Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.und eine Breite von 7,93 Metern. Aehnlich grotesk sind, und zwar und eine Breite von 7,93 Metern. Aehnlich grotesk sind, und zwar <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134223"/> <p xml:id="ID_1272" prev="#ID_1271" next="#ID_1273"> und eine Breite von 7,93 Metern. Aehnlich grotesk sind, und zwar<lb/> nicht blos durch ihre Ausdehnung, die meisten andern Bilder derselben Gattung.<lb/> Je größer die Einförmigkeit in der kirchlichen Malerei namentlich der neueren<lb/> Zeit ist, die unter dem erdrückenden Einfluß der classischen Zeit der großen<lb/> italienischen, flandrischen und spanischen Meister vergeblich nach Originalität<lb/> ringt, um so schwerer fällt der Werth der Wiertzschen Compositionen in die<lb/> Waage. Hier ist ein Fortschritt, eine eigenartige Entwickelung in der Auf¬<lb/> fassung tausendfach dargestellter biblischer Scenen; ein neues, nicht dagewesenes<lb/> philosophisches Element durchdringt und durchgeistigt die bekannten Stoffe.<lb/> Dies gilt namentlich von dem schönen Bilde, das ein würdiges Gegenstück<lb/> zu dem vorhin erwähnten bildet, und welches er „I^e an «AolgatK^'<lb/> genannt hat. Es stellt die Aufrichtung des Kreuzes dar. Aber der Maler<lb/> hat dem oft dargestellten Stoff eine tiefpoetische Seite abgewonnen. Im Vorder¬<lb/> grunde treibt ein römischer Kriegsmann eine Schaar von Sclaven mit Geißel¬<lb/> hieben an, das Kreuz aufzurichten, dasselbe Kreuz, welches sie aus dem Sclaven¬<lb/> stande befreien und erlösen soll. .Und während so in dem Krieger die Ver¬<lb/> blendung der antiken Welt verkörpert ist, welche an ihrem eigenen Untergange<lb/> arbeitet, zeigt die obere Gruppe des colossalen Gemäldes den klugen wohl¬<lb/> bewußten Widerstand, den die Hölle der Errichtung des Kreuzes entgegen¬<lb/> setzt. Mitten in diesen rasenden Kampf unreiner Begierden fällt ein magischer<lb/> Lichtschein, von der unsichtbaren Gestalt Christi ausgehend, die an der abge¬<lb/> wandten Seite des Kreuzes zu denken ist. Der Effect dieses 30' hohen Bildes<lb/> ist ein ganz überwältigender. Mehr wie andere Gemälde scheint mit dieses<lb/> der Ausdruck des Wiertzschen Genius zu sein. Hier ist innerhalb der uralten,<lb/> aber von Lessing zuerst in klaren Worten gezogenen Grenze der Malerei und<lb/> Poesie die Aufgabe, welche sich der Künstler gestellt hatte, erschöpfend gelöst.<lb/> Wie in Geibels „Tod des Tiberius" oder in Lenaus „Ewigen Juden" kommt<lb/> hier die erhabene Poesie dieses Momentes, dieses Wendepunktes in der Geschichte<lb/> zum vollkommeneren Ausdruck, und doch scheint das Ganze nur dem höchsten<lb/> Gesetze der bildenden Künste, dem Gesetze der Schönheit, zu dienen. Zuweilen<lb/> jedoch folgt der Maler treu der Tradition der alten Meister. So hat er<lb/> ausgesprochener Maßen in seiner „Erziehung der Jungfrau" ein Pendant zu<lb/> dem gleichnamigen Gemälde von Rubens schaffen wollen. Als das Bild zu¬<lb/> erst in der Ausstellung zu Antwerpen 1843 erschien, war man erstaunt über<lb/> die Kühnheit, mit welcher Wiertz mit Rubens zu rivalisiren wagte, aber nicht<lb/> minder über die vollkommene Stilähnlichkeit des Werkes mit seinem erhabenen<lb/> Vorbilde. Und doch ist hier von keiner Copie die Rede. Ich habe beide<lb/> Bilder zwar nicht neben einander, aber kurz nach einander gesehen. Nicht die<lb/> Figuren, das Colorit, die Composition hat er nachgeahmt — er hat den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0405]
und eine Breite von 7,93 Metern. Aehnlich grotesk sind, und zwar
nicht blos durch ihre Ausdehnung, die meisten andern Bilder derselben Gattung.
