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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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jedoch rückten ihm die Grafen von Chimay und von Nassau mit einem an¬
sehnlichen Hausen aus den flandrischen Lehnen zu, und dazu kam noch der
Heerbann von Luxemburg. Den Kern der Armee bildeten aber immer noch
die Ordonnanz-Compagnien und die englischen Bogenschützen, soweit sie aus
der Murtener Niederlage gerettet oder in Lothringen vorgefunden worden
waren. Denn den Lehentruppen wie den neu errichteten Schaaren aus Hoch-
durgund fehlte es an kriegerischer Uebung und Disciplin. Dem ganzen Heere
freilich mangelte es an jenem Selbstvertrauen, das verlorene Schlachten stets
zerstören, und an jener Zuversicht zur oberen Führung, die ja unter Umständen
selbst das Vertrauen auf die eigene Tüchtigkeit ersetzen kann. - Denkt man
sich nun noch die Beschwerden des Belagerungsdienstes bei Winterkälte und
den nicht seltenen Lebensmittelmangel hinzu, so läßt sich annehmen, daß die
Stimmung des Heeres vor Nancy keine günstige war, um so weniger, als es
sich einer muthvollen thätigen Besatzung gegenüber befand und von Außen
her beunruhigt ward durch die unaufhörlichen Neckereien und Anfälle kühner
Ttreispartien. die vom Landvolk begünstigt, den Burgundern empfindlichen
Schaden zufügten.*)

Aber auch die Besatzung war seit Wochen schon der Hungersnoth nahe,
sodaß Karl mit Sicherheit auf die baldige Uebergabe rechnete und Rene in
großer Sorge war; denn er erfuhr, noch bevor er nach Basel gelangt, daß
wan zu Nancy bereits die Pferde aufgezehrt habe. Es galt, der Besatzung
Nachricht von dem nahenden Entsatz zu bringen. Mit großer Aufopferung
und Hingebung gelang dies dem Hausmarschall Reni's. einem Provencalen,
Suffren de Baschi. Er geriet!) dabei in burgundische Gefangenschaft. Um¬
sonst verwandten sich fast alle Ritter aus Karl's Umgebung für den trefflichen
Mann; er wurde unbarmherzig aufgehängt. "Nur der Dienste wegen, die
" seinem Herrn noch hätte leisten können, schmerze ihn sein schmählicher
Tod", waren die letzten Worte Suffren's. Herzog Karl aber führte zur Recht,
fertigung einer solchen That an einem Kriegsgefangenen eine angebliche
Kriegsmaxime an: da nämlich, wo ein Fürst in Person einen Platz belagere,
dürfe von dem Augenblicke an, in welchem das Geschütz zu spielen begonnen,
Versuch in die Festung zu gelangen, nur mit Einsetzung des Lebens
gewagt werden. -- Die Lothringer rächten sich nach Kräften. Nicht nur,
daß der Kommandant von Nancy einen Gefangenen am höchsten Thurme
^shing mit einem Racheplakat auf der Brust; auch der sonst so milde Rene
luß den Manen seines treuen Dieners 60 Gefangene schlachten. -- Wie wenigüberhaupt das Menschenleben galt, zeigt folgender Zug. Als der Frost der
Weihnachtsnächte Hunderte von Menschen und Pferden im Lager vor Nancy



') v. Notea. a. O.

jedoch rückten ihm die Grafen von Chimay und von Nassau mit einem an¬
sehnlichen Hausen aus den flandrischen Lehnen zu, und dazu kam noch der
Heerbann von Luxemburg. Den Kern der Armee bildeten aber immer noch
die Ordonnanz-Compagnien und die englischen Bogenschützen, soweit sie aus
der Murtener Niederlage gerettet oder in Lothringen vorgefunden worden
waren. Denn den Lehentruppen wie den neu errichteten Schaaren aus Hoch-
durgund fehlte es an kriegerischer Uebung und Disciplin. Dem ganzen Heere
freilich mangelte es an jenem Selbstvertrauen, das verlorene Schlachten stets
zerstören, und an jener Zuversicht zur oberen Führung, die ja unter Umständen
selbst das Vertrauen auf die eigene Tüchtigkeit ersetzen kann. - Denkt man
sich nun noch die Beschwerden des Belagerungsdienstes bei Winterkälte und
den nicht seltenen Lebensmittelmangel hinzu, so läßt sich annehmen, daß die
Stimmung des Heeres vor Nancy keine günstige war, um so weniger, als es
sich einer muthvollen thätigen Besatzung gegenüber befand und von Außen
her beunruhigt ward durch die unaufhörlichen Neckereien und Anfälle kühner
Ttreispartien. die vom Landvolk begünstigt, den Burgundern empfindlichen
Schaden zufügten.*)

