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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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haben sich die Hauptstücke ihres Exereierreglements versisicirt. Könnte es in
der Fibel nicht z. B. anstatt:


"Der Affe gar Possirlich ist,
Zumal wenn er vom Apfel frißt."

lieber heißen:


Das Augenlicht in kurzer Frist
Beschädigt, wer im Zwielicht liest,

und so fort durchs Alphabet, bis unter Z die Zähne an die Reihe kämen? --
Streitfragen möchten einstweilen noch wegbleiben, z. B. ob das alte Verschen


Nach dem Essen sollst du stehn
Oder tausend Schritte gehn

noch Willigkeit hat, oder ob die neuere Lesart die richtigere:


Nach dem Essen sollst du ruhn
Oder auch ein Schläfchen thun.

Der alte Doctor Boerhaave ging schon im siebzehnten Jahrhundert
voran in der Versisication mit seinem "Kopf kalt, Füße warm, beschweren
nicht den Darm".

Auch in technischen Lehranstalten sollte jener Unterricht ein¬
geführt werden. Hier wäre aufmerksam zu machen auf Schädlichkeiten, welche
das Local und Material der Arbeit, die Borrichtungen, Gerüche, Maschinen,
die Abgänge in den Fabriken für die Arbeiter, die Abnehmer und die Nach¬
barn herbeiführen könnten und Borbeugungsmittel anzugeben. Aus diesen
Anstalten gehen Fabrikherren und Werkführer hervor, in deren Hand oft
das Wohl Tausender gelegt ist. Wer für Rücksichten der Menschlichkeit
unempfänglich ist, sollte sich wenigstens durch das H aftpslicht gesetz vom
7- Juni 1871 bestimmen lassen, auf seiner Hut zu sein. Auch an der Stelle
üegt ein Stück Lösung der "socialen Frage "

Und warum wird, von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen,
unserer Jugend Rath in Gesundheitsangelegenheiten vorenthalten? -- Weil
die Schule sagt: das ist nicht meine Sache, sondern die der Eltern. --
Die Eltern erklären einstimmig: davon verstehen wir nichts (hierin haben sie
völlig recht) die Herren Aerzte sollten dafür sorgen. -- Die Herren Aerzte
lassen sich vernehmen: (daß Viele von ihnen denken könnten: "wenn wir
euch gesund erhielten, müßten wir ja verhungern", wollen wir nicht glauben!--)
uns befragen die Leute erst, wenn sie krank sind, wie sollen wir uns Gehör
und Gehorsam verschaffen bei Gesunden, und gar bei der leichtsinnigen Jugend?
Dafür ist die Literatur da. -- Wenden wir uns nun an die Schriftsteller,
so heißt es: schreiben wir euch etwa nicht Bücher genug? Wie viele von


haben sich die Hauptstücke ihres Exereierreglements versisicirt. Könnte es in
der Fibel nicht z. B. anstatt:


„Der Affe gar Possirlich ist,
Zumal wenn er vom Apfel frißt."

lieber heißen:


Das Augenlicht in kurzer Frist
Beschädigt, wer im Zwielicht liest,

und so fort durchs Alphabet, bis unter Z die Zähne an die Reihe kämen? —
Streitfragen möchten einstweilen noch wegbleiben, z. B. ob das alte Verschen


Nach dem Essen sollst du stehn
Oder tausend Schritte gehn

noch Willigkeit hat, oder ob die neuere Lesart die richtigere:


Nach dem Essen sollst du ruhn
Oder auch ein Schläfchen thun.

Der alte Doctor Boerhaave ging schon im siebzehnten Jahrhundert
voran in der Versisication mit seinem „Kopf kalt, Füße warm, beschweren
nicht den Darm".

Auch in technischen Lehranstalten sollte jener Unterricht ein¬
geführt werden. Hier wäre aufmerksam zu machen auf Schädlichkeiten, welche
das Local und Material der Arbeit, die Borrichtungen, Gerüche, Maschinen,
die Abgänge in den Fabriken für die Arbeiter, die Abnehmer und die Nach¬
barn herbeiführen könnten und Borbeugungsmittel anzugeben. Aus diesen
Anstalten gehen Fabrikherren und Werkführer hervor, in deren Hand oft
das Wohl Tausender gelegt ist. Wer für Rücksichten der Menschlichkeit
unempfänglich ist, sollte sich wenigstens durch das H aftpslicht gesetz vom
7- Juni 1871 bestimmen lassen, auf seiner Hut zu sein. Auch an der Stelle
üegt ein Stück Lösung der „socialen Frage "

Und warum wird, von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen,
unserer Jugend Rath in Gesundheitsangelegenheiten vorenthalten? — Weil
die Schule sagt: das ist nicht meine Sache, sondern die der Eltern. —
Die Eltern erklären einstimmig: davon verstehen wir nichts (hierin haben sie
völlig recht) die Herren Aerzte sollten dafür sorgen. — Die Herren Aerzte
lassen sich vernehmen: (daß Viele von ihnen denken könnten: „wenn wir
euch gesund erhielten, müßten wir ja verhungern", wollen wir nicht glauben!—)
uns befragen die Leute erst, wenn sie krank sind, wie sollen wir uns Gehör
und Gehorsam verschaffen bei Gesunden, und gar bei der leichtsinnigen Jugend?
Dafür ist die Literatur da. — Wenden wir uns nun an die Schriftsteller,
so heißt es: schreiben wir euch etwa nicht Bücher genug? Wie viele von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/101>, abgerufen am 23.07.2024.