Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.einen ungemein lebhaften Sinn für Häuslichkeit und Familie; sie treten keines¬ Wenn die Ruthenen gemäß ihrer wirthschaftlichen Barbarei und ihrer Ein merkwürdiger Gegensatz des nationalen Verhaltens zeigt sich aber einen ungemein lebhaften Sinn für Häuslichkeit und Familie; sie treten keines¬ Wenn die Ruthenen gemäß ihrer wirthschaftlichen Barbarei und ihrer Ein merkwürdiger Gegensatz des nationalen Verhaltens zeigt sich aber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133890"/> <p xml:id="ID_198" prev="#ID_197"> einen ungemein lebhaften Sinn für Häuslichkeit und Familie; sie treten keines¬<lb/> wegs selbstbewußt auf, ja es scheint das Ehrgefühl ihnen fast ganz zu mangeln,<lb/> sie besitzen aber eine außerordentliche Zähigkeit, die den Ruthenen ganz ab¬<lb/> geht, großen Fleiß und emsige Betriebsamkeit. Intellektuell erscheinen sie<lb/> trotzdem in ihrer Masse nicht eben bedeutend, doch spricht für ihre Bildungs¬<lb/> fähigkeit die Thatsache, daß hervorragende Männer aus ihnen hervorgegangen<lb/> sind. Wir haben nur an den Dichter Kollar oder an den Geschichts- und<lb/> Sprachforscher Schafarik zu erinnern, von denen jener der Vater des Pan-<lb/> slawismus zu heißen verdient, dieser zuerst über das slawische Alterthum Helles<lb/> Licht verbreitet hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_199"> Wenn die Ruthenen gemäß ihrer wirthschaftlichen Barbarei und ihrer<lb/> inneren Haltlosigkeit mehr und mehr zurückweichen, so sind dagegen die Slo¬<lb/> waken in merkwürdig raschem Vordringen begriffen, Dank ihrer Betriebsam¬<lb/> keit, ihrer Zähigkeit und ihrer raschen Vermehrung. Deutsche, Magyaren,<lb/> Ruthenen erliegen ihnen, werden verdrängt oder slowakisirt. „Die Slowaken<lb/> kommen als Dienstboten, Tagelöhner und Handwerker, kaufen sich Häuschen<lb/> in den Vorstädten, nehmen mit geringem vorlieb, und ehe man es sich ver¬<lb/> sieht, haben sie die Stadt umzingelt und dringen auf ihren Kern." Ganze<lb/> Reihen deutscher Dörfer und Städtchen sind ihnen erlegen. So ist in der<lb/> deutschen Zips Lauchsenburg zu Luscivna, Mangsdorf zu Mangusovce, Gerls¬<lb/> dorf zu Gerlachovce geworden; in diesen Orten, wo sonst nur deutsch gesprochen<lb/> wurde, ist es jetzt verklungen; in der ganzen Zips verstand man vor 30 Jahren<lb/> nur sehr wenig slowakisch, jetzt spricht es fast jedermann. Daß die Ruthenen<lb/> den Slowaken weichen, scheint natürlich, denn die letzteren stehen relativ höher<lb/> als die ersteren und die Slowakisirung einer ruthenischen Gemeinde bedeutet<lb/> für diese Erhebung zu besserem Dasein; räthselhaft zunächst ist es, daß die<lb/> Slowaken auch mit den Deutschen und Magyaren fertig werden, die, wenn<lb/> sie sich slowakisiren, stets auf eine tiefere Stufe sinken. Hier zwingt die<lb/> niedere Rasse die höhere. Die Erklärung liegt in der zähen nationalen Eigen¬<lb/> art des Slowaken, der schwer eine andere Sprache lernt und sich dadurch nicht<lb/> nur behauptet, sondern auch andere zwingt, darauf einzugehen, wenn sie von<lb/> ihm Dienste begehren, ferner in ihrer Genügsamkeit und Betriebsamkeit und<lb/> nicht zum wenigsten in ihrer Kindermenge. In keinem dieser Punkte können<lb/> es Deutsche oder Magyaren mit ihnen aufnehmen, am wenigsten im letzten<lb/> die kinderarmer Magyaren. Nur der Jude hält dem Slowaken Stich, denn<lb/> er entwickelt jene Eigenthümlichkeiten alle und besitzt zu dem die höhere<lb/> Cultur.</p><lb/> <p xml:id="ID_200" next="#ID_201"> Ein merkwürdiger Gegensatz des nationalen Verhaltens zeigt sich aber<lb/> zwischen den katholischen und lutherischen Slowaken, namentlich soöald sie<lb/> als vereinzelte Gemeinden inmitten Fremder leben. Die Lutheraner bewahren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
