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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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gegen die Schritte der Bischöfe auf Seiten des römischen Stuhles standen,
hatte dieser in Italien selbst hinwiederum überall äußerst wenig gegolten,
schon wegen der greulichen Sittenverwilderung, welche Alles zeigte.

Da war denn Deutschland der Rettungsanker. Die Rettung ver¬
mittelte eben jener Bischof Gerbert von Rheims, der ein durchaus zweifel¬
hafter Charakter, aber ein Bischof, wie ihn der Zweck des Cluniacenser-Ordens
brauchen konnte (vgl. die Bischöfe des Vatikanischen Konzils), von den Nheimser
Bestrebungen abfiel und sich an den deutschen Hof begab, um hier gerade
entgegengesetzt zu wirken. Er paßte auch zu Otto's III. phantastisch theokra-
tisch mit Absicht der Erziehung gestalteten Weltbeherrschungsplänen, daß er
von Rom aus Herr der Welt würde. Ohne daß gerade, wie man so vielfach
in den dargebrachten Geschichtsdarstellungen liest. Otto ein Schüler Gerbert's
in früheren Jahren gewesen, weil Gerbert erst durch seine Uebersiedlung von
Rheims an den deutschen Hof mit Otto in persönliche Berührung trat und
998 dann zum Bischof von Ravenna ernannt wurde*) nährte Gerbert doch
auch wieder in Otto den Gedanken einer Herstellung des alten Römerreiches,
erreichte er 999 seine Erhebung zum Papste, als welcher er Otto zur Wall¬
fahrt nach Gnesen trieb und gleichzeitig zur Bewährung jener wunderbaren
Dankbarkeit, die immer der römische Papst den sich für ihn aufopfernden
deutschen Kaisern entgegengetragen hat, zum Schaden der Machtsphäre des
deutschen Reichs und in Gründung einer neuen päpstlichen Staatenreihe Polen
die Einsetzung eines Metropoliten für Polen in Gnesen und Ungarn eine
päpstliche Königskrone, verliehen an Stephan I. von Ungarn, gewährte.
Den Cluniacensern schrieb Sylvester II. als Papst, so lange er in Macht stände,
solle ihre Kongregation keinen Abbruch irgend einer Art erleiden.**) Dieser
Papst Sylvester II. und sein Wirken ist in den gewöhnlichen Geschichtsdarstellungen
noch nicht mit der ausreichenden Beachtung gewürdigt worden; obwohl an Gro߬
artigkeit des Geistes und hierarchischen Herrschertalent unter den Päpsten
zwischen Nicolaus I. und Gregor VII. keiner ihm gleich kommt. Er hatte
der fortschreitenden Bewegung des muhamedanischen Glaubens gegenüber auch
schon den Gedanken eines allgemeinen Kreuzzuges.

So weit war Cluny mit Rom unter Otto III. (983--1002) gekommen.
Zwar starb schon ein Jahr hinter Otto her auch Papst Sylvester II., 1003,
aber übersehen wir die Sachlage, so ging die Durchführung der pseudoifl-
dorischen Dekretalen ihren guten Weg.

Während der junge Kaiser sich gerade wie sein Vorfahr in Italien ver-




") Vgl. Tappe: Dr. Gerbert oder Papst Sylvester II. und seine Zeit. Jahresbericht der
königlich städtischen Realschule. Berlin 18<M.
-) Giesebrechr I, Seite "80.

gegen die Schritte der Bischöfe auf Seiten des römischen Stuhles standen,
hatte dieser in Italien selbst hinwiederum überall äußerst wenig gegolten,
schon wegen der greulichen Sittenverwilderung, welche Alles zeigte.

Da war denn Deutschland der Rettungsanker. Die Rettung ver¬
mittelte eben jener Bischof Gerbert von Rheims, der ein durchaus zweifel¬
hafter Charakter, aber ein Bischof, wie ihn der Zweck des Cluniacenser-Ordens
brauchen konnte (vgl. die Bischöfe des Vatikanischen Konzils), von den Nheimser
Bestrebungen abfiel und sich an den deutschen Hof begab, um hier gerade
entgegengesetzt zu wirken. Er paßte auch zu Otto's III. phantastisch theokra-
tisch mit Absicht der Erziehung gestalteten Weltbeherrschungsplänen, daß er
von Rom aus Herr der Welt würde. Ohne daß gerade, wie man so vielfach
in den dargebrachten Geschichtsdarstellungen liest. Otto ein Schüler Gerbert's
in früheren Jahren gewesen, weil Gerbert erst durch seine Uebersiedlung von
Rheims an den deutschen Hof mit Otto in persönliche Berührung trat und
998 dann zum Bischof von Ravenna ernannt wurde*) nährte Gerbert doch
auch wieder in Otto den Gedanken einer Herstellung des alten Römerreiches,
erreichte er 999 seine Erhebung zum Papste, als welcher er Otto zur Wall¬
fahrt nach Gnesen trieb und gleichzeitig zur Bewährung jener wunderbaren
Dankbarkeit, die immer der römische Papst den sich für ihn aufopfernden
deutschen Kaisern entgegengetragen hat, zum Schaden der Machtsphäre des
deutschen Reichs und in Gründung einer neuen päpstlichen Staatenreihe Polen
die Einsetzung eines Metropoliten für Polen in Gnesen und Ungarn eine
päpstliche Königskrone, verliehen an Stephan I. von Ungarn, gewährte.
Den Cluniacensern schrieb Sylvester II. als Papst, so lange er in Macht stände,
solle ihre Kongregation keinen Abbruch irgend einer Art erleiden.**) Dieser
Papst Sylvester II. und sein Wirken ist in den gewöhnlichen Geschichtsdarstellungen
noch nicht mit der ausreichenden Beachtung gewürdigt worden; obwohl an Gro߬
artigkeit des Geistes und hierarchischen Herrschertalent unter den Päpsten
zwischen Nicolaus I. und Gregor VII. keiner ihm gleich kommt. Er hatte
der fortschreitenden Bewegung des muhamedanischen Glaubens gegenüber auch
schon den Gedanken eines allgemeinen Kreuzzuges.

