Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.Die Arilogie Karl's des Kühnen. Von Max Jähns. Bei Grandson verlor er das Gut, (Alter Spruch.) I. Gleich den großen tragischen Dichtungen des Aischylos, welche in Gruppen Vorspiel. Im Jahre 1467 war Graf Karl von Charolais seinem Vater als Be¬ Die Arilogie Karl's des Kühnen. Von Max Jähns. Bei Grandson verlor er das Gut, (Alter Spruch.) I. Gleich den großen tragischen Dichtungen des Aischylos, welche in Gruppen Vorspiel. Im Jahre 1467 war Graf Karl von Charolais seinem Vater als Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135066"/> </div> <div n="1"> <head> Die Arilogie Karl's des Kühnen.<lb/><note type="byline"> Von Max Jähns.</note></head><lb/> <quote type="epigraph"> Bei Grandson verlor er das Gut,<lb/> Bei Murten den Muth,<lb/> Bei Nancy das Blut.</quote><lb/> <p xml:id="ID_17"> (Alter Spruch.)</p><lb/> <div n="2"> <head> I.</head><lb/> <p xml:id="ID_18"> Gleich den großen tragischen Dichtungen des Aischylos, welche in Gruppen<lb/> zusammenstehen, um in gewaltiger Dreiheit darzustellen, wie eine Folge von<lb/> Thaten den Uebermuth zur Schuld und zum Untergange führt, oder um ein<lb/> und denselben Grundgedanken in verschiedenen Begebenheiten zu offenbaren,<lb/> so stehen in engster Verbindung miteinander die drei Schlachtendramen von<lb/> Grandson, Murten und Nancy, die in dem kurzen Zeitraum vom März 1476<lb/> bis zum Januar 1477 das höchste Glück, das stolzeste Vermessen des kühnen<lb/> Karl und seinen immer tieferen Fall, sein erschütterndes Ende herbeigeführt.<lb/> Wenige Ereignisse der wirklichen Geschichte zeigen so sehr wie diese Burgunder-<lb/> krtege in ihrem Gange jenen erhabenen ethischen Rhythmus, den man die<lb/> „poetische Gerechtigkeit" genannt. Aus diesem Grunde und auch deshalb,<lb/> weil in den Kämpfen Karl's des Kühnen der Genius der Uebergangszeit<lb/> vom Mittelalter zum modernen Weltalter mit ungewöhnlicher Kraft und<lb/> Klarheit zu Tage tritt, dürfte eine Darstellung jenes Ringens, Siegers und<lb/> Unterliegens stets von Interesse sein für jeden Freund der Geschichte. — In<lb/> den nachfolgenden Blättern wird der Hauptnachdruck auf die kriegerischen<lb/> Mittel und Thaten gelegt.</p><lb/> <div n="3"> <head> Vorspiel.</head><lb/> <p xml:id="ID_19" next="#ID_20"> Im Jahre 1467 war Graf Karl von Charolais seinem Vater als Be¬<lb/> herrscher der burgundischen Gesammtstaaten gefolgt. Sie bildeten ein Gebiet<lb/> von ungewöhnlicher Größe, Mannigfaltigkeit und Wohlhabenheit. Von<lb/> deutschen Lehen gehörten dazu die Freigrafschaft Hochburgund, die Graf¬<lb/> schaften Hennegau und Namur, Holland und Geldern, Westfriesland und<lb/> Rethel, sowie die Herzogthümer Luxemburg, Limburg und Brabant. An<lb/> französischen Lehen besaß Herzog Karl erstens das eigentliche Herzogthum<lb/> Bourgogne, die Grafschaften Flandern, Guines. Boulogne, Ponthieu, Amiens<lb/> und Vermandois, das Gebiet der oberen Somme, die Grafschaften Bar,<lb/> Auxerre, Chalons und Macon, Auxonne und Revers — ein großartiges<lb/> Gebiet, welches nur den einen Fehler hatte, daß es durch das Herzogthum<lb/> Lothringen und das Metzer Land in zwei große, an und für sich wohl</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
Die Arilogie Karl's des Kühnen.
Von Max Jähns.
Bei Grandson verlor er das Gut,
Bei Murten den Muth,
Bei Nancy das Blut.
(Alter Spruch.)
I.
Gleich den großen tragischen Dichtungen des Aischylos, welche in Gruppen
zusammenstehen, um in gewaltiger Dreiheit darzustellen, wie eine Folge von
Thaten den Uebermuth zur Schuld und zum Untergange führt, oder um ein
und denselben Grundgedanken in verschiedenen Begebenheiten zu offenbaren,
so stehen in engster Verbindung miteinander die drei Schlachtendramen von
Grandson, Murten und Nancy, die in dem kurzen Zeitraum vom März 1476
bis zum Januar 1477 das höchste Glück, das stolzeste Vermessen des kühnen
Karl und seinen immer tieferen Fall, sein erschütterndes Ende herbeigeführt.
Wenige Ereignisse der wirklichen Geschichte zeigen so sehr wie diese Burgunder-
krtege in ihrem Gange jenen erhabenen ethischen Rhythmus, den man die
„poetische Gerechtigkeit" genannt. Aus diesem Grunde und auch deshalb,
weil in den Kämpfen Karl's des Kühnen der Genius der Uebergangszeit
vom Mittelalter zum modernen Weltalter mit ungewöhnlicher Kraft und
Klarheit zu Tage tritt, dürfte eine Darstellung jenes Ringens, Siegers und
Unterliegens stets von Interesse sein für jeden Freund der Geschichte. — In
den nachfolgenden Blättern wird der Hauptnachdruck auf die kriegerischen
Mittel und Thaten gelegt.
Vorspiel.
Im Jahre 1467 war Graf Karl von Charolais seinem Vater als Be¬
herrscher der burgundischen Gesammtstaaten gefolgt. Sie bildeten ein Gebiet
von ungewöhnlicher Größe, Mannigfaltigkeit und Wohlhabenheit. Von
deutschen Lehen gehörten dazu die Freigrafschaft Hochburgund, die Graf¬
schaften Hennegau und Namur, Holland und Geldern, Westfriesland und
Rethel, sowie die Herzogthümer Luxemburg, Limburg und Brabant. An
französischen Lehen besaß Herzog Karl erstens das eigentliche Herzogthum
Bourgogne, die Grafschaften Flandern, Guines. Boulogne, Ponthieu, Amiens
und Vermandois, das Gebiet der oberen Somme, die Grafschaften Bar,
Auxerre, Chalons und Macon, Auxonne und Revers — ein großartiges
Gebiet, welches nur den einen Fehler hatte, daß es durch das Herzogthum
Lothringen und das Metzer Land in zwei große, an und für sich wohl
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