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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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gebildet werden sollten, sondern, wie man sich ausdrückte, durch eine Fil¬
tration, nämlich so, daß die Gemeinde-Kirchenräthe die Wahlkörper für die
Kreissynoden, letztere die Wahlkörper für die Provinzialsynoden, letztere die
Wahlkörper für die Generalsynoden bildeten. Außerdem tadelte man, daß
die höheren repräsentativen Organe nicht durch eine passiv ganz freie Wahl,
ohne Rücksicht auf den Unterschied von Geistlichen und Laieo vollständig
zusammengesetzt werden sollten. Es leuchtet indeß ein, daß gerade nur durch
die sogenannte Filtration und ferner durch das Erforderniß einer bestimmten
Zahl geistlicher Mitglieder der verschiedenen Synoden den repräsentativen
Organen der kirchliche Charakter bewahrt werden konnte. Gleichwohl hat in
Bezug auf die Bildung der Synoden das Kirchenregiment bei Vorlegung der
Generalsynodalordnung an die liberale öffentliche Meinung ein ferneres Zu-
geständniß gemacht. Es wurde nämlich eine Abänderung der Kirchenver¬
fassung vom 10. September vorgelegt, dahin zielend, zu Wahlkörpern für die
Kreissynoden nicht, wie in der ursprünglichen Verfassung bestimmt war, die
Kirchengemeinderäthe allein, sondern diese in Gemeinschaft mit den Kirchen¬
gemeindevertretungen zu machen. Außerdem wurde durch ein den größern
Gemeinden beigelegtes erweitertes Wahlrecht eine Verstärkung des Laien¬
elementes in den Kreissynoden herbeigeführt.

Die in sehr milder Weise geführten Meinungskämpse auf der außer¬
ordentlichen Generalsynode bewegten sich um folgende drei Hauptpunkte:
Erstlich um die eben beschriebene Erweiterung des activen Wahlrechts zu den
Synoden, welche einem Theil der Mitglieder in hohem Grade gefahrbringend
erschien, während der einzige Vertreter des Liberalismus die Bildung sämmt¬
licher Synodalstufen durch Urwähler vermißte. Der zweite Gegensatz auf der
außerordentlichen Generalsynode bewegte sich um die Ausdehnung des tires.
lichen Gesetzgebungsrechtes. Soll dieses Recht die Geltung der Bekenntni߬
schriften beider Confessionen der Landeskirche umfassen, oder dieselbe auf
immer unberührt lassen? Der dritte Gegensatz ist im Grunde nur eine
andere Gestalt des zweiten, obwohl er mit der Selbständigkeit, die einer
eigenthümlichen Wurzel zu entstammen scheinen könnte, hervortrat. Dieser
dritte Gegensatz betraf die Competenz der Centralorgane des Kirchen¬
regiments, Ober-Kirchenrath und Generalsynode, gegenüber den Lokalge,
meinten einerseits und gegenüber den Provinzialsynoden andererseits. Der
ewige deutsche Gegensatz der sogenannten Decentralisation gegen die Cen¬
tralisation, das unausrottbare deutsche Erbübel dieses Gegensatzes trat auch
hier wieder hervor.

Der erste Punkt, die Erweiterung des Wahlrechtes, wurde nach der
Vorlage der Regierung angenommen unter ebenso aufrichtigen als unnöthigen
Herzbeklemmungen vieler Mitglieder der rechten Seite. Wenn erst einmal die


Grenzboten I. 1876. 19

gebildet werden sollten, sondern, wie man sich ausdrückte, durch eine Fil¬
tration, nämlich so, daß die Gemeinde-Kirchenräthe die Wahlkörper für die
Kreissynoden, letztere die Wahlkörper für die Provinzialsynoden, letztere die
Wahlkörper für die Generalsynoden bildeten. Außerdem tadelte man, daß
die höheren repräsentativen Organe nicht durch eine passiv ganz freie Wahl,
ohne Rücksicht auf den Unterschied von Geistlichen und Laieo vollständig
zusammengesetzt werden sollten. Es leuchtet indeß ein, daß gerade nur durch
die sogenannte Filtration und ferner durch das Erforderniß einer bestimmten
Zahl geistlicher Mitglieder der verschiedenen Synoden den repräsentativen
Organen der kirchliche Charakter bewahrt werden konnte. Gleichwohl hat in
Bezug auf die Bildung der Synoden das Kirchenregiment bei Vorlegung der
Generalsynodalordnung an die liberale öffentliche Meinung ein ferneres Zu-
geständniß gemacht. Es wurde nämlich eine Abänderung der Kirchenver¬
fassung vom 10. September vorgelegt, dahin zielend, zu Wahlkörpern für die
Kreissynoden nicht, wie in der ursprünglichen Verfassung bestimmt war, die
Kirchengemeinderäthe allein, sondern diese in Gemeinschaft mit den Kirchen¬
gemeindevertretungen zu machen. Außerdem wurde durch ein den größern
Gemeinden beigelegtes erweitertes Wahlrecht eine Verstärkung des Laien¬
elementes in den Kreissynoden herbeigeführt.

