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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Gerichtshofes vorliegt, welche in einem dem Falle Thomas gleichen
Falle den Schuldigen nicht mit der höchsten Strafe belegt, über die
wir verfügen, so lange wird man ein Specialgesetz nicht für gerechtfertigt
halten dürfen.

Die höchste Strafe aber, über welche wir verfügen, ist die einfache Todes¬
strafe, und darüber hinaus erscheint h. z. T. keine weitere Strafe möglich:
an Rädern, Verbrennen, Viertheilen, Zwicken mit glühenden Zangen wird
doch Niemand mehr denken wollen. Die Todesstrafe ist aber bei uns und
wird bei allen Culturvölkern, abgesehen von einigen politischen und milt-
tairischen Verbrechen, die specifische Strafe des vollendeten Mordes; möglich,
daß sie auch hier allmälig verschwindet, etwa der lebenslänglichen Zuchthaus¬
strafe Platz macht. Immer wird der vollendete Mord das schwerste Ver¬
brechen bleiben. Der legislative Versuch, diesem Verbrechen andere gleich¬
zustellen, wird stets zu unerträglichen Härten führen, und haben wir doch
eben erst in Deutschland unter allgemeiner Zustimmung die früher in
manchen Particular-Strafgesetzbüchern für schwere Fälle der Brandstiftung,-
insbesondere solche, bei denen ein Mensch das Leben verlor, angedrohte Todes¬
strafe beseitigt.

Das juristische Interesse des Falles Thomas besteht also in der Be¬
antwortung der Frage: konnte Thomas wegen vollendeten Mordes bestraft
werden? Das Verbrechen ist ein so entsetzliches, Jammer und Thränen, die
es verursacht hat, treffen eine so große Anzahl von Personen, die raffinirte
und kaltblütige Ueberlegung. die Gemeinheit seines Motivs ist der Art, daß
in der That dem allgemeinen Rechtsbewuhtsein nur mit der Zuerkennung
der absolut höchsten Strafe Genüge geschehen sein würde. Wäre aber
jene Frage zu bejahen, so wäre unser Strafrecht solchen Thaten gegenüber
doch genügend gewaffnet, und es bedürfte keines Specialgesetzes.

Daß durch eine Handlung des Thomas eine große Anzahl von
Menschen das Leben verloren hat, ist unbestreitbar. Niemand wird zweifeln,
daß Derjenige, der eine mit Dynamik gefüllte Kiste unter Vernachlässigung
der üblichen Vorsichtsmaßregeln verschickt, insbesondere mit Unterlassung der
erforderlichen Declaration, welche den Schiffer und Frachtführer auf die Ge¬
fährlichkeit des Stoffes aufmerksam macht, auch wegen fahrlässiger Tödtung
zu bestrafen sei, wenn die Kiste explodirt, und eine Anzahl von Menschen
dadurch getödtet wird. Auch das Moment der Ueberlegung, welche das
Strafgesetzbuch beim Morde zum Unterschiede vom Todtschlage fordert, bedarf
bei dem lange geplanten Unternehmen des Thomas keines weiteren Nachweises.
Dagegen ist die erste Hauptfrage: Hatte Thomas die Absicht oder wie das
Strafgesetzbuch sich ausdrückt den Vorsatz einen oder mehrere Menschen zu
tödten. Der Laie wird geneigt sein, diese Frage zu verneinen, und selbst


Gerichtshofes vorliegt, welche in einem dem Falle Thomas gleichen
Falle den Schuldigen nicht mit der höchsten Strafe belegt, über die
wir verfügen, so lange wird man ein Specialgesetz nicht für gerechtfertigt
halten dürfen.

Die höchste Strafe aber, über welche wir verfügen, ist die einfache Todes¬
strafe, und darüber hinaus erscheint h. z. T. keine weitere Strafe möglich:
an Rädern, Verbrennen, Viertheilen, Zwicken mit glühenden Zangen wird
doch Niemand mehr denken wollen. Die Todesstrafe ist aber bei uns und
wird bei allen Culturvölkern, abgesehen von einigen politischen und milt-
tairischen Verbrechen, die specifische Strafe des vollendeten Mordes; möglich,
daß sie auch hier allmälig verschwindet, etwa der lebenslänglichen Zuchthaus¬
strafe Platz macht. Immer wird der vollendete Mord das schwerste Ver¬
brechen bleiben. Der legislative Versuch, diesem Verbrechen andere gleich¬
zustellen, wird stets zu unerträglichen Härten führen, und haben wir doch
eben erst in Deutschland unter allgemeiner Zustimmung die früher in
manchen Particular-Strafgesetzbüchern für schwere Fälle der Brandstiftung,-
insbesondere solche, bei denen ein Mensch das Leben verlor, angedrohte Todes¬
strafe beseitigt.

