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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Ohne viel Geräusch sind wir aus dem alten Jahr ins neue hinüber¬
getreten; ohne Bangen sehen wir dem neuen Jahr entgegen und dem, was
es in seinem Schooße birgt. Es ist jetzt nahezu ein halbes Jahrzehnt, seit
das Elsaß wieder unter deutsche Verwaltung gekommen ist. Und ohne Hehl
und Selbstüberhebung darf man sich sagen: Was bis dahin in der kurzen
Spanne Zeit in Sachen der nationalen Wiedergeburt erreicht und geleistet
worden -- damit könnte sich sogar ein Pessimist, wie Gustav Rasch, zufrieden
erklären. Selbst französische Organe müssen sich das bei gelegentlichen Rück¬
blicken auf die verflossenen fünf Jahre, bei deren Beginn sich durch eigene
Schuld und Uebermuth die so lange ohne Fug und Recht besessenen Provinzen
an Rhein und Mosel verloren haben, nolons volsns eingestehen.

Ich will nun nicht, gleich vielen teutomanischen Chauvinisten, so g""i
absolut und unbewiesen hinstellen, daß es für die Elsässer als solche --
wohlverstanden -- unter allen Umständen und in jeder Hinsicht, ein so über¬
aus großes Glück sei, wieder unter das stramme deutsche Regiment in seiner
jetzigen Gestalt gekommen zu sein, -- namentlich was die Beamten- und
Militairverhältnisse anbelangt. Umgekehrt darf man wohl mit mehr Fug
und Recht behaupten, daß das neue deutsche Reich sich dazu gratuliren kann,
in dem elsässischen Volksstamm einen so kräftigen und redlichen Bruderstamm
wiedergewonnen zu haben. Ich folge vielmehr der goldenen Regel "auüiktur
et alter", xg,rs^; für mich spricht die Stimme des Gegners unter Umständen
beredter und überzeugender als das schmeichlerische Eigenlob der Freunde.

Eine solche Stimme ließ sich nun neulich von Mülhausen aus, und zwar
aus prägnant französischer Feder, in dem "Journal des Debats" vernehmen-
Der betreffende Correspondent kommt zu dem Schlüsse, "daß die Land'
vevölkerung zum größten Theil den Wechsel der Nationalität am
wenigsten empfunden, daß dagegen der Rest der Bevölkerung die französische
Traditionen in ihrer ganzen Lebhaftigkeit bewahrt habe." Mit diesem
Schlußfacit stimmt nun zwar die Zusammenrechnung der Detailresultate nicht
genau überein. Man bemerkt vielmehr, wenn man den ganzen, ziemlich
langen Artikel genau durchliest, daß es dem Franzosen hier wieder, wie ge¬
wöhnlich, an gesunder Logik gefehlt hat.

Denn da werden beispielsweise die Weinbauern zwischen Schlettstadt
und Gebweiler gar als "aräents prussoMIos" denunzirt, eine jedenfalls
übertriebene Anschauung, für die ich dem betreffenden Herrn die Gewähr und
Verantwortung überlassen muß. Als Grund dafür wird angeführt, daß die¬
selben den Werth ihres Grundbesitzes seit dem Kriege erheblich steigen gesehen
und heute ihre Producte um das dreifache ihres frühern Werthes verkaufen


Ohne viel Geräusch sind wir aus dem alten Jahr ins neue hinüber¬
getreten; ohne Bangen sehen wir dem neuen Jahr entgegen und dem, was
es in seinem Schooße birgt. Es ist jetzt nahezu ein halbes Jahrzehnt, seit
das Elsaß wieder unter deutsche Verwaltung gekommen ist. Und ohne Hehl
und Selbstüberhebung darf man sich sagen: Was bis dahin in der kurzen
Spanne Zeit in Sachen der nationalen Wiedergeburt erreicht und geleistet
worden — damit könnte sich sogar ein Pessimist, wie Gustav Rasch, zufrieden
erklären. Selbst französische Organe müssen sich das bei gelegentlichen Rück¬
blicken auf die verflossenen fünf Jahre, bei deren Beginn sich durch eigene
Schuld und Uebermuth die so lange ohne Fug und Recht besessenen Provinzen
an Rhein und Mosel verloren haben, nolons volsns eingestehen.

Ich will nun nicht, gleich vielen teutomanischen Chauvinisten, so g""i
absolut und unbewiesen hinstellen, daß es für die Elsässer als solche —
wohlverstanden — unter allen Umständen und in jeder Hinsicht, ein so über¬
aus großes Glück sei, wieder unter das stramme deutsche Regiment in seiner
jetzigen Gestalt gekommen zu sein, — namentlich was die Beamten- und
Militairverhältnisse anbelangt. Umgekehrt darf man wohl mit mehr Fug
und Recht behaupten, daß das neue deutsche Reich sich dazu gratuliren kann,
in dem elsässischen Volksstamm einen so kräftigen und redlichen Bruderstamm
wiedergewonnen zu haben. Ich folge vielmehr der goldenen Regel „auüiktur
et alter«, xg,rs^; für mich spricht die Stimme des Gegners unter Umständen
beredter und überzeugender als das schmeichlerische Eigenlob der Freunde.

