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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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der Bischöfe, Ueble, Grafen. Immer größer wurde die Kluft zwischen dem
Ritter im Sattel und dem Bauer am Pflug -- bis man sich aus den offnen
Weilern (Villa) mehr und mehr hinter die Mauern der Burgflecken rettete,
aus welchen letzteren dann, aber erst mit dem Erliegen des Reichskönigthums
die Städte sich entwickelten, deren Verfassung die Anfänge unseres modernen
Staatswesens darstellt.

Als Otto III. nun auch noch fo frühe starb, ohne einen Erben zu hinter¬
lassen, stand so gut wie Alles für das Königthum in Frage; der Nachfolger
konnte nur wieder gewählt werden. Als der Vetter Heinrich von Baiern
1002 sich bei Polling an die aus Italien herüber kommende Leiche seines
kaiserlichen Vetters herandrängte, sie über Augsburg nach Neuburg a/Donau
begleitete, sich den Fürsten zur Wahl empfahl, fanden sie Vieles an Heinrich
auszusetzen, vor allem gewiß, daß er auf sein Erbrecht pochte, während sie frei
ihr Wahlrecht zu üben gedachten. "Der neue König," sagt von Sybel,
"fand die deutsche Monarchie etwa auf dieselbe kümmerliche Lage zurück¬
gebracht, aus der sie 80 Jahre früher der erste Heinrich emporgehoben."")
Es ist zu bezeichnend, daß schon zu Otto's II. Thronbesteigung Heinrich der
Zänker von Baiern nach der Königsherrschaft griff, weil der regierende
Vetter nicht das durch den Tod des alten Herzogs Burkhard erledigte Her-
zogthum Schwaben auf die Hand von Burkhard's Wittwe Hedwig. Heinrich's
Schwester, übergehen ließ, wie es die bairische Herzogsfamilie sich ausgedacht
hatte; sie selbst vererbte bereits ihr Herzogthum. Nun trat Heinrich dem
Sohne des Zänkers, des Vaters Gegnerschaft gegen das erbliche Königthum
selbst entgegen. Neben ihm, den die Baiern, nachdem er schon 093 urkund¬
lich als Mitherzog bezeichnet ist, als Sohn des vorigen Herzogs gewählt
hatten, hatten sich die Friesen so gut wie vom Reiche getrennt, Herzog Bern¬
hard von Sachsen ganz unvermerkt sein Amt von Ostfalen aus über ganz
Sachsen ausgedehnt, vererbte Konrad das Herzogthum Schwaben gleichsam
auf seinen Vetter Hermann und hatten sich die thüringischen Großen in
Eckart von Meißen ihren eignen Herzog gewählt. Heinrich von Baiern und
die beiden letztgenannten waren es denn auch , die zugleich als Bewerber um
die Krone Otto's III. hervortraten. In den geschilderten Gedanken, wie sie
sich in der hohen Aristokratie der deutschen Fürstbischöfe, Herzöge, Grafen
u. s. w., deren Aemter jetzt schon beginnen Titel zu werden, bestärkte sie noch
das Beispiel Westfrankens, wo die Großen noch so eben einen aus ihrer
Mitte, Hugo Capet, auf den Thron gehoben hatten.

Unter den drei genannten Bewerbern um die Krone trug Heinrich von
Baiern, der Liebling der cluniacensischen Geistlichkeit über die beiden andern



-) Die deutsche Nation und das Kaiserreich. Düsseldorf 18"i2. Budceus.

der Bischöfe, Ueble, Grafen. Immer größer wurde die Kluft zwischen dem
Ritter im Sattel und dem Bauer am Pflug — bis man sich aus den offnen
Weilern (Villa) mehr und mehr hinter die Mauern der Burgflecken rettete,
aus welchen letzteren dann, aber erst mit dem Erliegen des Reichskönigthums
die Städte sich entwickelten, deren Verfassung die Anfänge unseres modernen
Staatswesens darstellt.

