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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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heraus geschlagen werden. Drei tiefe Wunden von Hellebarden und Speeren
hatten dem Leben Karl's des Kühnen ein Ende gemacht. -- Seinem Rang
gemäß wurde der Fürst vor dem Hochaltar der Se. Georgskirche in Nancy
begraben. Als er in reichem Todtenschmuck auf der Bahre lag, kamen seine
Freunde und Verwandten, um "ihrem guten Herrn" den letzten Zoll der
Liebe darzubringen. Unter ihnen erschien auch Herzog Rene. Er war, nach
Brauch der alten Paladine, mit einem aus Goldfäden gewirkten Barte be¬
hängt, der ihm bis an den Gürtel reichte, zum Zeichen, daß er den Sieg er¬
kämpft und sein fürstlicher Gegner im Kampfe gefallen sei -- eine seltsame
hochalterthümliche Sitte, die uns auch bei den Römern begegnet. Tief gerührt
ergriff Rene des Todten Hand. "Lss-u cousin!" sprach er. "Vo- ü.mes s.it
Vihu. Vous nous a,ve2 tuit moule Ah irmux et as äouleur." *) -- Die
Stelle am Bache von Laxon. wo Karl's Leichnam gefunden worden, ließ
Rene mit einem Doppelkreuz bezeichnen, welches noch heut dort steht.

Von der würdevollen Haltung des jungen Lvthringerfürsten sticht wider¬
wärtig ab die Art, wie Louis XI. die Nachricht vom Tode Karl's aufnahm.
Er überließ sich einer unanständigen lärmenden Freude; alle seine Hofleute
"ber, soweit sie dem Adel angehörten, geriethen in Angst und Schrecken, weil
einzige Mann gefallen war, den Louis gescheut. Commes versichert:
ste hätten nichts zu essen vermocht bei dem Freudenmahl, das der König
Kegeben.

Karl der Kühne ist eine Persönlichkeit von hoher Bedeutung ebensosehr
für die Geschichte der europäischen Staatskunst wie für die des Kriegswesens.
Man hat sein Burgund wohl mit dem Preußen Friedrich's des Großen ver¬
glichen, und in der That, trotz der so unendlich viel größeren Mittel, über
welche das reiche Burgund im Gegensatz zu dem armen Preußen gebot, fehlt
^ auch keinesweges an Analogien. Dennoch aber ist Karl's Staat eine
Improvisation geblieben; zu einem solchen Zwischenreiche, wie er es zwischen
Deutschland und Frankreich aufrichten wollte, fehlten vielleicht weniger weltge¬
schichtlichen Voraussetzungen, als er selbst weit entfernt war von der gewal¬
tigen Kraft einer Persönlichkeit, wie die des großen Friedrich. -- Immerhin
'se es interessant, die Urtheile einiger Historiker über ihn zusammenzustellen. --
Hören wir zuerst einen Schweizer. Johannes von Müller entwirft in seiner
"Geschichte der Eidgenossenschaft" folgendes Bild von ihm:

"Karl von Burgund war II Jahre jünger, als sein Zeitgenosse und
Gegner. Ludwig XI. von Frankreich, von mittlerer Größe, sehr starkem
Körperbau, brauner Gesichtsfarbe, mit schwarzen Haaren und Augen, einer
Habichtsnase, einem länglichen Gesichte, breiter Stirne und etwas hervor-



*) Lernst V. 38S.

heraus geschlagen werden. Drei tiefe Wunden von Hellebarden und Speeren
hatten dem Leben Karl's des Kühnen ein Ende gemacht. — Seinem Rang
gemäß wurde der Fürst vor dem Hochaltar der Se. Georgskirche in Nancy
begraben. Als er in reichem Todtenschmuck auf der Bahre lag, kamen seine
Freunde und Verwandten, um „ihrem guten Herrn" den letzten Zoll der
Liebe darzubringen. Unter ihnen erschien auch Herzog Rene. Er war, nach
Brauch der alten Paladine, mit einem aus Goldfäden gewirkten Barte be¬
hängt, der ihm bis an den Gürtel reichte, zum Zeichen, daß er den Sieg er¬
kämpft und sein fürstlicher Gegner im Kampfe gefallen sei — eine seltsame
hochalterthümliche Sitte, die uns auch bei den Römern begegnet. Tief gerührt
ergriff Rene des Todten Hand. „Lss-u cousin!» sprach er. „Vo- ü.mes s.it
Vihu. Vous nous a,ve2 tuit moule Ah irmux et as äouleur." *) — Die
Stelle am Bache von Laxon. wo Karl's Leichnam gefunden worden, ließ
Rene mit einem Doppelkreuz bezeichnen, welches noch heut dort steht.

Von der würdevollen Haltung des jungen Lvthringerfürsten sticht wider¬
wärtig ab die Art, wie Louis XI. die Nachricht vom Tode Karl's aufnahm.
Er überließ sich einer unanständigen lärmenden Freude; alle seine Hofleute
"ber, soweit sie dem Adel angehörten, geriethen in Angst und Schrecken, weil
einzige Mann gefallen war, den Louis gescheut. Commes versichert:
ste hätten nichts zu essen vermocht bei dem Freudenmahl, das der König
Kegeben.