Je größer die Einförmigkeit in der kirchlichen Malerei namentlich der neueren
Zeit ist, die unter dem erdrückenden Einfluß der classischen Zeit der großen
italienischen, flandrischen und spanischen Meister vergeblich nach Originalität
ringt, um so schwerer fällt der Werth der Wiertzschen Compositionen in die
Waage. Hier ist ein Fortschritt, eine eigenartige Entwickelung in der Auf¬
fassung tausendfach dargestellter biblischer Scenen; ein neues, nicht dagewesenes
philosophisches Element durchdringt und durchgeistigt die bekannten Stoffe.
Dies gilt namentlich von dem schönen Bilde, das ein würdiges Gegenstück
zu dem vorhin erwähnten bildet, und welches er „I^e an «AolgatK^'
genannt hat. Es stellt die Aufrichtung des Kreuzes dar. Aber der Maler
hat dem oft dargestellten Stoff eine tiefpoetische Seite abgewonnen. Im Vorder¬
grunde treibt ein römischer Kriegsmann eine Schaar von Sclaven mit Geißel¬
hieben an, das Kreuz aufzurichten, dasselbe Kreuz, welches sie aus dem Sclaven¬
stande befreien und erlösen soll. .Und während so in dem Krieger die Ver¬
blendung der antiken Welt verkörpert ist, welche an ihrem eigenen Untergange
arbeitet, zeigt die obere Gruppe des colossalen Gemäldes den klugen wohl¬
bewußten Widerstand, den die Hölle der Errichtung des Kreuzes entgegen¬
setzt. Mitten in diesen rasenden Kampf unreiner Begierden fällt ein magischer
Lichtschein, von der unsichtbaren Gestalt Christi ausgehend, die an der abge¬
wandten Seite des Kreuzes zu denken ist. Der Effect dieses 30' hohen Bildes
ist ein ganz überwältigender. Mehr wie andere Gemälde scheint mit dieses
der Ausdruck des Wiertzschen Genius zu sein. Hier ist innerhalb der uralten,
aber von Lessing zuerst in klaren Worten gezogenen Grenze der Malerei und
Poesie die Aufgabe, welche sich der Künstler gestellt hatte, erschöpfend gelöst.
Wie in Geibels „Tod des Tiberius" oder in Lenaus „Ewigen Juden" kommt
hier die erhabene Poesie dieses Momentes, dieses Wendepunktes in der Geschichte
zum vollkommeneren Ausdruck, und doch scheint das Ganze nur dem höchsten
Gesetze der bildenden Künste, dem Gesetze der Schönheit, zu dienen. Zuweilen
jedoch folgt der Maler treu der Tradition der alten Meister. So hat er
ausgesprochener Maßen in seiner „Erziehung der Jungfrau" ein Pendant zu
dem gleichnamigen Gemälde von Rubens schaffen wollen. Als das Bild zu¬
erst in der Ausstellung zu Antwerpen 1843 erschien, war man erstaunt über
die Kühnheit, mit welcher Wiertz mit Rubens zu rivalisiren wagte, aber nicht
minder über die vollkommene Stilähnlichkeit des Werkes mit seinem erhabenen
Vorbilde. Und doch ist hier von keiner Copie die Rede. Ich habe beide
Bilder zwar nicht neben einander, aber kurz nach einander gesehen. Nicht die
Figuren, das Colorit, die Composition hat er nachgeahmt — er hat den
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