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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Die Sprache, in der ein Werk abgefaßt ist, braucht doch nicht das wichtigste
unterscheidende Merkmal für den Autor sein. Ein großer Theil der schrei¬
benden Gelehrten, trotzdem daß sie sich der französischen Sprache bedient
haben, sind in ihrer ganzen Denkweise, in der Tiefe ihrer Ideen, in der
sorgsamen quellenmäßigen Forschung, in ihrer gediegenen Gründlichkeit echte
Germanen, aber sie waren in der traurigen Lage nicht in ihrer eigenen
Muttersprache schreiben zu können, weil der Leserkreis für Schriften in der¬
selben zu klein gewesen wäre und weil sie ihre wissenschaftliche Ausbildung
auf den höheren Schulen in französischer Sprache bekommen haben. Aber
macht das französische Gewand einer Schrift den Autor schon ganz zum
Franzosen ? Sind etwa Friedrich der Große, Humboldt, Schlegel und viele
Andere, weil sie ein gutes Französisch zu schreiben verstanden, deshalb keine
deutschen Männer mehr? Oder ist das nicht auch deutscher Geist und deutsche
Forschung, was sich vor der Zeit des Thomasius und Wolff in lateinisch
geschriebenen Werken deutscher Gelehrten niedergelegt findet? Es kann nicht
meine Absicht sein, hier eine Bibliographie der Werke vlamischer Gelehrten
aller Facultäten zu geben, welche in ihrer Muttersprache oder in der fran¬
zösischen ihre Gelehrsamkeit niedergelegt haben. Die vlamischen Zeitschriften,
welche jetzt so muthvoll gegen das Franzosenthum ihrer wallonischen Lands¬
leute ankämpfen, mögen hierzu mehr Beruf haben als ich, aber soviel ist mir
doch klar geworden und ich kann es als meine Ueberzeugung aussprechen,
daß die Vlamen auch auf wissenschaftlichem Gebiet thätigen und erfolgreichen
Antheil an der Entwickelung des geistigen Lebens in Belgien genommen und
daß Ihrige zu der Größe ihres Vaterlandes beigetragen haben. Ganz anders
aber neigt sich die Wage zu Gunsten des germanischen Stammes, wenn man
ihre Leistungen auf dem Gebiete der schönwissenschaftlichen Literatur und der
Künste mit denen der Wallonen vergleicht. Hier haben die Vlamen in ganz
eklatanter Weise dominirt, und in einigen Kunstzweigen kann der kleine Stamm
vielleicht auch heute noch mit jedem Kulturvolke den Wettstreit wagen. In
meiner nächsten Correspondenz will ich zum Beweise dessen erzählen, was ich
in den Kirchen und Rathhäusern, in Museen und Privatgallerieen wie in
den Ateliers der Maler, Bildhauer und Kupferstecher von Brüssel, Antwerpen,
Gent, Brügge u. s. w. Bemerkenswerthes und Schönes gesehen habe. Vielleicht
tragen diese Blätter dazu bei, das Interesse für einen Zweig unserer germani¬
schen Völkerfamilie zu erwecken, der treue Kämpfer für deutsche Art und
Kunst unter seinen hervorragenden Männern zählt.


or. G. Dannehl.


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Die Sprache, in der ein Werk abgefaßt ist, braucht doch nicht das wichtigste
unterscheidende Merkmal für den Autor sein. Ein großer Theil der schrei¬
benden Gelehrten, trotzdem daß sie sich der französischen Sprache bedient
haben, sind in ihrer ganzen Denkweise, in der Tiefe ihrer Ideen, in der
sorgsamen quellenmäßigen Forschung, in ihrer gediegenen Gründlichkeit echte
Germanen, aber sie waren in der traurigen Lage nicht in ihrer eigenen
Muttersprache schreiben zu können, weil der Leserkreis für Schriften in der¬
selben zu klein gewesen wäre und weil sie ihre wissenschaftliche Ausbildung
auf den höheren Schulen in französischer Sprache bekommen haben. Aber
macht das französische Gewand einer Schrift den Autor schon ganz zum
Franzosen ? Sind etwa Friedrich der Große, Humboldt, Schlegel und viele
Andere, weil sie ein gutes Französisch zu schreiben verstanden, deshalb keine
deutschen Männer mehr? Oder ist das nicht auch deutscher Geist und deutsche
Forschung, was sich vor der Zeit des Thomasius und Wolff in lateinisch
geschriebenen Werken deutscher Gelehrten niedergelegt findet? Es kann nicht
meine Absicht sein, hier eine Bibliographie der Werke vlamischer Gelehrten
aller Facultäten zu geben, welche in ihrer Muttersprache oder in der fran¬
zösischen ihre Gelehrsamkeit niedergelegt haben. Die vlamischen Zeitschriften,
welche jetzt so muthvoll gegen das Franzosenthum ihrer wallonischen Lands¬
leute ankämpfen, mögen hierzu mehr Beruf haben als ich, aber soviel ist mir
doch klar geworden und ich kann es als meine Ueberzeugung aussprechen,
daß die Vlamen auch auf wissenschaftlichem Gebiet thätigen und erfolgreichen
Antheil an der Entwickelung des geistigen Lebens in Belgien genommen und
daß Ihrige zu der Größe ihres Vaterlandes beigetragen haben. Ganz anders
aber neigt sich die Wage zu Gunsten des germanischen Stammes, wenn man
ihre Leistungen auf dem Gebiete der schönwissenschaftlichen Literatur und der
Künste mit denen der Wallonen vergleicht. Hier haben die Vlamen in ganz
eklatanter Weise dominirt, und in einigen Kunstzweigen kann der kleine Stamm
vielleicht auch heute noch mit jedem Kulturvolke den Wettstreit wagen. In
meiner nächsten Correspondenz will ich zum Beweise dessen erzählen, was ich
in den Kirchen und Rathhäusern, in Museen und Privatgallerieen wie in
den Ateliers der Maler, Bildhauer und Kupferstecher von Brüssel, Antwerpen,
Gent, Brügge u. s. w. Bemerkenswerthes und Schönes gesehen habe. Vielleicht
tragen diese Blätter dazu bei, das Interesse für einen Zweig unserer germani¬
schen Völkerfamilie zu erwecken, der treue Kämpfer für deutsche Art und
Kunst unter seinen hervorragenden Männern zählt.


