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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Da steckt also das Deficit. Du hast die fünfte Stufe verschüttet, Tolpatsch!
So werden wir also Deine Frau als fünf Stufen herabgefallen behandeln."
Und er gab dem Bauer fünf Päckchen und ebenso viele Gläser, alles mit la¬
teinischen Aufschriften versehen. "Ich hätte geglaubt," sagte mein Onkel, "daß
Sie vor Allem einen reichlichen Aderlaß verordnen würden." -- "Wenn's ein
Fall von einem Pferde oder einem Baume herab wäre, ja; aber ein Fall
auf einer Vortreppe wird immer so behandelt."

Nach dem Bauer kam ein junges Mädchen. "Nun," sagte der Doctor,
"was macht Deine Mutter?" -- "Es geht viel besser, Herr Minxit; aber sie
will nicht zu Kräften kommen, und sie läßt Sie fragen, was sie thun soll."
-- "Du fragst mich, was zu thun ist, und ich wette, daß Ihr keinen rothen
Heller habt, um die Mittel zu bezahlen." -- "Ach nein, bester Herr Minxit;
denn mein Vater ist seit acht Tagen ohne Arbeit." -- "Wenn das ist, warum
zum Kukuk läßt sich Deine Mutter auch einfallen, krank zu werden?" --
"Seien Sie ruhig, Herr Minxit; sobald mein Vater arbeitet, werden Sie be¬
zahlt für Ihre Besuche, er hat mir besonders aufgetragen, Ihnen das zu
sagen." -- "Schön, das ist noch größerer Unsinn. Ist er denn nicht bei
Troste, Dein Vater, daß er mir meine Besuche bezahlen will, wenn er kein
Brot hat? Für wen hält er mich denn. Dein Einfaltspinsel von Vater?
Du kommst heut Abend mit Deinem Esel an meine Mühle und holst einen
Sack voll Mehl, und jetzt nimmst Du einen Korb voll alten Wein und ein
Lammviertel mit; das ist die Arzenei, die Deine Mutter zur Zeit braucht.
Wenn ihr von heut in zwei oder drei Tagen die Kräfte nicht wieder kommen,
so laß es mir sagen. Geh mein Kind." -- "Nun," sagte Herr Minxit, "wie
findest Du die Urinmedizin?"

Das nächste Kapitel enthält eine höchst komische Disputation zwischen
dem Pfarrer von Corvol und Onkel Benjamin, hervorgerufen dadurch, daß
letzterer in Mulot als ewiger Jude ein Wunder gethan und den Bauern
weiß gemacht hat, seine Schwester auf ihrem Esel sei die Mutter Gottes,
weshalb jetzt die Weiber der.Gegend in Schaaren kommen und dem Grau¬
thiere Haare aus dem Schwänze ziehen, um sie als Reliquien aufzubewahren.
Wir deuten von dieser Unterredung nur an, daß unser französischer Eulen¬
spiegel mit viel Frivolität und noch mehr Witz den Beweis antritt und führt,
die Reimchronik von Brüssel sei so glaubwürdig als die Evangelien, die Fabel
vom ewigen Juden also ebenso wahr als die Geschichte von Jesus.




Da steckt also das Deficit. Du hast die fünfte Stufe verschüttet, Tolpatsch!
So werden wir also Deine Frau als fünf Stufen herabgefallen behandeln."
Und er gab dem Bauer fünf Päckchen und ebenso viele Gläser, alles mit la¬
teinischen Aufschriften versehen. „Ich hätte geglaubt," sagte mein Onkel, „daß
Sie vor Allem einen reichlichen Aderlaß verordnen würden." — „Wenn's ein
Fall von einem Pferde oder einem Baume herab wäre, ja; aber ein Fall
auf einer Vortreppe wird immer so behandelt."

Nach dem Bauer kam ein junges Mädchen. „Nun," sagte der Doctor,
„was macht Deine Mutter?" — „Es geht viel besser, Herr Minxit; aber sie
will nicht zu Kräften kommen, und sie läßt Sie fragen, was sie thun soll."
— „Du fragst mich, was zu thun ist, und ich wette, daß Ihr keinen rothen
Heller habt, um die Mittel zu bezahlen." — „Ach nein, bester Herr Minxit;
denn mein Vater ist seit acht Tagen ohne Arbeit." — „Wenn das ist, warum
zum Kukuk läßt sich Deine Mutter auch einfallen, krank zu werden?" —
„Seien Sie ruhig, Herr Minxit; sobald mein Vater arbeitet, werden Sie be¬
zahlt für Ihre Besuche, er hat mir besonders aufgetragen, Ihnen das zu
sagen." — „Schön, das ist noch größerer Unsinn. Ist er denn nicht bei
Troste, Dein Vater, daß er mir meine Besuche bezahlen will, wenn er kein
Brot hat? Für wen hält er mich denn. Dein Einfaltspinsel von Vater?
Du kommst heut Abend mit Deinem Esel an meine Mühle und holst einen
Sack voll Mehl, und jetzt nimmst Du einen Korb voll alten Wein und ein
Lammviertel mit; das ist die Arzenei, die Deine Mutter zur Zeit braucht.
Wenn ihr von heut in zwei oder drei Tagen die Kräfte nicht wieder kommen,
so laß es mir sagen. Geh mein Kind." — „Nun," sagte Herr Minxit, „wie
findest Du die Urinmedizin?"

Das nächste Kapitel enthält eine höchst komische Disputation zwischen
dem Pfarrer von Corvol und Onkel Benjamin, hervorgerufen dadurch, daß
letzterer in Mulot als ewiger Jude ein Wunder gethan und den Bauern
weiß gemacht hat, seine Schwester auf ihrem Esel sei die Mutter Gottes,
weshalb jetzt die Weiber der.Gegend in Schaaren kommen und dem Grau¬
thiere Haare aus dem Schwänze ziehen, um sie als Reliquien aufzubewahren.
Wir deuten von dieser Unterredung nur an, daß unser französischer Eulen¬
spiegel mit viel Frivolität und noch mehr Witz den Beweis antritt und führt,
die Reimchronik von Brüssel sei so glaubwürdig als die Evangelien, die Fabel
vom ewigen Juden also ebenso wahr als die Geschichte von Jesus.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/191>, abgerufen am 22.07.2024.