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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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geschickt die Zeit benutzt, um die Werke theils auszubessern, theils neue anzu¬
legen. Der Ort besaß Ringmauern mit Thürmen und "einen doppelten
Graben mit Bollwerken", wie es die Schweizer-Geschichtsschreiber nennen.
Es wird überdies besonders erwähnt, daß der Kommandant noch einige
äußere Bollwerke habe aufwerfen lassen. -- Die Belagerung wurde nun mit
großem Eifer in Angriff genommen und 80 Geschütze gegen Murten in
Batterie gestellt. Da dieselben jedoch durchgehends nur Steinkugeln schössen,
so waren die Verheerungen nicht allzu bedeutend. Nach vier Tagen war in¬
dessen doch ein großes Stück Mauer niedergeschmettert, und die Abtheilung
des Grafen Romont glaubte nun, einen Sturm unternehmen zu können. Aber
die Schweizer vertheidigten ihre Bresche so gut, daß die Burgunder nach
einem achtstündigen Sturme mit dem Verluste von 700 Mann abziehen
mußten. -- Ein neuer Sturm, den Karl's Leute zwei Tage später, also am
20. Juni auf die fast überall zerstörten Mauern unternahmen, endete noch
nachtheiliger. Nach dreistündigem Angriff und einem Verluste von mehr als
1000 M. mußten die Angreifer abstehen. Ergrimmt schalt der Herzog die
Hauptleute, daß sie dem Ort nicht schärfer zugesetzt und ihre Leute allzusehr
geschont hätten. Ohne dies ganz in Abrede zu stellen, entschuldigten sie sich
damit, daß, "in täglicher Erwartung eines zum Entsatz anrückenden Feindes
es nicht gerathen sei, vor dem belagerten Platze die tüchtigste Mannschaft zu
Grunde zu richten; besser sei es. sie zur bevorstehenden Schlacht zu sparen.
Wäre dann einmal der Feind im Felde überwunden, so werde der Platz ohne¬
hin fallen."*) Anders lautete die Sprache in Murten. Durch kleine glück¬
liche Ausfälle hatte Adrian v. Bubenberg den Muth seiner Mannschaft ge¬
stählt, und als die ersten Angriffe der Belagerer abgewiesen waren und die
Besatzung unter der außerordentlichen Anstrengung zu ermatten und schwierig
zu werden schien, versammelte der wackere Mann seine Leute und schnür
öffentlich. Jeden niederzustechen, der nur ein kleinmüthiges Wort würde h>en
lassen. "Kriegsgesellen, wachet!" schloß er seine Rede "an Murten hangt das
Vaterland. Nur Eine Vormauer hat die Heimath: unsern Muth." ^ ^
gelobten ihm nun, bis auf den letzten Blutstropfen zu kämpfen, und sie sollen
eine so kraftvolle Haltung bewiesen haben, daß Adrian, der Sage nach, be¬
fehlen konnte, die Thore der Festung während der Belagerung nicht zu
schließen; eine Maßregel, der man bis auf den letzten Augenblick treu ge¬
blieben sein soll. Der Sage nach! Die eigentlichen Geschichtsquellen wissen
nichts davon, und überdies wiederholt sich der Bericht von diesem heroischen
Zuge an den verschiedensten Orten und bet den verschiedensten Gelegenheiten,
wodurch er aufs Deutlichste als Mythe gekennzeichnet wird; aber das Ent-


') Punicharola,

geschickt die Zeit benutzt, um die Werke theils auszubessern, theils neue anzu¬
legen. Der Ort besaß Ringmauern mit Thürmen und „einen doppelten
Graben mit Bollwerken", wie es die Schweizer-Geschichtsschreiber nennen.
Es wird überdies besonders erwähnt, daß der Kommandant noch einige
äußere Bollwerke habe aufwerfen lassen. — Die Belagerung wurde nun mit
großem Eifer in Angriff genommen und 80 Geschütze gegen Murten in
Batterie gestellt. Da dieselben jedoch durchgehends nur Steinkugeln schössen,
so waren die Verheerungen nicht allzu bedeutend. Nach vier Tagen war in¬
dessen doch ein großes Stück Mauer niedergeschmettert, und die Abtheilung
des Grafen Romont glaubte nun, einen Sturm unternehmen zu können. Aber
die Schweizer vertheidigten ihre Bresche so gut, daß die Burgunder nach
einem achtstündigen Sturme mit dem Verluste von 700 Mann abziehen
mußten. — Ein neuer Sturm, den Karl's Leute zwei Tage später, also am
20. Juni auf die fast überall zerstörten Mauern unternahmen, endete noch
nachtheiliger. Nach dreistündigem Angriff und einem Verluste von mehr als
1000 M. mußten die Angreifer abstehen. Ergrimmt schalt der Herzog die
Hauptleute, daß sie dem Ort nicht schärfer zugesetzt und ihre Leute allzusehr
geschont hätten. Ohne dies ganz in Abrede zu stellen, entschuldigten sie sich
damit, daß, „in täglicher Erwartung eines zum Entsatz anrückenden Feindes
es nicht gerathen sei, vor dem belagerten Platze die tüchtigste Mannschaft zu
Grunde zu richten; besser sei es. sie zur bevorstehenden Schlacht zu sparen.
Wäre dann einmal der Feind im Felde überwunden, so werde der Platz ohne¬
hin fallen."*) Anders lautete die Sprache in Murten. Durch kleine glück¬
liche Ausfälle hatte Adrian v. Bubenberg den Muth seiner Mannschaft ge¬
stählt, und als die ersten Angriffe der Belagerer abgewiesen waren und die
Besatzung unter der außerordentlichen Anstrengung zu ermatten und schwierig
zu werden schien, versammelte der wackere Mann seine Leute und schnür
öffentlich. Jeden niederzustechen, der nur ein kleinmüthiges Wort würde h>en
lassen. „Kriegsgesellen, wachet!" schloß er seine Rede „an Murten hangt das
Vaterland. Nur Eine Vormauer hat die Heimath: unsern Muth." ^ ^
gelobten ihm nun, bis auf den letzten Blutstropfen zu kämpfen, und sie sollen
eine so kraftvolle Haltung bewiesen haben, daß Adrian, der Sage nach, be¬
fehlen konnte, die Thore der Festung während der Belagerung nicht zu
schließen; eine Maßregel, der man bis auf den letzten Augenblick treu ge¬
blieben sein soll. Der Sage nach! Die eigentlichen Geschichtsquellen wissen
nichts davon, und überdies wiederholt sich der Bericht von diesem heroischen
Zuge an den verschiedensten Orten und bet den verschiedensten Gelegenheiten,
wodurch er aufs Deutlichste als Mythe gekennzeichnet wird; aber das Ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/112>, abgerufen am 24.07.2024.