Eine solche Stimme ließ sich nun neulich von Mülhausen aus, und zwar
aus prägnant französischer Feder, in dem „Journal des Debats" vernehmen-
Der betreffende Correspondent kommt zu dem Schlüsse, „daß die Land'
vevölkerung zum größten Theil den Wechsel der Nationalität am
wenigsten empfunden, daß dagegen der Rest der Bevölkerung die französische
Traditionen in ihrer ganzen Lebhaftigkeit bewahrt habe." Mit diesem
Schlußfacit stimmt nun zwar die Zusammenrechnung der Detailresultate nicht
genau überein. Man bemerkt vielmehr, wenn man den ganzen, ziemlich
langen Artikel genau durchliest, daß es dem Franzosen hier wieder, wie ge¬
wöhnlich, an gesunder Logik gefehlt hat.

Denn da werden beispielsweise die Weinbauern zwischen Schlettstadt
und Gebweiler gar als „aräents prussoMIos" denunzirt, eine jedenfalls
übertriebene Anschauung, für die ich dem betreffenden Herrn die Gewähr und
Verantwortung überlassen muß. Als Grund dafür wird angeführt, daß die¬
selben den Werth ihres Grundbesitzes seit dem Kriege erheblich steigen gesehen
und heute ihre Producte um das dreifache ihres frühern Werthes verkaufen


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[0122] Ohne viel Geräusch sind wir aus dem alten Jahr ins neue hinüber¬ getreten; ohne Bangen sehen wir dem neuen Jahr entgegen und dem, was es in seinem Schooße birgt. Es ist jetzt nahezu ein halbes Jahrzehnt, seit das Elsaß wieder unter deutsche Verwaltung gekommen ist. Und ohne Hehl und Selbstüberhebung darf man sich sagen: Was bis dahin in der kurzen Spanne Zeit in Sachen der nationalen Wiedergeburt erreicht und geleistet worden — damit könnte sich sogar ein Pessimist, wie Gustav Rasch, zufrieden erklären. Selbst französische Organe müssen sich das bei gelegentlichen Rück¬ blicken auf die verflossenen fünf Jahre, bei deren Beginn sich durch eigene Schuld und Uebermuth die so lange ohne Fug und Recht besessenen Provinzen an Rhein und Mosel verloren haben, nolons volsns eingestehen. Ich will nun nicht, gleich vielen teutomanischen Chauvinisten, so g""i absolut und unbewiesen hinstellen, daß es für die Elsässer als solche — wohlverstanden — unter allen Umständen und in jeder Hinsicht, ein so über¬ aus großes Glück sei, wieder unter das stramme deutsche Regiment in seiner jetzigen Gestalt gekommen zu sein, — namentlich was die Beamten- und Militairverhältnisse anbelangt. Umgekehrt darf man wohl mit mehr Fug und Recht behaupten, daß das neue deutsche Reich sich dazu gratuliren kann, in dem elsässischen Volksstamm einen so kräftigen und redlichen Bruderstamm wiedergewonnen zu haben. Ich folge vielmehr der goldenen Regel „auüiktur et alter«, xg,rs^; für mich spricht die Stimme des Gegners unter Umständen beredter und überzeugender als das schmeichlerische Eigenlob der Freunde. Eine solche Stimme ließ sich nun neulich von Mülhausen aus, und zwar aus prägnant französischer Feder, in dem „Journal des Debats" vernehmen- Der betreffende Correspondent kommt zu dem Schlüsse, „daß die Land' vevölkerung zum größten Theil den Wechsel der Nationalität am wenigsten empfunden, daß dagegen der Rest der Bevölkerung die französische Traditionen in ihrer ganzen Lebhaftigkeit bewahrt habe." Mit diesem Schlußfacit stimmt nun zwar die Zusammenrechnung der Detailresultate nicht genau überein. Man bemerkt vielmehr, wenn man den ganzen, ziemlich langen Artikel genau durchliest, daß es dem Franzosen hier wieder, wie ge¬ wöhnlich, an gesunder Logik gefehlt hat. Denn da werden beispielsweise die Weinbauern zwischen Schlettstadt und Gebweiler gar als „aräents prussoMIos" denunzirt, eine jedenfalls übertriebene Anschauung, für die ich dem betreffenden Herrn die Gewähr und Verantwortung überlassen muß. Als Grund dafür wird angeführt, daß die¬ selben den Werth ihres Grundbesitzes seit dem Kriege erheblich steigen gesehen und heute ihre Producte um das dreifache ihres frühern Werthes verkaufen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/122>, abgerufen am 25.07.2024.