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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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bindung mit Alexander nahm er keinen Anstand, als Harpalos nach Athen
flüchtete, auch von diesem zu nehmen; er wurde gleich Demosthenes zu einer Geld¬
buße verurtheilt, kümmerte sich aber weder vorher um den Prozeß, zu dem
er sich nicht stellte, noch nachher um das Urtheil, indem er nichts bezahlte;
vielleicht daß ihm die Verwendung Alexanders den Erlaß der Strafe bewirkte.
Als nach Alexanders Tode die makedonische Partei ihrerseits leiden mußte,
was sie zuvor der andern angethan, erging auch über Demades. wie es heißt,
eine siebenfache Verurtheilung, und da er die Geldbußen nicht bezahlte, so
ging er der Ehrenrechte verlustig und trat zeitweilig von der Rednerbühne
ab. Schlimmeres begegnete ihm nicht; er wurde, als die Athener nach der
verlorenen Schlacht und der Sprengung des hellenischen Bundes den Frieden
begehrten, als einziger, der denselben vermitteln konnte, wieder in die Ehren¬
rechte eingesetzt und ward somit Urheber des schimpflichsten Friedens, den
Athen jemals geschlossen hatte. Er beantragte auch den nicht minder
schmachvollen Volksbeschluß, welcher den Demosthenes, Hypereides und Ge¬
nossen zum Tode der Verräther verurtheilte. So spielte er dann weiter den
großen Mann und ging in salbenduftenden Kleidern und pflegte seinen Bauch,
indem auch er zu denen gehörte, welche, nach Demosthenes' Ausdruck, den
Bauch zum Maßstabe der Glückseligkeit machten; der Makedonier Antipatros,
sein Brodherr, spottete über den altgewordenen Demades, daß von ihm wie
von einem geschlachteten und verbrauchten Opferthier nichts als Zunge und
Eingeweide übrig seien. Aber das Schicksal, welches ihm seine verrathenen
Mitbürger nicht zutheilten, empfing er schließlich aus den Händen der Make¬
donier selbst, indem Kassandros, Antipatros' Sohn, den als Gesandten nach
Makedonien gekommenen Demades, durch ihm hinterbrachte Spöttereien des¬
selben gereizt, mitsammt seinem Sohne schimpflich hinrichten ließ.

Aehnlich an Charakterlosigkeit und Gemeinheit, an Talenten freilich dem
Demades gewaltig nachstehend war Aristogeiton, gegen den wir zwei dem
Demosthenes untergeschobene Reden und eine echte des Deinarchos besitzen,
die letzere bei den harpalischen Prozessen gehalten, in die auch er verwickelt
war. Der Ankläger bezeichnet ihn im Eingang als den schlechtesten Menschen
in der Stadt und sogar unter der ganzen Menschheit, was er mit allerhand
Geschichten, daß er seinen vor dem Todesurtheil geflüchteten Vater im Aus¬
lande habe verkommen lassen, daß, als er zum erstenmal im Gefängnisse saß,
die andern Gefangenen ihm alle Gemeinschaft aufgekündigt hätten, zu belegen
keine Mühe hat. Er war aber nicht nur bisher immer leidlich durchgekommen, son¬
dern wurde auch im harpalischen Prozesse, wiewohl gegen ihn dieselbe Anzeige
des Areopag, also dieselbe Autorität wie gegen Demosthenes vorlag, zu all¬
gemeinem Aergerniß freigesprochen: der beste Beweis, was es mit den in
diesen Prozessen gefällten Urtheilen überhaupt aus sich hat. Gegen ihn war


bindung mit Alexander nahm er keinen Anstand, als Harpalos nach Athen
flüchtete, auch von diesem zu nehmen; er wurde gleich Demosthenes zu einer Geld¬
buße verurtheilt, kümmerte sich aber weder vorher um den Prozeß, zu dem
er sich nicht stellte, noch nachher um das Urtheil, indem er nichts bezahlte;
vielleicht daß ihm die Verwendung Alexanders den Erlaß der Strafe bewirkte.
Als nach Alexanders Tode die makedonische Partei ihrerseits leiden mußte,
was sie zuvor der andern angethan, erging auch über Demades. wie es heißt,
eine siebenfache Verurtheilung, und da er die Geldbußen nicht bezahlte, so
ging er der Ehrenrechte verlustig und trat zeitweilig von der Rednerbühne
ab. Schlimmeres begegnete ihm nicht; er wurde, als die Athener nach der
verlorenen Schlacht und der Sprengung des hellenischen Bundes den Frieden
begehrten, als einziger, der denselben vermitteln konnte, wieder in die Ehren¬
rechte eingesetzt und ward somit Urheber des schimpflichsten Friedens, den
Athen jemals geschlossen hatte. Er beantragte auch den nicht minder
schmachvollen Volksbeschluß, welcher den Demosthenes, Hypereides und Ge¬
nossen zum Tode der Verräther verurtheilte. So spielte er dann weiter den
großen Mann und ging in salbenduftenden Kleidern und pflegte seinen Bauch,
indem auch er zu denen gehörte, welche, nach Demosthenes' Ausdruck, den
Bauch zum Maßstabe der Glückseligkeit machten; der Makedonier Antipatros,
sein Brodherr, spottete über den altgewordenen Demades, daß von ihm wie
von einem geschlachteten und verbrauchten Opferthier nichts als Zunge und
Eingeweide übrig seien. Aber das Schicksal, welches ihm seine verrathenen
Mitbürger nicht zutheilten, empfing er schließlich aus den Händen der Make¬
donier selbst, indem Kassandros, Antipatros' Sohn, den als Gesandten nach
Makedonien gekommenen Demades, durch ihm hinterbrachte Spöttereien des¬
selben gereizt, mitsammt seinem Sohne schimpflich hinrichten ließ.

