Brausteuer und Börsensteuer -- zu befür¬
worten. Herr Camphausen fügte damals hinzu, das Wort "unmöglich" stehe
nicht in seinem Wörterbuch oder doch nur mit so kleinen Buchstaben, daß er
es mit seiner gewöhnlichen Brille nicht lesen könne. Er wollte also sagen:
auch die größte Forderung von Seiten des Reichs an den preußischen Haus¬
halt werde ihn nicht in Verlegenheit bringen, vielmehr werde er die Mittel
finden, jeder solchen Forderung zu begegnen.

So erfreulich nun solche Zuversicht ist, so sind wir leider nicht im


Nun entsteht die Frage: ist die Vermehrung der Zahl eingetreten durch Auf¬
steigen der untersten wtrthschaftlichen Stufen zur Klassensteuerfähigkeit, oder
durch Herabsinken bisher einkommensteuerpflichtiger Steuerzahler zur wirth¬
schaftlichen Stufe der Klassensteuer. Erfreulicherweise konnte der Finanz¬
minister erraren, daß die Vermehrung der Klassensteuerpflichtigen nicht durch
Herabsinken erfolgt ist, denn auch die Zahl der Einkommensteuerpflichtigen
hat sich vermehrt. Daraus folgt allerdings noch nicht, daß auch der Ertrag
der Einkommensteuer sich vermehrt hat; denn es könnte immer noch sein, daß
viele bisher zu hohen Stufen Eingeschätzte zu niedrigeren Stufen haben ein¬
geschätzt werden müssen. Indeß weist die Gesammtveranlagung der Ein¬
kommensteuer für 1876 eine kleine Erhöhung auf im Belaufe von 1,300,000
Mark.

Dürste man das Budget für 1876 als für sich bestehend betrachten, so
würde man keinen Anlaß zur Besorgniß finden. Bekanntlich hat aber der
Reichstag das Defizit für 1876 nur durch Anweisung älterer angesammelter
Bestände zur Bestreitung der laufenden Jahresausgaben decken wollen. Für
1877 wird also das aus den laufenden Reichseinnahmen keinesfalls bestreit¬
bare Ausgabequantum durch eine erhebliche Vergrößerung der Matrikularbei-
träge gedeckt werden müssen. Die Frage ist also: wie wird der preußische
Staat, den jede Erhöhung der Matrikularbeiträge mit der größten Summe
trifft, der zu erwartenden Anforderung des Reiches genügen können? Der
Finanzminister konnte nicht umhin, diese Frage zu berühren. Er erklärte
indeß, daß er trotz dieser bevorstehenden Frage keinen Anstand genommen
habe, Mehrverwendungen für innere Zwecke des preußischen Staates im Haus¬
halt für 1876 in Vorschlag zu bringen. Herr Camphausen fügte hinzu, daß
er sich auf die Vertreter des Landes verlasse, dieselben würden später mit der
Regierung die Sorge zur Beschaffung der erforderlichen Einnahmen übernehmen.
Es ist angezeigt, den Leser an die Rede zu erinnern, welche der Finanz¬
minister am 20. November v. I. im Reichstag in seiner Eigenschaft als Bun¬
desbevollmächtigter hielt. Bei jener Gelegenheit versicherte er, es sei durchaus
nicht die Rücksicht auf den preußischen Haushalt, welche ihn veranlasse, die
Vermehrung der Reichseinnahmen durch die in Vorschlag gebrachten neuen
Reichssteuern — Erhöhung der Brausteuer und Börsensteuer — zu befür¬
worten. Herr Camphausen fügte damals hinzu, das Wort „unmöglich" stehe
nicht in seinem Wörterbuch oder doch nur mit so kleinen Buchstaben, daß er
es mit seiner gewöhnlichen Brille nicht lesen könne. Er wollte also sagen:
auch die größte Forderung von Seiten des Reichs an den preußischen Haus¬
halt werde ihn nicht in Verlegenheit bringen, vielmehr werde er die Mittel
finden, jeder solchen Forderung zu begegnen.

So erfreulich nun solche Zuversicht ist, so sind wir leider nicht im


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[0198] Nun entsteht die Frage: ist die Vermehrung der Zahl eingetreten durch Auf¬ steigen der untersten wtrthschaftlichen Stufen zur Klassensteuerfähigkeit, oder durch Herabsinken bisher einkommensteuerpflichtiger Steuerzahler zur wirth¬ schaftlichen Stufe der Klassensteuer. Erfreulicherweise konnte der Finanz¬ minister erraren, daß die Vermehrung der Klassensteuerpflichtigen nicht durch Herabsinken erfolgt ist, denn auch die Zahl der Einkommensteuerpflichtigen hat sich vermehrt. Daraus folgt allerdings noch nicht, daß auch der Ertrag der Einkommensteuer sich vermehrt hat; denn es könnte immer noch sein, daß viele bisher zu hohen Stufen Eingeschätzte zu niedrigeren Stufen haben ein¬ geschätzt werden müssen. Indeß weist die Gesammtveranlagung der Ein¬ kommensteuer für 1876 eine kleine Erhöhung auf im Belaufe von 1,300,000 Mark. Dürste man das Budget für 1876 als für sich bestehend betrachten, so würde man keinen Anlaß zur Besorgniß finden. Bekanntlich hat aber der Reichstag das Defizit für 1876 nur durch Anweisung älterer angesammelter Bestände zur Bestreitung der laufenden Jahresausgaben decken wollen. Für 1877 wird also das aus den laufenden Reichseinnahmen keinesfalls bestreit¬ bare Ausgabequantum durch eine erhebliche Vergrößerung der Matrikularbei- träge gedeckt werden müssen. Die Frage ist also: wie wird der preußische Staat, den jede Erhöhung der Matrikularbeiträge mit der größten Summe trifft, der zu erwartenden Anforderung des Reiches genügen können? Der Finanzminister konnte nicht umhin, diese Frage zu berühren. Er erklärte indeß, daß er trotz dieser bevorstehenden Frage keinen Anstand genommen habe, Mehrverwendungen für innere Zwecke des preußischen Staates im Haus¬ halt für 1876 in Vorschlag zu bringen. Herr Camphausen fügte hinzu, daß er sich auf die Vertreter des Landes verlasse, dieselben würden später mit der Regierung die Sorge zur Beschaffung der erforderlichen Einnahmen übernehmen. Es ist angezeigt, den Leser an die Rede zu erinnern, welche der Finanz¬ minister am 20. November v. I. im Reichstag in seiner Eigenschaft als Bun¬ desbevollmächtigter hielt. Bei jener Gelegenheit versicherte er, es sei durchaus nicht die Rücksicht auf den preußischen Haushalt, welche ihn veranlasse, die Vermehrung der Reichseinnahmen durch die in Vorschlag gebrachten neuen Reichssteuern — Erhöhung der Brausteuer und Börsensteuer — zu befür¬ worten. Herr Camphausen fügte damals hinzu, das Wort „unmöglich" stehe nicht in seinem Wörterbuch oder doch nur mit so kleinen Buchstaben, daß er es mit seiner gewöhnlichen Brille nicht lesen könne. Er wollte also sagen: auch die größte Forderung von Seiten des Reichs an den preußischen Haus¬ halt werde ihn nicht in Verlegenheit bringen, vielmehr werde er die Mittel finden, jeder solchen Forderung zu begegnen. So erfreulich nun solche Zuversicht ist, so sind wir leider nicht im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/198>, abgerufen am 19.10.2024.