einen ungemein lebhaften Sinn für Häuslichkeit und Familie; sie treten keines¬
wegs selbstbewußt auf, ja es scheint das Ehrgefühl ihnen fast ganz zu mangeln,
sie besitzen aber eine außerordentliche Zähigkeit, die den Ruthenen ganz ab¬
geht, großen Fleiß und emsige Betriebsamkeit. Intellektuell erscheinen sie
trotzdem in ihrer Masse nicht eben bedeutend, doch spricht für ihre Bildungs¬
fähigkeit die Thatsache, daß hervorragende Männer aus ihnen hervorgegangen
sind. Wir haben nur an den Dichter Kollar oder an den Geschichts- und
Sprachforscher Schafarik zu erinnern, von denen jener der Vater des Pan-
slawismus zu heißen verdient, dieser zuerst über das slawische Alterthum Helles
Licht verbreitet hat.
Wenn die Ruthenen gemäß ihrer wirthschaftlichen Barbarei und ihrer
inneren Haltlosigkeit mehr und mehr zurückweichen, so sind dagegen die Slo¬
waken in merkwürdig raschem Vordringen begriffen, Dank ihrer Betriebsam¬
keit, ihrer Zähigkeit und ihrer raschen Vermehrung. Deutsche, Magyaren,
Ruthenen erliegen ihnen, werden verdrängt oder slowakisirt. „Die Slowaken
kommen als Dienstboten, Tagelöhner und Handwerker, kaufen sich Häuschen
in den Vorstädten, nehmen mit geringem vorlieb, und ehe man es sich ver¬
sieht, haben sie die Stadt umzingelt und dringen auf ihren Kern." Ganze
Reihen deutscher Dörfer und Städtchen sind ihnen erlegen. So ist in der
deutschen Zips Lauchsenburg zu Luscivna, Mangsdorf zu Mangusovce, Gerls¬
dorf zu Gerlachovce geworden; in diesen Orten, wo sonst nur deutsch gesprochen
wurde, ist es jetzt verklungen; in der ganzen Zips verstand man vor 30 Jahren
nur sehr wenig slowakisch, jetzt spricht es fast jedermann. Daß die Ruthenen
den Slowaken weichen, scheint natürlich, denn die letzteren stehen relativ höher
als die ersteren und die Slowakisirung einer ruthenischen Gemeinde bedeutet
für diese Erhebung zu besserem Dasein; räthselhaft zunächst ist es, daß die
Slowaken auch mit den Deutschen und Magyaren fertig werden, die, wenn
sie sich slowakisiren, stets auf eine tiefere Stufe sinken. Hier zwingt die
niedere Rasse die höhere. Die Erklärung liegt in der zähen nationalen Eigen¬
art des Slowaken, der schwer eine andere Sprache lernt und sich dadurch nicht
nur behauptet, sondern auch andere zwingt, darauf einzugehen, wenn sie von
ihm Dienste begehren, ferner in ihrer Genügsamkeit und Betriebsamkeit und
nicht zum wenigsten in ihrer Kindermenge. In keinem dieser Punkte können
es Deutsche oder Magyaren mit ihnen aufnehmen, am wenigsten im letzten
die kinderarmer Magyaren. Nur der Jude hält dem Slowaken Stich, denn
er entwickelt jene Eigenthümlichkeiten alle und besitzt zu dem die höhere
Cultur.
Ein merkwürdiger Gegensatz des nationalen Verhaltens zeigt sich aber
zwischen den katholischen und lutherischen Slowaken, namentlich soöald sie
als vereinzelte Gemeinden inmitten Fremder leben. Die Lutheraner bewahren
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