Aehnlich an Charakterlosigkeit und Gemeinheit, an Talenten freilich dem
Demades gewaltig nachstehend war Aristogeiton, gegen den wir zwei dem
Demosthenes untergeschobene Reden und eine echte des Deinarchos besitzen,
die letzere bei den harpalischen Prozessen gehalten, in die auch er verwickelt
war. Der Ankläger bezeichnet ihn im Eingang als den schlechtesten Menschen
in der Stadt und sogar unter der ganzen Menschheit, was er mit allerhand
Geschichten, daß er seinen vor dem Todesurtheil geflüchteten Vater im Aus¬
lande habe verkommen lassen, daß, als er zum erstenmal im Gefängnisse saß,
die andern Gefangenen ihm alle Gemeinschaft aufgekündigt hätten, zu belegen
keine Mühe hat. Er war aber nicht nur bisher immer leidlich durchgekommen, son¬
dern wurde auch im harpalischen Prozesse, wiewohl gegen ihn dieselbe Anzeige
des Areopag, also dieselbe Autorität wie gegen Demosthenes vorlag, zu all¬
gemeinem Aergerniß freigesprochen: der beste Beweis, was es mit den in
diesen Prozessen gefällten Urtheilen überhaupt aus sich hat. Gegen ihn war


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[0022] bindung mit Alexander nahm er keinen Anstand, als Harpalos nach Athen flüchtete, auch von diesem zu nehmen; er wurde gleich Demosthenes zu einer Geld¬ buße verurtheilt, kümmerte sich aber weder vorher um den Prozeß, zu dem er sich nicht stellte, noch nachher um das Urtheil, indem er nichts bezahlte; vielleicht daß ihm die Verwendung Alexanders den Erlaß der Strafe bewirkte. Als nach Alexanders Tode die makedonische Partei ihrerseits leiden mußte, was sie zuvor der andern angethan, erging auch über Demades. wie es heißt, eine siebenfache Verurtheilung, und da er die Geldbußen nicht bezahlte, so ging er der Ehrenrechte verlustig und trat zeitweilig von der Rednerbühne ab. Schlimmeres begegnete ihm nicht; er wurde, als die Athener nach der verlorenen Schlacht und der Sprengung des hellenischen Bundes den Frieden begehrten, als einziger, der denselben vermitteln konnte, wieder in die Ehren¬ rechte eingesetzt und ward somit Urheber des schimpflichsten Friedens, den Athen jemals geschlossen hatte. Er beantragte auch den nicht minder schmachvollen Volksbeschluß, welcher den Demosthenes, Hypereides und Ge¬ nossen zum Tode der Verräther verurtheilte. So spielte er dann weiter den großen Mann und ging in salbenduftenden Kleidern und pflegte seinen Bauch, indem auch er zu denen gehörte, welche, nach Demosthenes' Ausdruck, den Bauch zum Maßstabe der Glückseligkeit machten; der Makedonier Antipatros, sein Brodherr, spottete über den altgewordenen Demades, daß von ihm wie von einem geschlachteten und verbrauchten Opferthier nichts als Zunge und Eingeweide übrig seien. Aber das Schicksal, welches ihm seine verrathenen Mitbürger nicht zutheilten, empfing er schließlich aus den Händen der Make¬ donier selbst, indem Kassandros, Antipatros' Sohn, den als Gesandten nach Makedonien gekommenen Demades, durch ihm hinterbrachte Spöttereien des¬ selben gereizt, mitsammt seinem Sohne schimpflich hinrichten ließ. Aehnlich an Charakterlosigkeit und Gemeinheit, an Talenten freilich dem Demades gewaltig nachstehend war Aristogeiton, gegen den wir zwei dem Demosthenes untergeschobene Reden und eine echte des Deinarchos besitzen, die letzere bei den harpalischen Prozessen gehalten, in die auch er verwickelt war. Der Ankläger bezeichnet ihn im Eingang als den schlechtesten Menschen in der Stadt und sogar unter der ganzen Menschheit, was er mit allerhand Geschichten, daß er seinen vor dem Todesurtheil geflüchteten Vater im Aus¬ lande habe verkommen lassen, daß, als er zum erstenmal im Gefängnisse saß, die andern Gefangenen ihm alle Gemeinschaft aufgekündigt hätten, zu belegen keine Mühe hat. Er war aber nicht nur bisher immer leidlich durchgekommen, son¬ dern wurde auch im harpalischen Prozesse, wiewohl gegen ihn dieselbe Anzeige des Areopag, also dieselbe Autorität wie gegen Demosthenes vorlag, zu all¬ gemeinem Aergerniß freigesprochen: der beste Beweis, was es mit den in diesen Prozessen gefällten Urtheilen überhaupt aus sich hat. Gegen ihn war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/22>, abgerufen am 29.09.2024.