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[0241] Die Sprache, in der ein Werk abgefaßt ist, braucht doch nicht das wichtigste unterscheidende Merkmal für den Autor sein. Ein großer Theil der schrei¬ benden Gelehrten, trotzdem daß sie sich der französischen Sprache bedient haben, sind in ihrer ganzen Denkweise, in der Tiefe ihrer Ideen, in der sorgsamen quellenmäßigen Forschung, in ihrer gediegenen Gründlichkeit echte Germanen, aber sie waren in der traurigen Lage nicht in ihrer eigenen Muttersprache schreiben zu können, weil der Leserkreis für Schriften in der¬ selben zu klein gewesen wäre und weil sie ihre wissenschaftliche Ausbildung auf den höheren Schulen in französischer Sprache bekommen haben. Aber macht das französische Gewand einer Schrift den Autor schon ganz zum Franzosen ? Sind etwa Friedrich der Große, Humboldt, Schlegel und viele Andere, weil sie ein gutes Französisch zu schreiben verstanden, deshalb keine deutschen Männer mehr? Oder ist das nicht auch deutscher Geist und deutsche Forschung, was sich vor der Zeit des Thomasius und Wolff in lateinisch geschriebenen Werken deutscher Gelehrten niedergelegt findet? Es kann nicht meine Absicht sein, hier eine Bibliographie der Werke vlamischer Gelehrten aller Facultäten zu geben, welche in ihrer Muttersprache oder in der fran¬ zösischen ihre Gelehrsamkeit niedergelegt haben. Die vlamischen Zeitschriften, welche jetzt so muthvoll gegen das Franzosenthum ihrer wallonischen Lands¬ leute ankämpfen, mögen hierzu mehr Beruf haben als ich, aber soviel ist mir doch klar geworden und ich kann es als meine Ueberzeugung aussprechen, daß die Vlamen auch auf wissenschaftlichem Gebiet thätigen und erfolgreichen Antheil an der Entwickelung des geistigen Lebens in Belgien genommen und daß Ihrige zu der Größe ihres Vaterlandes beigetragen haben. Ganz anders aber neigt sich die Wage zu Gunsten des germanischen Stammes, wenn man ihre Leistungen auf dem Gebiete der schönwissenschaftlichen Literatur und der Künste mit denen der Wallonen vergleicht. Hier haben die Vlamen in ganz eklatanter Weise dominirt, und in einigen Kunstzweigen kann der kleine Stamm vielleicht auch heute noch mit jedem Kulturvolke den Wettstreit wagen. In meiner nächsten Correspondenz will ich zum Beweise dessen erzählen, was ich in den Kirchen und Rathhäusern, in Museen und Privatgallerieen wie in den Ateliers der Maler, Bildhauer und Kupferstecher von Brüssel, Antwerpen, Gent, Brügge u. s. w. Bemerkenswerthes und Schönes gesehen habe. Vielleicht tragen diese Blätter dazu bei, das Interesse für einen Zweig unserer germani¬ schen Völkerfamilie zu erwecken, der treue Kämpfer für deutsche Art und Kunst unter seinen hervorragenden Männern zählt. or. G. Dannehl. <5wu,;l'„Jo>i NI. 1^5.30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/241>, abgerufen am 29.09.2024.