Das juristische Interesse des Falles Thomas besteht also in der Be¬
antwortung der Frage: konnte Thomas wegen vollendeten Mordes bestraft
werden? Das Verbrechen ist ein so entsetzliches, Jammer und Thränen, die
es verursacht hat, treffen eine so große Anzahl von Personen, die raffinirte
und kaltblütige Ueberlegung. die Gemeinheit seines Motivs ist der Art, daß
in der That dem allgemeinen Rechtsbewuhtsein nur mit der Zuerkennung
der absolut höchsten Strafe Genüge geschehen sein würde. Wäre aber
jene Frage zu bejahen, so wäre unser Strafrecht solchen Thaten gegenüber
doch genügend gewaffnet, und es bedürfte keines Specialgesetzes.

Daß durch eine Handlung des Thomas eine große Anzahl von
Menschen das Leben verloren hat, ist unbestreitbar. Niemand wird zweifeln,
daß Derjenige, der eine mit Dynamik gefüllte Kiste unter Vernachlässigung
der üblichen Vorsichtsmaßregeln verschickt, insbesondere mit Unterlassung der
erforderlichen Declaration, welche den Schiffer und Frachtführer auf die Ge¬
fährlichkeit des Stoffes aufmerksam macht, auch wegen fahrlässiger Tödtung
zu bestrafen sei, wenn die Kiste explodirt, und eine Anzahl von Menschen
dadurch getödtet wird. Auch das Moment der Ueberlegung, welche das
Strafgesetzbuch beim Morde zum Unterschiede vom Todtschlage fordert, bedarf
bei dem lange geplanten Unternehmen des Thomas keines weiteren Nachweises.
Dagegen ist die erste Hauptfrage: Hatte Thomas die Absicht oder wie das
Strafgesetzbuch sich ausdrückt den Vorsatz einen oder mehrere Menschen zu
tödten. Der Laie wird geneigt sein, diese Frage zu verneinen, und selbst


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[0172] Gerichtshofes vorliegt, welche in einem dem Falle Thomas gleichen Falle den Schuldigen nicht mit der höchsten Strafe belegt, über die wir verfügen, so lange wird man ein Specialgesetz nicht für gerechtfertigt halten dürfen. Die höchste Strafe aber, über welche wir verfügen, ist die einfache Todes¬ strafe, und darüber hinaus erscheint h. z. T. keine weitere Strafe möglich: an Rädern, Verbrennen, Viertheilen, Zwicken mit glühenden Zangen wird doch Niemand mehr denken wollen. Die Todesstrafe ist aber bei uns und wird bei allen Culturvölkern, abgesehen von einigen politischen und milt- tairischen Verbrechen, die specifische Strafe des vollendeten Mordes; möglich, daß sie auch hier allmälig verschwindet, etwa der lebenslänglichen Zuchthaus¬ strafe Platz macht. Immer wird der vollendete Mord das schwerste Ver¬ brechen bleiben. Der legislative Versuch, diesem Verbrechen andere gleich¬ zustellen, wird stets zu unerträglichen Härten führen, und haben wir doch eben erst in Deutschland unter allgemeiner Zustimmung die früher in manchen Particular-Strafgesetzbüchern für schwere Fälle der Brandstiftung,- insbesondere solche, bei denen ein Mensch das Leben verlor, angedrohte Todes¬ strafe beseitigt. Das juristische Interesse des Falles Thomas besteht also in der Be¬ antwortung der Frage: konnte Thomas wegen vollendeten Mordes bestraft werden? Das Verbrechen ist ein so entsetzliches, Jammer und Thränen, die es verursacht hat, treffen eine so große Anzahl von Personen, die raffinirte und kaltblütige Ueberlegung. die Gemeinheit seines Motivs ist der Art, daß in der That dem allgemeinen Rechtsbewuhtsein nur mit der Zuerkennung der absolut höchsten Strafe Genüge geschehen sein würde. Wäre aber jene Frage zu bejahen, so wäre unser Strafrecht solchen Thaten gegenüber doch genügend gewaffnet, und es bedürfte keines Specialgesetzes. Daß durch eine Handlung des Thomas eine große Anzahl von Menschen das Leben verloren hat, ist unbestreitbar. Niemand wird zweifeln, daß Derjenige, der eine mit Dynamik gefüllte Kiste unter Vernachlässigung der üblichen Vorsichtsmaßregeln verschickt, insbesondere mit Unterlassung der erforderlichen Declaration, welche den Schiffer und Frachtführer auf die Ge¬ fährlichkeit des Stoffes aufmerksam macht, auch wegen fahrlässiger Tödtung zu bestrafen sei, wenn die Kiste explodirt, und eine Anzahl von Menschen dadurch getödtet wird. Auch das Moment der Ueberlegung, welche das Strafgesetzbuch beim Morde zum Unterschiede vom Todtschlage fordert, bedarf bei dem lange geplanten Unternehmen des Thomas keines weiteren Nachweises. Dagegen ist die erste Hauptfrage: Hatte Thomas die Absicht oder wie das Strafgesetzbuch sich ausdrückt den Vorsatz einen oder mehrere Menschen zu tödten. Der Laie wird geneigt sein, diese Frage zu verneinen, und selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/172>, abgerufen am 24.08.2024.