So weit war Cluny mit Rom unter Otto III. (983—1002) gekommen.
Zwar starb schon ein Jahr hinter Otto her auch Papst Sylvester II., 1003,
aber übersehen wir die Sachlage, so ging die Durchführung der pseudoifl-
dorischen Dekretalen ihren guten Weg.

Während der junge Kaiser sich gerade wie sein Vorfahr in Italien ver-




") Vgl. Tappe: Dr. Gerbert oder Papst Sylvester II. und seine Zeit. Jahresbericht der
königlich städtischen Realschule. Berlin 18<M.
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[0060] gegen die Schritte der Bischöfe auf Seiten des römischen Stuhles standen, hatte dieser in Italien selbst hinwiederum überall äußerst wenig gegolten, schon wegen der greulichen Sittenverwilderung, welche Alles zeigte. Da war denn Deutschland der Rettungsanker. Die Rettung ver¬ mittelte eben jener Bischof Gerbert von Rheims, der ein durchaus zweifel¬ hafter Charakter, aber ein Bischof, wie ihn der Zweck des Cluniacenser-Ordens brauchen konnte (vgl. die Bischöfe des Vatikanischen Konzils), von den Nheimser Bestrebungen abfiel und sich an den deutschen Hof begab, um hier gerade entgegengesetzt zu wirken. Er paßte auch zu Otto's III. phantastisch theokra- tisch mit Absicht der Erziehung gestalteten Weltbeherrschungsplänen, daß er von Rom aus Herr der Welt würde. Ohne daß gerade, wie man so vielfach in den dargebrachten Geschichtsdarstellungen liest. Otto ein Schüler Gerbert's in früheren Jahren gewesen, weil Gerbert erst durch seine Uebersiedlung von Rheims an den deutschen Hof mit Otto in persönliche Berührung trat und 998 dann zum Bischof von Ravenna ernannt wurde*) nährte Gerbert doch auch wieder in Otto den Gedanken einer Herstellung des alten Römerreiches, erreichte er 999 seine Erhebung zum Papste, als welcher er Otto zur Wall¬ fahrt nach Gnesen trieb und gleichzeitig zur Bewährung jener wunderbaren Dankbarkeit, die immer der römische Papst den sich für ihn aufopfernden deutschen Kaisern entgegengetragen hat, zum Schaden der Machtsphäre des deutschen Reichs und in Gründung einer neuen päpstlichen Staatenreihe Polen die Einsetzung eines Metropoliten für Polen in Gnesen und Ungarn eine päpstliche Königskrone, verliehen an Stephan I. von Ungarn, gewährte. Den Cluniacensern schrieb Sylvester II. als Papst, so lange er in Macht stände, solle ihre Kongregation keinen Abbruch irgend einer Art erleiden.**) Dieser Papst Sylvester II. und sein Wirken ist in den gewöhnlichen Geschichtsdarstellungen noch nicht mit der ausreichenden Beachtung gewürdigt worden; obwohl an Gro߬ artigkeit des Geistes und hierarchischen Herrschertalent unter den Päpsten zwischen Nicolaus I. und Gregor VII. keiner ihm gleich kommt. Er hatte der fortschreitenden Bewegung des muhamedanischen Glaubens gegenüber auch schon den Gedanken eines allgemeinen Kreuzzuges. So weit war Cluny mit Rom unter Otto III. (983—1002) gekommen. Zwar starb schon ein Jahr hinter Otto her auch Papst Sylvester II., 1003, aber übersehen wir die Sachlage, so ging die Durchführung der pseudoifl- dorischen Dekretalen ihren guten Weg. Während der junge Kaiser sich gerade wie sein Vorfahr in Italien ver- ") Vgl. Tappe: Dr. Gerbert oder Papst Sylvester II. und seine Zeit. Jahresbericht der königlich städtischen Realschule. Berlin 18<M. -) Giesebrechr I, Seite »80.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/60>, abgerufen am 28.09.2024.