Karl der Kühne ist eine Persönlichkeit von hoher Bedeutung ebensosehr
für die Geschichte der europäischen Staatskunst wie für die des Kriegswesens.
Man hat sein Burgund wohl mit dem Preußen Friedrich's des Großen ver¬
glichen, und in der That, trotz der so unendlich viel größeren Mittel, über
welche das reiche Burgund im Gegensatz zu dem armen Preußen gebot, fehlt
^ auch keinesweges an Analogien. Dennoch aber ist Karl's Staat eine
Improvisation geblieben; zu einem solchen Zwischenreiche, wie er es zwischen
Deutschland und Frankreich aufrichten wollte, fehlten vielleicht weniger weltge¬
schichtlichen Voraussetzungen, als er selbst weit entfernt war von der gewal¬
tigen Kraft einer Persönlichkeit, wie die des großen Friedrich. — Immerhin
'se es interessant, die Urtheile einiger Historiker über ihn zusammenzustellen. —
Hören wir zuerst einen Schweizer. Johannes von Müller entwirft in seiner
»Geschichte der Eidgenossenschaft" folgendes Bild von ihm:

„Karl von Burgund war II Jahre jünger, als sein Zeitgenosse und
Gegner. Ludwig XI. von Frankreich, von mittlerer Größe, sehr starkem
Körperbau, brauner Gesichtsfarbe, mit schwarzen Haaren und Augen, einer
Habichtsnase, einem länglichen Gesichte, breiter Stirne und etwas hervor-



*) Lernst V. 38S.
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[0143] heraus geschlagen werden. Drei tiefe Wunden von Hellebarden und Speeren hatten dem Leben Karl's des Kühnen ein Ende gemacht. — Seinem Rang gemäß wurde der Fürst vor dem Hochaltar der Se. Georgskirche in Nancy begraben. Als er in reichem Todtenschmuck auf der Bahre lag, kamen seine Freunde und Verwandten, um „ihrem guten Herrn" den letzten Zoll der Liebe darzubringen. Unter ihnen erschien auch Herzog Rene. Er war, nach Brauch der alten Paladine, mit einem aus Goldfäden gewirkten Barte be¬ hängt, der ihm bis an den Gürtel reichte, zum Zeichen, daß er den Sieg er¬ kämpft und sein fürstlicher Gegner im Kampfe gefallen sei — eine seltsame hochalterthümliche Sitte, die uns auch bei den Römern begegnet. Tief gerührt ergriff Rene des Todten Hand. „Lss-u cousin!» sprach er. „Vo- ü.mes s.it Vihu. Vous nous a,ve2 tuit moule Ah irmux et as äouleur." *) — Die Stelle am Bache von Laxon. wo Karl's Leichnam gefunden worden, ließ Rene mit einem Doppelkreuz bezeichnen, welches noch heut dort steht. Von der würdevollen Haltung des jungen Lvthringerfürsten sticht wider¬ wärtig ab die Art, wie Louis XI. die Nachricht vom Tode Karl's aufnahm. Er überließ sich einer unanständigen lärmenden Freude; alle seine Hofleute "ber, soweit sie dem Adel angehörten, geriethen in Angst und Schrecken, weil einzige Mann gefallen war, den Louis gescheut. Commes versichert: ste hätten nichts zu essen vermocht bei dem Freudenmahl, das der König Kegeben. Karl der Kühne ist eine Persönlichkeit von hoher Bedeutung ebensosehr für die Geschichte der europäischen Staatskunst wie für die des Kriegswesens. Man hat sein Burgund wohl mit dem Preußen Friedrich's des Großen ver¬ glichen, und in der That, trotz der so unendlich viel größeren Mittel, über welche das reiche Burgund im Gegensatz zu dem armen Preußen gebot, fehlt ^ auch keinesweges an Analogien. Dennoch aber ist Karl's Staat eine Improvisation geblieben; zu einem solchen Zwischenreiche, wie er es zwischen Deutschland und Frankreich aufrichten wollte, fehlten vielleicht weniger weltge¬ schichtlichen Voraussetzungen, als er selbst weit entfernt war von der gewal¬ tigen Kraft einer Persönlichkeit, wie die des großen Friedrich. — Immerhin 'se es interessant, die Urtheile einiger Historiker über ihn zusammenzustellen. — Hören wir zuerst einen Schweizer. Johannes von Müller entwirft in seiner »Geschichte der Eidgenossenschaft" folgendes Bild von ihm: „Karl von Burgund war II Jahre jünger, als sein Zeitgenosse und Gegner. Ludwig XI. von Frankreich, von mittlerer Größe, sehr starkem Körperbau, brauner Gesichtsfarbe, mit schwarzen Haaren und Augen, einer Habichtsnase, einem länglichen Gesichte, breiter Stirne und etwas hervor- *) Lernst V. 38S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/143>, abgerufen am 27.09.2024.