Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.Toleranz. Nicht minder auf dem Gebiete der nationalen Wiedergeburt und Thereschen: Nein, Mamsell Alsace! uff em Bröjl : El! will Sie'S Frankrich nit verliere, Der Bürgermeister Frau Vrid: Na! d' Stadtlit selbst -- nur hat mer'S gsuit Der Stelzfuß meint darauf: Ja, die Franzosen seien doch "e großi
Toleranz. Nicht minder auf dem Gebiete der nationalen Wiedergeburt und Thereschen: Nein, Mamsell Alsace! uff em Bröjl : El! will Sie'S Frankrich nit verliere, Der Bürgermeister Frau Vrid: Na! d' Stadtlit selbst — nur hat mer'S gsuit Der Stelzfuß meint darauf: Ja, die Franzosen seien doch „e großi
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134063"/> <p xml:id="ID_767" prev="#ID_766"> Toleranz. Nicht minder auf dem Gebiete der nationalen Wiedergeburt und<lb/> ihres Verständnisses in den weitesten Kreisen. Auch dafür ein kleines Exempel.<lb/> Kurz nach der Annexion und noch lange nachher sah man in dem Schau,<lb/> fenster einer Kunsthandlung auf dem Vrog'lie-Platz in Straßburg — im Volks¬<lb/> munde der „Bröjl" genannt — einen Stich, welcher ein Elsässer Dorfmädchen<lb/> in „Kochersperger Tracht" darstellte, das ganz in Trauer und Thränen zu<lb/> zerfließen schien, „als läj sin Liebstes todt im Hüs" und mit der bezeichnen¬<lb/> den Unterschrift: „I/^lLuov em clvuil!" Vor Kurzem ist nun ein kleines<lb/> „Idyll in der Bolksmundart von einem alten Straßburger" erschienen, welches<lb/> sich dieses Sujet „Elsaß im Leid" zum Vorwurf genommen hat — ein herzig<lb/> Büchlein, das schon in zahlreichen elsässischen Familien als lieber Freund<lb/> und Gast aufgenommen worden ist. In diesem „Idyll" führen S Personen,<lb/> ein alter Invalide, der Bürgermeister und der Schulmeister, sowie eine<lb/> Bauersfrau Brio (Brigitte) und deren Töchterlein Thereschen eine Zwiesprach,<lb/> die sich an jenes Bild, welches der Stelzfuß frisch in Straßburg gekauft, an¬<lb/> knüpft und die schließlich zu folgenden Herzensergüssen Veranlassung giebt:</p><lb/> <note type="speaker"> Thereschen: </note><lb/> <p xml:id="ID_768"> Nein, Mamsell Alsace! uff em Bröjl<lb/> Kann Sie spaziere gehn im Döjl;<lb/> In Madmneskleidre soll Sie gehn<lb/> Arm nit in Büretracht da stehn!<lb/> Micr heim nit Ursach groß ze llaüe (klagen)<lb/> Nun schwarzi Kleider gar zu traue.</p><lb/> <p xml:id="ID_769"> : El! will Sie'S Frankrich nit verliere,<lb/> Se hätt Sie solle fürr's optiere.<lb/> Was hilft's jetz mit bctrmbte Miene<lb/> De Kops ze Hänke» nur ze griene?<lb/> Mer Spotte nit, Sie thuet uns dure,<lb/> Doch könne aler, als ditschi Büre<lb/> Nit so erbärmli dornen trüre,<lb/> Daß Gott noch mancher bluetje Schlacht<lb/> Uns Widder ganz hat dieses gemacht.</p><lb/> <note type="speaker"> Der Bürgermeister</note><lb/> <note type="speaker"> Frau Vrid: </note><lb/> <p xml:id="ID_770"> Na! d' Stadtlit selbst — nur hat mer'S gsuit<lb/> Sie traue nit so grüsli Leid;<lb/></p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_771"> Der Stelzfuß meint darauf: Ja, die Franzosen seien doch „e großi<lb/> Nation" mit ihrer Freiheit, Gloire und Pracht, worauf ihn der Bürgermeister<lb/> zustimmend verbessert:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_1" type="poem"> <l><cb type="start"/> „Doch längst isch auch in ditschc Lande<lb/> Vernunft nur Freiheit ufsi'rswnde,<lb/> Arm vorwärts geht's mit festem Sinn,<lb/><cb/> Noch besser als in Frankreich drinn<lb/> Wo d' Freiheit niemals lang hat ghalte;<lb/> Denn's Pfasfenthum bilde dort bim Alte."<lb/><cb type="end"/> </l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
Toleranz. Nicht minder auf dem Gebiete der nationalen Wiedergeburt und
ihres Verständnisses in den weitesten Kreisen. Auch dafür ein kleines Exempel.
Kurz nach der Annexion und noch lange nachher sah man in dem Schau,
fenster einer Kunsthandlung auf dem Vrog'lie-Platz in Straßburg — im Volks¬
munde der „Bröjl" genannt — einen Stich, welcher ein Elsässer Dorfmädchen
in „Kochersperger Tracht" darstellte, das ganz in Trauer und Thränen zu
zerfließen schien, „als läj sin Liebstes todt im Hüs" und mit der bezeichnen¬
den Unterschrift: „I/^lLuov em clvuil!" Vor Kurzem ist nun ein kleines
„Idyll in der Bolksmundart von einem alten Straßburger" erschienen, welches
sich dieses Sujet „Elsaß im Leid" zum Vorwurf genommen hat — ein herzig
Büchlein, das schon in zahlreichen elsässischen Familien als lieber Freund
und Gast aufgenommen worden ist. In diesem „Idyll" führen S Personen,
ein alter Invalide, der Bürgermeister und der Schulmeister, sowie eine
Bauersfrau Brio (Brigitte) und deren Töchterlein Thereschen eine Zwiesprach,
die sich an jenes Bild, welches der Stelzfuß frisch in Straßburg gekauft, an¬
knüpft und die schließlich zu folgenden Herzensergüssen Veranlassung giebt:
Thereschen:
Nein, Mamsell Alsace! uff em Bröjl
Kann Sie spaziere gehn im Döjl;
In Madmneskleidre soll Sie gehn
Arm nit in Büretracht da stehn!
Micr heim nit Ursach groß ze llaüe (klagen)
Nun schwarzi Kleider gar zu traue.
: El! will Sie'S Frankrich nit verliere,
Se hätt Sie solle fürr's optiere.
Was hilft's jetz mit bctrmbte Miene
De Kops ze Hänke» nur ze griene?
Mer Spotte nit, Sie thuet uns dure,
Doch könne aler, als ditschi Büre
Nit so erbärmli dornen trüre,
Daß Gott noch mancher bluetje Schlacht
Uns Widder ganz hat dieses gemacht.
Der Bürgermeister
Frau Vrid:
Na! d' Stadtlit selbst — nur hat mer'S gsuit
Sie traue nit so grüsli Leid;
Der Stelzfuß meint darauf: Ja, die Franzosen seien doch „e großi
Nation" mit ihrer Freiheit, Gloire und Pracht, worauf ihn der Bürgermeister
zustimmend verbessert:
„Doch längst isch auch in ditschc Lande
Vernunft nur Freiheit ufsi'rswnde,
Arm vorwärts geht's mit festem Sinn,
Noch besser als in Frankreich drinn
Wo d' Freiheit niemals lang hat ghalte;
Denn's Pfasfenthum bilde dort bim Alte."
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