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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Masse des Volkes sehr wenig an. Diese Masse bilden ja die rohen, unge¬
bildeten Bauern, trotz trefflicher Eigenschaften, wie natürlich Leute ohne jede
politische Einsicht, leicht zu leiten durch den, der sie durch feurige Reden und
reichliche Weinspenden zu erhitzen versteht, das Werkzeug der Adelsparteien.
Daher jene berüchtigten "Wahlschlachten", ein ganz besonderer Charakterzug
des ungarischen Verfassungslebens.

Was aber ist das Ziel dieses regierenden Adels? Gewiß die möglichste
Entfaltung der Cultur und des Wohlstandes, vor allem aber, was ihm un¬
zertrennlich damit verbunden zu sein scheint, die Magyaristrung Ungarns um
jeden Preis. Eine geheime Angst vor der Uebermacht der nicht magyarischen
Nationalitäten im Lande, besonders der Deutschen und Slawen, treibt die
Magyaren nach dieser Richtung vorwärts, jede Logik hört auf, sobald diese
Frage in's Spiel kommt. Und weit in der That sind sie gekommen. Das
Sprachengesetz von 1868 hat im Reichstage jede andere Nationalität als die
ihrige mundtodt gemacht; das Magyarische herrscht in den Komitatsverhand--
lungen und in den Gerichtshöfen. Den Stadtverwaltungen hatte man aller¬
dings gestattet, sich die amtliche Sprache nach den Bedürfnissen der Bevölke¬
rung zu wählen; da aber dann für Pest-Ofen sicher das Deutsche als Amts¬
sprache beschlossen worden wäre, so wurde dieser vorwiegend deutschen Stadt
durch ein Ausnahmegesetz das Magyarische aufgezwungen und in ihrer eignen
Stadt die Deutschen zum Schweigen verdammt. Die Post kennt nur das
Magyarische; ja die neueste Verfügung bedroht alle Eisenbahnbeamte, die sich nicht
bis zum Juli 187S in dieser Mundart ausdrücken können, mit sofortiger
Entlassung! Auch die Bildungsanstalten werden magyaristrt. Die Mitglieder
der königlich ungarischen Akademie dürfen nur magyarisch schreiben; der ver¬
dienstliche lüoäox Mei'ius, der die Urkunden des ungarischen Mittelalters zu¬
sammenstellt, giebt Vorrede, Titel, Erklärungen nur in magyarischer Sprache,
eine wahrhaft classische Bornirrheit, denn das dürfen die Magyaren ja nicht
erwarten, daß ein auswärtiger Gelehrter dieses Codex und der wenigen wissen¬
schaftlichen Werke der Magyaren halber eine schwere Sprache lernt, die ganze
5 Millionen Menschen reden. In den höheren Bildungsanstalten ist das
Magyarische zur vorherrschenden Unterrichtssprache gemacht worden, auch in
ganz deutschen Gegenden, wie z. B. in Oedenburg am Gymnasium. Da nun
die deutschen Lehrer das Magyarische nicht verstehen, es vielleicht auch gar
nicht mehr lernen können oder wollen, so ersetzt man sie, wo es irgend an¬
geht, durch Magyaren oder Magyaronen, d. h. deutsche Renegaten, die es
an Fanatismus den andern womöglich noch zuvorthun. Eine gräuliche Cultur¬
verwüstung ist die nothwendige Folge, denn in jedem Gebiete höherer Bildung
sind und bleiben die Magyaren Barbaren. Ihre Rechnung ist freilich sehr
einfach: wenn Alles magyarisirt wird, so muß, meinen sie, Alles magyarisch


Masse des Volkes sehr wenig an. Diese Masse bilden ja die rohen, unge¬
bildeten Bauern, trotz trefflicher Eigenschaften, wie natürlich Leute ohne jede
politische Einsicht, leicht zu leiten durch den, der sie durch feurige Reden und
reichliche Weinspenden zu erhitzen versteht, das Werkzeug der Adelsparteien.
Daher jene berüchtigten „Wahlschlachten", ein ganz besonderer Charakterzug
des ungarischen Verfassungslebens.

Was aber ist das Ziel dieses regierenden Adels? Gewiß die möglichste
Entfaltung der Cultur und des Wohlstandes, vor allem aber, was ihm un¬
zertrennlich damit verbunden zu sein scheint, die Magyaristrung Ungarns um
jeden Preis. Eine geheime Angst vor der Uebermacht der nicht magyarischen
Nationalitäten im Lande, besonders der Deutschen und Slawen, treibt die
Magyaren nach dieser Richtung vorwärts, jede Logik hört auf, sobald diese
Frage in's Spiel kommt. Und weit in der That sind sie gekommen. Das
Sprachengesetz von 1868 hat im Reichstage jede andere Nationalität als die
ihrige mundtodt gemacht; das Magyarische herrscht in den Komitatsverhand--
lungen und in den Gerichtshöfen. Den Stadtverwaltungen hatte man aller¬
dings gestattet, sich die amtliche Sprache nach den Bedürfnissen der Bevölke¬
rung zu wählen; da aber dann für Pest-Ofen sicher das Deutsche als Amts¬
sprache beschlossen worden wäre, so wurde dieser vorwiegend deutschen Stadt
durch ein Ausnahmegesetz das Magyarische aufgezwungen und in ihrer eignen
Stadt die Deutschen zum Schweigen verdammt. Die Post kennt nur das
Magyarische; ja die neueste Verfügung bedroht alle Eisenbahnbeamte, die sich nicht
bis zum Juli 187S in dieser Mundart ausdrücken können, mit sofortiger
Entlassung! Auch die Bildungsanstalten werden magyaristrt. Die Mitglieder
der königlich ungarischen Akademie dürfen nur magyarisch schreiben; der ver¬
dienstliche lüoäox Mei'ius, der die Urkunden des ungarischen Mittelalters zu¬
sammenstellt, giebt Vorrede, Titel, Erklärungen nur in magyarischer Sprache,
eine wahrhaft classische Bornirrheit, denn das dürfen die Magyaren ja nicht
erwarten, daß ein auswärtiger Gelehrter dieses Codex und der wenigen wissen¬
schaftlichen Werke der Magyaren halber eine schwere Sprache lernt, die ganze
5 Millionen Menschen reden. In den höheren Bildungsanstalten ist das
Magyarische zur vorherrschenden Unterrichtssprache gemacht worden, auch in
ganz deutschen Gegenden, wie z. B. in Oedenburg am Gymnasium. Da nun
die deutschen Lehrer das Magyarische nicht verstehen, es vielleicht auch gar
nicht mehr lernen können oder wollen, so ersetzt man sie, wo es irgend an¬
geht, durch Magyaren oder Magyaronen, d. h. deutsche Renegaten, die es
an Fanatismus den andern womöglich noch zuvorthun. Eine gräuliche Cultur¬
verwüstung ist die nothwendige Folge, denn in jedem Gebiete höherer Bildung
sind und bleiben die Magyaren Barbaren. Ihre Rechnung ist freilich sehr
einfach: wenn Alles magyarisirt wird, so muß, meinen sie, Alles magyarisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/77>, abgerufen am 28.09.2024.