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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Die Arilogie Karl's des Kühnen.
Von Max Jähns. Bei Grandson verlor er das Gut,
Bei Murten den Muth,
Bei Nancy das Blut.
(Alter Spruch.)
III.
Der "Murtenstreit".

Niemand war mehr über den Ausgang des Feldzuges von Grandson
^freut, als Louis XI. von Frankreich. Er beklagte einzig und allein, daß
burgundischerseits nicht mehr Menschen umgekommen seien.*) Unter dem
Vorwande einer Wallfahrt hatte er sich nach Lyon begeben, um dem Kriegs¬
schauplatze näher zu sein; jetzt säumte er nicht, die Früchte einzuheimsen, welche

Sieg ihm abwerfen mußte. Zu den Eidgenossen, die er zur Zeit der
Noth im Stiche gelassen, sandte er Boten mit Glückwünschen und Ge¬
schenken, um ihre Stimmung wieder herzustellen; aber auch gegen Burgund
Nahm er eine wohlwollende Haltung an und verlängerte ihm dem Waffen¬
stillstand, natürlich zu dem Zwecke, damit Karl ja aufs Neue gegen die
Schweizer ziehn möge.

Der Herzog hatte in jäher Flucht noch am Schlachttage selbst das Schloß
^ozeroy in Hochburgund erreicht. Er war außer sich über den erlittenen
Verlust und noch mehr über dem Schimpf, ohne eigentliche Schlacht geschlagen
worden zu sein. Sobald er sich von der ersten Betäubung erholt, machte er
in der That die größten Anstrengungen, sich zu einem neuen Feldzuge zu
rüsten, um die Schmach im Blute der Feinde abzuwaschen. Er schwor, sich
nicht eher den Bart wieder scheeren zu lassen, bevor er Rache genommen an
^n Schweizern. -- Vor Allem galt es, ein neues Heer zusammenzubringen,
da die geschlagene Armee, trotzdem sie so wenig verloren, nach allen Richtungen
Windrose auseinandergelaufen war. Ueberall hin ergingen Karl's Befehle
Und Bitten: die Flüchtigen aufzuhalten und ihm zuzusenden, die in Lothringen
zurückgebliebenen Corps nach Hochburgund zu dirigiren, ihn mit neuen Hilfs-
kuppen aus Savoyen und der Lombardei zu unterstützen. Zur Beschaffung
neuen Geschützes mußte in der Frei - Grafschaft jeder Hausvater von allem
ehernen und eisernen Geschirr seiner Haushaltung die Hälfte an die fürstlichen
Gießereien abliefern, in denen Tag und Nacht gearbeitet wurde. Seinen
Freunden stellte Karl die erlittene Schlappe als ein bloßes Scharmützel dar;



") "ISll su trof gi'lass ^o^s se us lui üsxliüsoit ins neu pfeil uombrs us ^vos yui
^vient sstö porans." voiumes,
Die Arilogie Karl's des Kühnen.
Von Max Jähns. Bei Grandson verlor er das Gut,
Bei Murten den Muth,
Bei Nancy das Blut.
(Alter Spruch.)
III.
Der „Murtenstreit".

Niemand war mehr über den Ausgang des Feldzuges von Grandson
^freut, als Louis XI. von Frankreich. Er beklagte einzig und allein, daß
burgundischerseits nicht mehr Menschen umgekommen seien.*) Unter dem
Vorwande einer Wallfahrt hatte er sich nach Lyon begeben, um dem Kriegs¬
schauplatze näher zu sein; jetzt säumte er nicht, die Früchte einzuheimsen, welche

Sieg ihm abwerfen mußte. Zu den Eidgenossen, die er zur Zeit der
Noth im Stiche gelassen, sandte er Boten mit Glückwünschen und Ge¬
schenken, um ihre Stimmung wieder herzustellen; aber auch gegen Burgund
Nahm er eine wohlwollende Haltung an und verlängerte ihm dem Waffen¬
stillstand, natürlich zu dem Zwecke, damit Karl ja aufs Neue gegen die
Schweizer ziehn möge.

