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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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nun nicht mehr daran zweifeln kann, daß die Schlacht von Murten keines¬
wegs eine Kg.eg.iIlL ranMö, sondern vielmehr ein Ueberfall war, den Rott
selbst mit Roßbach vergleicht, wo die Colonnen des französischen Heeres eben¬
falls vom Feinde überrascht wurden, als sie just in der Entwickelung begrif¬
fen waren. Durch diese veränderte Auffassung werden auch die bisherigen
Urtheile über die Schlacht wesentlich alterirt und nur in soweit kann man
ihrer noch gedenken, als sie sich auf die allgemeine strategische Situation be¬
ziehn. In dieser Hinsicht ist zunächst an jenes bekannte, übrigens oberfläch¬
liche Wort Napoleon's I. zu erinnern, der sich 1797, als er auf der Reise
zum Rastadter Congreß das Schlachtfeld von Murten besichtigte, gegen den
ihn begleitenden Offizier der Schweizer Ehrenwache geäußert haben soll:
"5vulltz ca,Mg.ii!<z, si ^mais nous livrons batlMs ees lisux, xm'-
sugM, yue nous N6 xrenärvns Ms Is lao pour i-etrait-z." -- Von deutschen
Kriegsgelehrten bemerkt General von Hardegg*): "Das Benehmen Karl's
des Kühnen, von seinem Anmärsche gegen Murten bis zur Flucht des bur¬
gundischen Heeres, stellt sich als ein Gewebe von Fehlern dar, die von dem
Stolze der Tollkühnheit, der Unvorsichtigkeit, der übertriebenen Feindesver¬
achtung und dem Eigensinne des Herzogs abzuleiten sind. Der Hauptfehler
Karl's war wohl der, daß er die Pässe, welche von Bern und von Freiburg
nach Murten führen, so gut als unbesetzt und also den Schweizern die Zu¬
gänge von Osten her zu seiner rechten Flanke offen ließ. Karl dachte serner
nicht daran, die Concentrirung der, bei seiner Ankunft vor Murten, noch
nicht vereinigten Truppenabtheilungen der Schweizer zu verhindern; er sah
vielmehr derselben ganz unthätig zu. -- Das Schlachtfeld, welches der Herzog
für seine Truppen wählte, war etwas beengt, weshalb sich seine Massen nicht
gehörig entwickeln konnten. Sicherlich hätte er besser gethan, während er
Murten belagerte, mit der Hauptmacht zunächst die Pässe von Ins und
Güminen zu besetzen, wo er, die Biberen und die Sane vor der Front,
sicher stand und alle Zugänge zu Murten beherrschte. Er scheint sich
dem Wahne hingegeben zu haben, daß, weil er selbst seine Stellung,
und namentlich seine Flanken, für unangreifbar hielt, auch seine Gegner
dieser Ansicht sein und nichts dagegen unternehmen würden. -- Den
Fehlern der Burgunder gegenüber erblickt man, auf schweizerischer Seite
richtige Berechnung und große Energie der Ausführung. Die Eidgenossen, be¬
sonders die Berner, verstanden die Wichtigkeit von Murten und der dahin
führenden Pässe richtig zu würdigen und ließen es darum auch ihre erste Sorge
sein, dieselben gehörig zu verwahren. Die Stellung bei Ulmiz war sehr
zweckmäßig gewählt, insoferne sie dem Feinde durch ihre Nähe imponiren



*) Anleitung zum Stndünn der Kriegsgeschichte. 2. Bd.

