Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.Erwähnung thun, wenn es uns nicht zu weit führte; einer Persönlichkeit Unsere Landtage waren von jeher, seit die Verfassung besteht, einem Erwähnung thun, wenn es uns nicht zu weit führte; einer Persönlichkeit Unsere Landtage waren von jeher, seit die Verfassung besteht, einem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133977"/> <p xml:id="ID_532" prev="#ID_531"> Erwähnung thun, wenn es uns nicht zu weit führte; einer Persönlichkeit<lb/> aber müssen wir ein paar besondere Zeilen widmen: das ist Franz Rom ge,<lb/> der Bruder des deutschkatholischen Apostels Johannes Norge. Wie kommt<lb/> der in den Landtag von Coburg-Gotha? Er ist Bürgermeister und Abge¬<lb/> ordneter von Königsberg in Franken, eines coburgischen Städtchens<lb/> mitten im Bayernlande, und daß er grade dort wohnt und lebt, hat nach<lb/> seinen schlichten Erzählungen folgende seltsame Bewandtniß. Sein Amt als<lb/> katholischer Schullehrer eines schlesischen Ortes verlor er in jungen Jahren<lb/> durch die Excommunication, die er mit seinem Bruder Johannes theilen<lb/> mußte. Aus den Wanderungen, welche er an dessen Seite durch Deutschland<lb/> machte, fand er in der Tochter eines reichen Fabrikherrn zu Schweinfurt,<lb/> der dort auf seine eigenen Kosten eine deutschkatholische Kapelle baute, eine<lb/> Lebensgefährtin. Der Schwiegervater wollte in seiner nächsten Nähe dem<lb/> jungen Paare einen Heerd gründen, aber die bayerische Polizei trat dazwischen.<lb/> »Franz Ronge hatte sich zwar in keiner Weise gegen die bayerischen Staats¬<lb/> gesetze vergangen, auch für die Sicherung seines Nahrungsstandes war gut<lb/> gesorgt; indessen für seines Bruders Bruder gab es innerhalb der blauweißen<lb/> Grenzpfähle keine Wohnstätte. Da suchte und fand er ein Asyl auf dem<lb/> benachbarten Coburger Gebiete; aber noch längere Zeit hindurch konnte er<lb/> von da aus bloß heimlich den Schweinfurter Verwandten seinen Besuch<lb/> abstatten, auch nur heimlich einer behördlichen Vorladung nach Coburg Folge<lb/> leisten; mancher Unschuldige ist statt seiner von bayerischen Gensdarmen auf¬<lb/> gegriffen worden. Das Ministerium Reigersberg zeigte sich so unerbittlich,<lb/> daß es sogar gegen die Duldung Ronge's bei der Coburger Regierung Vor¬<lb/> stellung erhob, die jedoch unter Berufung auf die Gesetze des Landes gebührend<lb/> zurückgewiesen wurde. Der persönlichen Fürsprache des Ministers von Seebach<lb/> bei dem Freiherrn von der Pfordten glaubt es Ronge zu verdanken, daß die<lb/> polizeilichen Verfolgungen endlich wieder aufgehoben wurden. Es ist nicht<lb/> ohne Werth, von Zeit zu Zeit uns und Andere daran zu erinnern, welch'<lb/> schmachvolle Jahre wir haben durchleben müssen ! Wenn wir den wohlwollenden,<lb/> anspruchslosen Mann betrachten, kommt uns die Maßregelung desselben<lb/> vor wie eine Tollhausgeschichte. Seine engeren Landsleute rühmen ihn als<lb/> wohlwollend, besonnen, frei von radicalen Verkehrtheiten; in den Sitzungen<lb/> tritt er wenig hervor, das öffentliche Reden scheint seine Sache nicht zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_533" next="#ID_534"> Unsere Landtage waren von jeher, seit die Verfassung besteht, einem<lb/> vernünftigen Li b eralismus zugethan, was ihnen von der Regierung auch<lb/> nicht sonderlich erschwert wurde, zumal sie mit ihrer Freisinnigkeit in politischen<lb/> und Gesetzgebungsfragen immer noch eine gute Dosis Loyalität zu verbinden<lb/> wußten. Selbst manch' strebender Staatsdiener konnte ohne Nachtheil unter<lb/> der liberalen Fahne Abgeordneter sein. Junker und Reactionäre sind im</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0159]
