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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Ich möchte wohl wissen, wie Ophthalmologen über die Sache denken.
Daß unsere Großväter gute Augen trotz der Talglichte hatten, scheint mir
schon hinlänglich dadurch erklärt, daß man damals weniger stubenhockte.
überhaupt nicht so viel bei künstlichem Lichte arbeitete, nicht in so frühem
Alter zur Schule ging und in vielen anderen Dingen naturgemäßer lebte, als
jetzt. Wäre zeitweilige unzulängliche Beleuchtung ein geeignetes Mittel zur
Stärkung der Augen, so müßte wohl auch die Widerstandskraft der Lunge
gekräftigt werden durch häufige Herabsetzung derselben auf schmale Kost an
Athemluft, was sich doch keineswegs annehmen läßt. -- Das schärfste Gesicht
von allen Berufsklassen hat durchschnittlich der Seemann, welcher sein Auge
fortwährend an wett entfernten Objekten im Freien zu üben genöthigt ist,
ihm zunächst stehen Forst- und Landleute, während wir Stadtmenschen immer
tiefer in die Augenschwäche und die geschliffenen Gläser gerathen. Denken
wohl viele städtische Lehrer daran, bei Spaziergänger, mit den Kindern diese
methodisch im Sehen in die Ferne zu üben? --

Aus den Zeitungen erfährt man, daß in einigen Les rersemin arien,
auch sogar in Volksschulen der Unterricht in der Gesundheitspflege be¬
reits anfängt, Eingang zu finden. (Bet der Gelegenheit läßt sich die Frage
aufwerfen: warum wird das gute Beispiel, das die Münchener Universität
gab durch Errichtung eines akademischenLehrstuhls der Hygieine,
nicht häufiger nachgeahmt? --) Mag es auch noch so viel Unsicheres in dem
Bereiche geben, mag ferner das Jugendalter wenig Sinn haben für s^He
Dinge -- zugleich sein Glück und sein Unglück! -- so kann es doch unmöglich
ganz fruchtlos sein, wenn wenigstens gewisse allgemeine, durchaus festgestellte -
Regeln (z. B. so und so habt ihr Brust. Augen, Haut, Zähne zu behandeln ;
schiefe oder gebückte Haltung hat die und die Nachtheile; ihr sollt die Speise"
gut kauen, und zwar nicht vorn, auch nicht blos an einer Seite, sondern
abwechselnd an beiden; nicht der Mund, sondern die Nase ist zum Athens
holen bestimmt; die und die Vorschriften der Reinlichkeit dienen auch der
Gesundheit :c.) der Jugend schon in den ersten Schuljahren eingeprägt würden-
Manches durch das elterliche Haus bereits halb Verdorbene ließ sich da we -
leicht wieder gut machen.

Könnte nicht ein Gesundheits-Zumpt die Grundregeln der Diätetik w
Verse bringen? -- Wie lieb dem Volke und der Jugend Vers und Reim 's-
oie leicht und anhaltend sich mit ihrer Hilfe Alles dem Gedächtniß einprag '
wie beflissen die unteren Bildungs- und Altersklassen sind, was ihnen n^
in dieser Form gereicht wird, sich selber so zurecht zu machen, sehen
allenthalben. Bedeutet doch auch "sich einen Vers drauf machen" etwas zu
Bewußtsein oder zur praktischen Anwendung zu bringen. Die Soldaten


Ich möchte wohl wissen, wie Ophthalmologen über die Sache denken.
Daß unsere Großväter gute Augen trotz der Talglichte hatten, scheint mir
schon hinlänglich dadurch erklärt, daß man damals weniger stubenhockte.
überhaupt nicht so viel bei künstlichem Lichte arbeitete, nicht in so frühem
Alter zur Schule ging und in vielen anderen Dingen naturgemäßer lebte, als
jetzt. Wäre zeitweilige unzulängliche Beleuchtung ein geeignetes Mittel zur
Stärkung der Augen, so müßte wohl auch die Widerstandskraft der Lunge
gekräftigt werden durch häufige Herabsetzung derselben auf schmale Kost an
Athemluft, was sich doch keineswegs annehmen läßt. — Das schärfste Gesicht
von allen Berufsklassen hat durchschnittlich der Seemann, welcher sein Auge
fortwährend an wett entfernten Objekten im Freien zu üben genöthigt ist,
ihm zunächst stehen Forst- und Landleute, während wir Stadtmenschen immer
tiefer in die Augenschwäche und die geschliffenen Gläser gerathen. Denken
wohl viele städtische Lehrer daran, bei Spaziergänger, mit den Kindern diese
methodisch im Sehen in die Ferne zu üben? —

Aus den Zeitungen erfährt man, daß in einigen Les rersemin arien,
auch sogar in Volksschulen der Unterricht in der Gesundheitspflege be¬
reits anfängt, Eingang zu finden. (Bet der Gelegenheit läßt sich die Frage
aufwerfen: warum wird das gute Beispiel, das die Münchener Universität
gab durch Errichtung eines akademischenLehrstuhls der Hygieine,
nicht häufiger nachgeahmt? —) Mag es auch noch so viel Unsicheres in dem
Bereiche geben, mag ferner das Jugendalter wenig Sinn haben für s^He
Dinge — zugleich sein Glück und sein Unglück! — so kann es doch unmöglich
ganz fruchtlos sein, wenn wenigstens gewisse allgemeine, durchaus festgestellte -
Regeln (z. B. so und so habt ihr Brust. Augen, Haut, Zähne zu behandeln ;
schiefe oder gebückte Haltung hat die und die Nachtheile; ihr sollt die Speise"
gut kauen, und zwar nicht vorn, auch nicht blos an einer Seite, sondern
abwechselnd an beiden; nicht der Mund, sondern die Nase ist zum Athens
holen bestimmt; die und die Vorschriften der Reinlichkeit dienen auch der
Gesundheit :c.) der Jugend schon in den ersten Schuljahren eingeprägt würden-
Manches durch das elterliche Haus bereits halb Verdorbene ließ sich da we -
leicht wieder gut machen.

Könnte nicht ein Gesundheits-Zumpt die Grundregeln der Diätetik w
Verse bringen? — Wie lieb dem Volke und der Jugend Vers und Reim 's-
oie leicht und anhaltend sich mit ihrer Hilfe Alles dem Gedächtniß einprag '
wie beflissen die unteren Bildungs- und Altersklassen sind, was ihnen n^
in dieser Form gereicht wird, sich selber so zurecht zu machen, sehen
allenthalben. Bedeutet doch auch „sich einen Vers drauf machen" etwas zu
Bewußtsein oder zur praktischen Anwendung zu bringen. Die Soldaten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/100>, abgerufen am 23.07.2024.