Aber auch die Besatzung war seit Wochen schon der Hungersnoth nahe,
sodaß Karl mit Sicherheit auf die baldige Uebergabe rechnete und Rene in
großer Sorge war; denn er erfuhr, noch bevor er nach Basel gelangt, daß
wan zu Nancy bereits die Pferde aufgezehrt habe. Es galt, der Besatzung
Nachricht von dem nahenden Entsatz zu bringen. Mit großer Aufopferung
und Hingebung gelang dies dem Hausmarschall Reni's. einem Provencalen,
Suffren de Baschi. Er geriet!) dabei in burgundische Gefangenschaft. Um¬
sonst verwandten sich fast alle Ritter aus Karl's Umgebung für den trefflichen
Mann; er wurde unbarmherzig aufgehängt. „Nur der Dienste wegen, die
" seinem Herrn noch hätte leisten können, schmerze ihn sein schmählicher
Tod", waren die letzten Worte Suffren's. Herzog Karl aber führte zur Recht,
fertigung einer solchen That an einem Kriegsgefangenen eine angebliche
Kriegsmaxime an: da nämlich, wo ein Fürst in Person einen Platz belagere,
dürfe von dem Augenblicke an, in welchem das Geschütz zu spielen begonnen,
Versuch in die Festung zu gelangen, nur mit Einsetzung des Lebens
gewagt werden. — Die Lothringer rächten sich nach Kräften. Nicht nur,
daß der Kommandant von Nancy einen Gefangenen am höchsten Thurme
^shing mit einem Racheplakat auf der Brust; auch der sonst so milde Rene
luß den Manen seines treuen Dieners 60 Gefangene schlachten. — Wie wenigüberhaupt das Menschenleben galt, zeigt folgender Zug. Als der Frost der
Weihnachtsnächte Hunderte von Menschen und Pferden im Lager vor Nancy



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[0135] jedoch rückten ihm die Grafen von Chimay und von Nassau mit einem an¬ sehnlichen Hausen aus den flandrischen Lehnen zu, und dazu kam noch der Heerbann von Luxemburg. Den Kern der Armee bildeten aber immer noch die Ordonnanz-Compagnien und die englischen Bogenschützen, soweit sie aus der Murtener Niederlage gerettet oder in Lothringen vorgefunden worden waren. Denn den Lehentruppen wie den neu errichteten Schaaren aus Hoch- durgund fehlte es an kriegerischer Uebung und Disciplin. Dem ganzen Heere freilich mangelte es an jenem Selbstvertrauen, das verlorene Schlachten stets zerstören, und an jener Zuversicht zur oberen Führung, die ja unter Umständen selbst das Vertrauen auf die eigene Tüchtigkeit ersetzen kann. - Denkt man sich nun noch die Beschwerden des Belagerungsdienstes bei Winterkälte und den nicht seltenen Lebensmittelmangel hinzu, so läßt sich annehmen, daß die Stimmung des Heeres vor Nancy keine günstige war, um so weniger, als es sich einer muthvollen thätigen Besatzung gegenüber befand und von Außen her beunruhigt ward durch die unaufhörlichen Neckereien und Anfälle kühner Ttreispartien. die vom Landvolk begünstigt, den Burgundern empfindlichen Schaden zufügten.*) Aber auch die Besatzung war seit Wochen schon der Hungersnoth nahe, sodaß Karl mit Sicherheit auf die baldige Uebergabe rechnete und Rene in großer Sorge war; denn er erfuhr, noch bevor er nach Basel gelangt, daß wan zu Nancy bereits die Pferde aufgezehrt habe. Es galt, der Besatzung Nachricht von dem nahenden Entsatz zu bringen. Mit großer Aufopferung und Hingebung gelang dies dem Hausmarschall Reni's. einem Provencalen, Suffren de Baschi. Er geriet!) dabei in burgundische Gefangenschaft. Um¬ sonst verwandten sich fast alle Ritter aus Karl's Umgebung für den trefflichen Mann; er wurde unbarmherzig aufgehängt. „Nur der Dienste wegen, die " seinem Herrn noch hätte leisten können, schmerze ihn sein schmählicher Tod", waren die letzten Worte Suffren's. Herzog Karl aber führte zur Recht, fertigung einer solchen That an einem Kriegsgefangenen eine angebliche Kriegsmaxime an: da nämlich, wo ein Fürst in Person einen Platz belagere, dürfe von dem Augenblicke an, in welchem das Geschütz zu spielen begonnen, Versuch in die Festung zu gelangen, nur mit Einsetzung des Lebens gewagt werden. — Die Lothringer rächten sich nach Kräften. Nicht nur, daß der Kommandant von Nancy einen Gefangenen am höchsten Thurme ^shing mit einem Racheplakat auf der Brust; auch der sonst so milde Rene luß den Manen seines treuen Dieners 60 Gefangene schlachten. — Wie wenigüberhaupt das Menschenleben galt, zeigt folgender Zug. Als der Frost der Weihnachtsnächte Hunderte von Menschen und Pferden im Lager vor Nancy ') v. Notea. a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/135>, abgerufen am 27.09.2024.