nun nicht mehr daran zweifeln kann, daß die Schlacht von Murten keines¬
wegs eine Kg.eg.iIlL ranMö, sondern vielmehr ein Ueberfall war, den Rott
selbst mit Roßbach vergleicht, wo die Colonnen des französischen Heeres eben¬
falls vom Feinde überrascht wurden, als sie just in der Entwickelung begrif¬
fen waren. Durch diese veränderte Auffassung werden auch die bisherigen
Urtheile über die Schlacht wesentlich alterirt und nur in soweit kann man
ihrer noch gedenken, als sie sich auf die allgemeine strategische Situation be¬
ziehn. In dieser Hinsicht ist zunächst an jenes bekannte, übrigens oberfläch¬
liche Wort Napoleon's I. zu erinnern, der sich 1797, als er auf der Reise
zum Rastadter Congreß das Schlachtfeld von Murten besichtigte, gegen den
ihn begleitenden Offizier der Schweizer Ehrenwache geäußert haben soll:
„5vulltz ca,Mg.ii!<z, si ^mais nous livrons batlMs ees lisux, xm'-
sugM, yue nous N6 xrenärvns Ms Is lao pour i-etrait-z.« — Von deutschen
Kriegsgelehrten bemerkt General von Hardegg*): „Das Benehmen Karl's
des Kühnen, von seinem Anmärsche gegen Murten bis zur Flucht des bur¬
gundischen Heeres, stellt sich als ein Gewebe von Fehlern dar, die von dem
Stolze der Tollkühnheit, der Unvorsichtigkeit, der übertriebenen Feindesver¬
achtung und dem Eigensinne des Herzogs abzuleiten sind. Der Hauptfehler
Karl's war wohl der, daß er die Pässe, welche von Bern und von Freiburg
nach Murten führen, so gut als unbesetzt und also den Schweizern die Zu¬
gänge von Osten her zu seiner rechten Flanke offen ließ. Karl dachte serner
nicht daran, die Concentrirung der, bei seiner Ankunft vor Murten, noch
nicht vereinigten Truppenabtheilungen der Schweizer zu verhindern; er sah
vielmehr derselben ganz unthätig zu. — Das Schlachtfeld, welches der Herzog
für seine Truppen wählte, war etwas beengt, weshalb sich seine Massen nicht
gehörig entwickeln konnten. Sicherlich hätte er besser gethan, während er
Murten belagerte, mit der Hauptmacht zunächst die Pässe von Ins und
Güminen zu besetzen, wo er, die Biberen und die Sane vor der Front,
sicher stand und alle Zugänge zu Murten beherrschte. Er scheint sich
dem Wahne hingegeben zu haben, daß, weil er selbst seine Stellung,
und namentlich seine Flanken, für unangreifbar hielt, auch seine Gegner
dieser Ansicht sein und nichts dagegen unternehmen würden. — Den
Fehlern der Burgunder gegenüber erblickt man, auf schweizerischer Seite
richtige Berechnung und große Energie der Ausführung. Die Eidgenossen, be¬
sonders die Berner, verstanden die Wichtigkeit von Murten und der dahin
führenden Pässe richtig zu würdigen und ließen es darum auch ihre erste Sorge
sein, dieselben gehörig zu verwahren. Die Stellung bei Ulmiz war sehr
zweckmäßig gewählt, insoferne sie dem Feinde durch ihre Nähe imponiren



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[0120] nun nicht mehr daran zweifeln kann, daß die Schlacht von Murten keines¬ wegs eine Kg.eg.iIlL ranMö, sondern vielmehr ein Ueberfall war, den Rott selbst mit Roßbach vergleicht, wo die Colonnen des französischen Heeres eben¬ falls vom Feinde überrascht wurden, als sie just in der Entwickelung begrif¬ fen waren. Durch diese veränderte Auffassung werden auch die bisherigen Urtheile über die Schlacht wesentlich alterirt und nur in soweit kann man ihrer noch gedenken, als sie sich auf die allgemeine strategische Situation be¬ ziehn. In dieser Hinsicht ist zunächst an jenes bekannte, übrigens oberfläch¬ liche Wort Napoleon's I. zu erinnern, der sich 1797, als er auf der Reise zum Rastadter Congreß das Schlachtfeld von Murten besichtigte, gegen den ihn begleitenden Offizier der Schweizer Ehrenwache geäußert haben soll: „5vulltz ca,Mg.ii!<z, si ^mais nous livrons batlMs ees lisux, xm'- sugM, yue nous N6 xrenärvns Ms Is lao pour i-etrait-z.« — Von deutschen Kriegsgelehrten bemerkt General von Hardegg*): „Das Benehmen Karl's des Kühnen, von seinem Anmärsche gegen Murten bis zur Flucht des bur¬ gundischen Heeres, stellt sich als ein Gewebe von Fehlern dar, die von dem Stolze der Tollkühnheit, der Unvorsichtigkeit, der übertriebenen Feindesver¬ achtung und dem Eigensinne des Herzogs abzuleiten sind. Der Hauptfehler Karl's war wohl der, daß er die Pässe, welche von Bern und von Freiburg nach Murten führen, so gut als unbesetzt und also den Schweizern die Zu¬ gänge von Osten her zu seiner rechten Flanke offen ließ. Karl dachte serner nicht daran, die Concentrirung der, bei seiner Ankunft vor Murten, noch nicht vereinigten Truppenabtheilungen der Schweizer zu verhindern; er sah vielmehr derselben ganz unthätig zu. — Das Schlachtfeld, welches der Herzog für seine Truppen wählte, war etwas beengt, weshalb sich seine Massen nicht gehörig entwickeln konnten. Sicherlich hätte er besser gethan, während er Murten belagerte, mit der Hauptmacht zunächst die Pässe von Ins und Güminen zu besetzen, wo er, die Biberen und die Sane vor der Front, sicher stand und alle Zugänge zu Murten beherrschte. Er scheint sich dem Wahne hingegeben zu haben, daß, weil er selbst seine Stellung, und namentlich seine Flanken, für unangreifbar hielt, auch seine Gegner dieser Ansicht sein und nichts dagegen unternehmen würden. — Den Fehlern der Burgunder gegenüber erblickt man, auf schweizerischer Seite richtige Berechnung und große Energie der Ausführung. Die Eidgenossen, be¬ sonders die Berner, verstanden die Wichtigkeit von Murten und der dahin führenden Pässe richtig zu würdigen und ließen es darum auch ihre erste Sorge sein, dieselben gehörig zu verwahren. Die Stellung bei Ulmiz war sehr zweckmäßig gewählt, insoferne sie dem Feinde durch ihre Nähe imponiren *) Anleitung zum Stndünn der Kriegsgeschichte. 2. Bd.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/120>, abgerufen am 25.07.2024.