Als Otto III. nun auch noch fo frühe starb, ohne einen Erben zu hinter¬
lassen, stand so gut wie Alles für das Königthum in Frage; der Nachfolger
konnte nur wieder gewählt werden. Als der Vetter Heinrich von Baiern
1002 sich bei Polling an die aus Italien herüber kommende Leiche seines
kaiserlichen Vetters herandrängte, sie über Augsburg nach Neuburg a/Donau
begleitete, sich den Fürsten zur Wahl empfahl, fanden sie Vieles an Heinrich
auszusetzen, vor allem gewiß, daß er auf sein Erbrecht pochte, während sie frei
ihr Wahlrecht zu üben gedachten. „Der neue König," sagt von Sybel,
„fand die deutsche Monarchie etwa auf dieselbe kümmerliche Lage zurück¬
gebracht, aus der sie 80 Jahre früher der erste Heinrich emporgehoben."")
Es ist zu bezeichnend, daß schon zu Otto's II. Thronbesteigung Heinrich der
Zänker von Baiern nach der Königsherrschaft griff, weil der regierende
Vetter nicht das durch den Tod des alten Herzogs Burkhard erledigte Her-
zogthum Schwaben auf die Hand von Burkhard's Wittwe Hedwig. Heinrich's
Schwester, übergehen ließ, wie es die bairische Herzogsfamilie sich ausgedacht
hatte; sie selbst vererbte bereits ihr Herzogthum. Nun trat Heinrich dem
Sohne des Zänkers, des Vaters Gegnerschaft gegen das erbliche Königthum
selbst entgegen. Neben ihm, den die Baiern, nachdem er schon 093 urkund¬
lich als Mitherzog bezeichnet ist, als Sohn des vorigen Herzogs gewählt
hatten, hatten sich die Friesen so gut wie vom Reiche getrennt, Herzog Bern¬
hard von Sachsen ganz unvermerkt sein Amt von Ostfalen aus über ganz
Sachsen ausgedehnt, vererbte Konrad das Herzogthum Schwaben gleichsam
auf seinen Vetter Hermann und hatten sich die thüringischen Großen in
Eckart von Meißen ihren eignen Herzog gewählt. Heinrich von Baiern und
die beiden letztgenannten waren es denn auch , die zugleich als Bewerber um
die Krone Otto's III. hervortraten. In den geschilderten Gedanken, wie sie
sich in der hohen Aristokratie der deutschen Fürstbischöfe, Herzöge, Grafen
u. s. w., deren Aemter jetzt schon beginnen Titel zu werden, bestärkte sie noch
das Beispiel Westfrankens, wo die Großen noch so eben einen aus ihrer
Mitte, Hugo Capet, auf den Thron gehoben hatten.

Unter den drei genannten Bewerbern um die Krone trug Heinrich von
Baiern, der Liebling der cluniacensischen Geistlichkeit über die beiden andern



-) Die deutsche Nation und das Kaiserreich. Düsseldorf 18«i2. Budceus.
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[0062] der Bischöfe, Ueble, Grafen. Immer größer wurde die Kluft zwischen dem Ritter im Sattel und dem Bauer am Pflug — bis man sich aus den offnen Weilern (Villa) mehr und mehr hinter die Mauern der Burgflecken rettete, aus welchen letzteren dann, aber erst mit dem Erliegen des Reichskönigthums die Städte sich entwickelten, deren Verfassung die Anfänge unseres modernen Staatswesens darstellt. Als Otto III. nun auch noch fo frühe starb, ohne einen Erben zu hinter¬ lassen, stand so gut wie Alles für das Königthum in Frage; der Nachfolger konnte nur wieder gewählt werden. Als der Vetter Heinrich von Baiern 1002 sich bei Polling an die aus Italien herüber kommende Leiche seines kaiserlichen Vetters herandrängte, sie über Augsburg nach Neuburg a/Donau begleitete, sich den Fürsten zur Wahl empfahl, fanden sie Vieles an Heinrich auszusetzen, vor allem gewiß, daß er auf sein Erbrecht pochte, während sie frei ihr Wahlrecht zu üben gedachten. „Der neue König," sagt von Sybel, „fand die deutsche Monarchie etwa auf dieselbe kümmerliche Lage zurück¬ gebracht, aus der sie 80 Jahre früher der erste Heinrich emporgehoben."") Es ist zu bezeichnend, daß schon zu Otto's II. Thronbesteigung Heinrich der Zänker von Baiern nach der Königsherrschaft griff, weil der regierende Vetter nicht das durch den Tod des alten Herzogs Burkhard erledigte Her- zogthum Schwaben auf die Hand von Burkhard's Wittwe Hedwig. Heinrich's Schwester, übergehen ließ, wie es die bairische Herzogsfamilie sich ausgedacht hatte; sie selbst vererbte bereits ihr Herzogthum. Nun trat Heinrich dem Sohne des Zänkers, des Vaters Gegnerschaft gegen das erbliche Königthum selbst entgegen. Neben ihm, den die Baiern, nachdem er schon 093 urkund¬ lich als Mitherzog bezeichnet ist, als Sohn des vorigen Herzogs gewählt hatten, hatten sich die Friesen so gut wie vom Reiche getrennt, Herzog Bern¬ hard von Sachsen ganz unvermerkt sein Amt von Ostfalen aus über ganz Sachsen ausgedehnt, vererbte Konrad das Herzogthum Schwaben gleichsam auf seinen Vetter Hermann und hatten sich die thüringischen Großen in Eckart von Meißen ihren eignen Herzog gewählt. Heinrich von Baiern und die beiden letztgenannten waren es denn auch , die zugleich als Bewerber um die Krone Otto's III. hervortraten. In den geschilderten Gedanken, wie sie sich in der hohen Aristokratie der deutschen Fürstbischöfe, Herzöge, Grafen u. s. w., deren Aemter jetzt schon beginnen Titel zu werden, bestärkte sie noch das Beispiel Westfrankens, wo die Großen noch so eben einen aus ihrer Mitte, Hugo Capet, auf den Thron gehoben hatten. Unter den drei genannten Bewerbern um die Krone trug Heinrich von Baiern, der Liebling der cluniacensischen Geistlichkeit über die beiden andern -) Die deutsche Nation und das Kaiserreich. Düsseldorf 18«i2. Budceus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/62>, abgerufen am 28.09.2024.