Erwähnung thun, wenn es uns nicht zu weit führte; einer Persönlichkeit
aber müssen wir ein paar besondere Zeilen widmen: das ist Franz Rom ge,
der Bruder des deutschkatholischen Apostels Johannes Norge. Wie kommt
der in den Landtag von Coburg-Gotha? Er ist Bürgermeister und Abge¬
ordneter von Königsberg in Franken, eines coburgischen Städtchens
mitten im Bayernlande, und daß er grade dort wohnt und lebt, hat nach
seinen schlichten Erzählungen folgende seltsame Bewandtniß. Sein Amt als
katholischer Schullehrer eines schlesischen Ortes verlor er in jungen Jahren
durch die Excommunication, die er mit seinem Bruder Johannes theilen
mußte. Aus den Wanderungen, welche er an dessen Seite durch Deutschland
machte, fand er in der Tochter eines reichen Fabrikherrn zu Schweinfurt,
der dort auf seine eigenen Kosten eine deutschkatholische Kapelle baute, eine
Lebensgefährtin. Der Schwiegervater wollte in seiner nächsten Nähe dem
jungen Paare einen Heerd gründen, aber die bayerische Polizei trat dazwischen.
»Franz Ronge hatte sich zwar in keiner Weise gegen die bayerischen Staats¬
gesetze vergangen, auch für die Sicherung seines Nahrungsstandes war gut
gesorgt; indessen für seines Bruders Bruder gab es innerhalb der blauweißen
Grenzpfähle keine Wohnstätte. Da suchte und fand er ein Asyl auf dem
benachbarten Coburger Gebiete; aber noch längere Zeit hindurch konnte er
von da aus bloß heimlich den Schweinfurter Verwandten seinen Besuch
abstatten, auch nur heimlich einer behördlichen Vorladung nach Coburg Folge
leisten; mancher Unschuldige ist statt seiner von bayerischen Gensdarmen auf¬
gegriffen worden. Das Ministerium Reigersberg zeigte sich so unerbittlich,
daß es sogar gegen die Duldung Ronge's bei der Coburger Regierung Vor¬
stellung erhob, die jedoch unter Berufung auf die Gesetze des Landes gebührend
zurückgewiesen wurde. Der persönlichen Fürsprache des Ministers von Seebach
bei dem Freiherrn von der Pfordten glaubt es Ronge zu verdanken, daß die
polizeilichen Verfolgungen endlich wieder aufgehoben wurden. Es ist nicht
ohne Werth, von Zeit zu Zeit uns und Andere daran zu erinnern, welch'
schmachvolle Jahre wir haben durchleben müssen ! Wenn wir den wohlwollenden,
anspruchslosen Mann betrachten, kommt uns die Maßregelung desselben
vor wie eine Tollhausgeschichte. Seine engeren Landsleute rühmen ihn als
wohlwollend, besonnen, frei von radicalen Verkehrtheiten; in den Sitzungen
tritt er wenig hervor, das öffentliche Reden scheint seine Sache nicht zu sein.
Unsere Landtage waren von jeher, seit die Verfassung besteht, einem
vernünftigen Li b eralismus zugethan, was ihnen von der Regierung auch
nicht sonderlich erschwert wurde, zumal sie mit ihrer Freisinnigkeit in politischen
und Gesetzgebungsfragen immer noch eine gute Dosis Loyalität zu verbinden
wußten. Selbst manch' strebender Staatsdiener konnte ohne Nachtheil unter
der liberalen Fahne Abgeordneter sein. Junker und Reactionäre sind im
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