Die in sehr milder Weise geführten Meinungskämpse auf der außer¬
ordentlichen Generalsynode bewegten sich um folgende drei Hauptpunkte:
Erstlich um die eben beschriebene Erweiterung des activen Wahlrechts zu den
Synoden, welche einem Theil der Mitglieder in hohem Grade gefahrbringend
erschien, während der einzige Vertreter des Liberalismus die Bildung sämmt¬
licher Synodalstufen durch Urwähler vermißte. Der zweite Gegensatz auf der
außerordentlichen Generalsynode bewegte sich um die Ausdehnung des tires.
lichen Gesetzgebungsrechtes. Soll dieses Recht die Geltung der Bekenntni߬
schriften beider Confessionen der Landeskirche umfassen, oder dieselbe auf
immer unberührt lassen? Der dritte Gegensatz ist im Grunde nur eine
andere Gestalt des zweiten, obwohl er mit der Selbständigkeit, die einer
eigenthümlichen Wurzel zu entstammen scheinen könnte, hervortrat. Dieser
dritte Gegensatz betraf die Competenz der Centralorgane des Kirchen¬
regiments, Ober-Kirchenrath und Generalsynode, gegenüber den Lokalge,
meinten einerseits und gegenüber den Provinzialsynoden andererseits. Der
ewige deutsche Gegensatz der sogenannten Decentralisation gegen die Cen¬
tralisation, das unausrottbare deutsche Erbübel dieses Gegensatzes trat auch
hier wieder hervor.

Der erste Punkt, die Erweiterung des Wahlrechtes, wurde nach der
Vorlage der Regierung angenommen unter ebenso aufrichtigen als unnöthigen
Herzbeklemmungen vieler Mitglieder der rechten Seite. Wenn erst einmal die


Grenzboten I. 1876. 19
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[0153] gebildet werden sollten, sondern, wie man sich ausdrückte, durch eine Fil¬ tration, nämlich so, daß die Gemeinde-Kirchenräthe die Wahlkörper für die Kreissynoden, letztere die Wahlkörper für die Provinzialsynoden, letztere die Wahlkörper für die Generalsynoden bildeten. Außerdem tadelte man, daß die höheren repräsentativen Organe nicht durch eine passiv ganz freie Wahl, ohne Rücksicht auf den Unterschied von Geistlichen und Laieo vollständig zusammengesetzt werden sollten. Es leuchtet indeß ein, daß gerade nur durch die sogenannte Filtration und ferner durch das Erforderniß einer bestimmten Zahl geistlicher Mitglieder der verschiedenen Synoden den repräsentativen Organen der kirchliche Charakter bewahrt werden konnte. Gleichwohl hat in Bezug auf die Bildung der Synoden das Kirchenregiment bei Vorlegung der Generalsynodalordnung an die liberale öffentliche Meinung ein ferneres Zu- geständniß gemacht. Es wurde nämlich eine Abänderung der Kirchenver¬ fassung vom 10. September vorgelegt, dahin zielend, zu Wahlkörpern für die Kreissynoden nicht, wie in der ursprünglichen Verfassung bestimmt war, die Kirchengemeinderäthe allein, sondern diese in Gemeinschaft mit den Kirchen¬ gemeindevertretungen zu machen. Außerdem wurde durch ein den größern Gemeinden beigelegtes erweitertes Wahlrecht eine Verstärkung des Laien¬ elementes in den Kreissynoden herbeigeführt. Die in sehr milder Weise geführten Meinungskämpse auf der außer¬ ordentlichen Generalsynode bewegten sich um folgende drei Hauptpunkte: Erstlich um die eben beschriebene Erweiterung des activen Wahlrechts zu den Synoden, welche einem Theil der Mitglieder in hohem Grade gefahrbringend erschien, während der einzige Vertreter des Liberalismus die Bildung sämmt¬ licher Synodalstufen durch Urwähler vermißte. Der zweite Gegensatz auf der außerordentlichen Generalsynode bewegte sich um die Ausdehnung des tires. lichen Gesetzgebungsrechtes. Soll dieses Recht die Geltung der Bekenntni߬ schriften beider Confessionen der Landeskirche umfassen, oder dieselbe auf immer unberührt lassen? Der dritte Gegensatz ist im Grunde nur eine andere Gestalt des zweiten, obwohl er mit der Selbständigkeit, die einer eigenthümlichen Wurzel zu entstammen scheinen könnte, hervortrat. Dieser dritte Gegensatz betraf die Competenz der Centralorgane des Kirchen¬ regiments, Ober-Kirchenrath und Generalsynode, gegenüber den Lokalge, meinten einerseits und gegenüber den Provinzialsynoden andererseits. Der ewige deutsche Gegensatz der sogenannten Decentralisation gegen die Cen¬ tralisation, das unausrottbare deutsche Erbübel dieses Gegensatzes trat auch hier wieder hervor. Der erste Punkt, die Erweiterung des Wahlrechtes, wurde nach der Vorlage der Regierung angenommen unter ebenso aufrichtigen als unnöthigen Herzbeklemmungen vieler Mitglieder der rechten Seite. Wenn erst einmal die Grenzboten I. 1876. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/153>, abgerufen am 19.10.2024.