Der Herzog hatte in jäher Flucht noch am Schlachttage selbst das Schloß
^ozeroy in Hochburgund erreicht. Er war außer sich über den erlittenen
Verlust und noch mehr über dem Schimpf, ohne eigentliche Schlacht geschlagen
worden zu sein. Sobald er sich von der ersten Betäubung erholt, machte er
in der That die größten Anstrengungen, sich zu einem neuen Feldzuge zu
rüsten, um die Schmach im Blute der Feinde abzuwaschen. Er schwor, sich
nicht eher den Bart wieder scheeren zu lassen, bevor er Rache genommen an
^n Schweizern. — Vor Allem galt es, ein neues Heer zusammenzubringen,
da die geschlagene Armee, trotzdem sie so wenig verloren, nach allen Richtungen
Windrose auseinandergelaufen war. Ueberall hin ergingen Karl's Befehle
Und Bitten: die Flüchtigen aufzuhalten und ihm zuzusenden, die in Lothringen
zurückgebliebenen Corps nach Hochburgund zu dirigiren, ihn mit neuen Hilfs-
kuppen aus Savoyen und der Lombardei zu unterstützen. Zur Beschaffung
neuen Geschützes mußte in der Frei - Grafschaft jeder Hausvater von allem
ehernen und eisernen Geschirr seiner Haushaltung die Hälfte an die fürstlichen
Gießereien abliefern, in denen Tag und Nacht gearbeitet wurde. Seinen
Freunden stellte Karl die erlittene Schlappe als ein bloßes Scharmützel dar;



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[0103] Die Arilogie Karl's des Kühnen. Von Max Jähns. Bei Grandson verlor er das Gut, Bei Murten den Muth, Bei Nancy das Blut. (Alter Spruch.) III. Der „Murtenstreit". Niemand war mehr über den Ausgang des Feldzuges von Grandson ^freut, als Louis XI. von Frankreich. Er beklagte einzig und allein, daß burgundischerseits nicht mehr Menschen umgekommen seien.*) Unter dem Vorwande einer Wallfahrt hatte er sich nach Lyon begeben, um dem Kriegs¬ schauplatze näher zu sein; jetzt säumte er nicht, die Früchte einzuheimsen, welche Sieg ihm abwerfen mußte. Zu den Eidgenossen, die er zur Zeit der Noth im Stiche gelassen, sandte er Boten mit Glückwünschen und Ge¬ schenken, um ihre Stimmung wieder herzustellen; aber auch gegen Burgund Nahm er eine wohlwollende Haltung an und verlängerte ihm dem Waffen¬ stillstand, natürlich zu dem Zwecke, damit Karl ja aufs Neue gegen die Schweizer ziehn möge. Der Herzog hatte in jäher Flucht noch am Schlachttage selbst das Schloß ^ozeroy in Hochburgund erreicht. Er war außer sich über den erlittenen Verlust und noch mehr über dem Schimpf, ohne eigentliche Schlacht geschlagen worden zu sein. Sobald er sich von der ersten Betäubung erholt, machte er in der That die größten Anstrengungen, sich zu einem neuen Feldzuge zu rüsten, um die Schmach im Blute der Feinde abzuwaschen. Er schwor, sich nicht eher den Bart wieder scheeren zu lassen, bevor er Rache genommen an ^n Schweizern. — Vor Allem galt es, ein neues Heer zusammenzubringen, da die geschlagene Armee, trotzdem sie so wenig verloren, nach allen Richtungen Windrose auseinandergelaufen war. Ueberall hin ergingen Karl's Befehle Und Bitten: die Flüchtigen aufzuhalten und ihm zuzusenden, die in Lothringen zurückgebliebenen Corps nach Hochburgund zu dirigiren, ihn mit neuen Hilfs- kuppen aus Savoyen und der Lombardei zu unterstützen. Zur Beschaffung neuen Geschützes mußte in der Frei - Grafschaft jeder Hausvater von allem ehernen und eisernen Geschirr seiner Haushaltung die Hälfte an die fürstlichen Gießereien abliefern, in denen Tag und Nacht gearbeitet wurde. Seinen Freunden stellte Karl die erlittene Schlappe als ein bloßes Scharmützel dar; ") „ISll su trof gi'lass ^o^s se us lui üsxliüsoit ins neu pfeil uombrs us ^vos yui ^vient sstö porans." voiumes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/103>, abgerufen am 23.07.2024.