Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.soll er der versammelten Masse gegenüber manchmal einen aristokratischen Anders geartet und nicht in gleicher Weise achtungswerth erscheint Hype- soll er der versammelten Masse gegenüber manchmal einen aristokratischen Anders geartet und nicht in gleicher Weise achtungswerth erscheint Hype- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133833"/> <p xml:id="ID_14" prev="#ID_13"> soll er der versammelten Masse gegenüber manchmal einen aristokratischen<lb/> Freimuth gezeigt haben: so habe er, als das Volk einmal lärmte und ihn<lb/> nicht anhören wollte, im Zorne ausgerufen: o kerkyräische Peitsche, wie viele<lb/> Talente bist du werth! Aber was bei Andern Hoffart und Uebermuth<lb/> angezeigt haben würde, ging bei ihm aus der ernsten Strenge seines Charakters<lb/> hervor, welche er am allermeisten gegen sich selbst kehrte. Denn nicht nur<lb/> daß er, um nicht durch langen Schlaf die Zeit zur Arbeit zu verlieren, eine<lb/> möglichst harte und unbequeme Lagerstätte hatte: er zeigte auch sonst eine<lb/> fast spartanische Abhärtung, so daß er im Sommer und Winter dasselbe<lb/> Gewand trug und insgemein ohne Schuhe ging. Kein Vorwurf ist unsres<lb/> Wissens gegen sein Privatleben vorgebracht worden, was einen ganz besondern<lb/> Grad von Reinheit und Strenge desselben beweist; Demosthenes wenigstens<lb/> ist auch in dieser Hinsicht sowohl von Seiten des Aischines als unkritischer<lb/> Biographen den häßlichsten Schmähungen nicht entgangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_15" next="#ID_16"> Anders geartet und nicht in gleicher Weise achtungswerth erscheint Hype-<lb/> rei des, dem in der patriotischen Partei die dritte Stelle, nach Demosthenes<lb/> und Lykurgos, ohne Frage gebührt, und der in der Beredsamkeit unter allen<lb/> Rednern des Zeitalters, wenn auch mit weitem Abstände und mit grundver¬<lb/> schiedenen Charakter, dem Demosthenes wohl am nächsten kommt. Dieser<lb/> Schriftsteller ist für uns erst seit einigen zwanzig Jahren im eigentlichen Sinne<lb/> des Wortes von den Todten auferstanden, indem aus den Grabkammern<lb/> des ägyptischen Thebens verschiedene Reden von ihm, theils vollständig theils<lb/> in Bruchstücken, hervorgezogen sind; wir können somit die außerordentlichen<lb/> Lobsprüche, die ihm die Alten zuertheilen, jetzt etwas besser würdigen und be¬<lb/> greifen. Bei zweien dieser Reden, für Lykophron und für Euxenippos, steht<lb/> dem Hypereides Lykurgos gegenüber, wenn nicht als eigentlicher Ankläger, so<lb/> doch als Unterstützer der Anklage; beide Male hat diese die Form der Eis-<lb/> angelie, der Anzeige bei Rath und Volk, welche für Umsturz der Verfassung,<lb/> Landesverrat!) und ähnliche schwere Staatsverbrechen vom Gesetze verordnet<lb/> war. Und doch wurde dem Lykophron nichts als ein vielleicht besonders skan¬<lb/> dalöses ehebrecherisches Verhältniß vorgeworfen, welches die Anklage als Um¬<lb/> sturz aller guten Sitte und damit indirekt auch der Verfassung bezeichnete;<lb/> Euxenippos aber wurde belangt, weil er, vom Volke an ein Traumorakel<lb/> abgeordnet, sich hätte bestechen lassen einen erlogenen Traum zu berichten;<lb/> denn auch gegen diejenigen verstattete das Gesetz die Eisangelie, welche, von<lb/> den Widersachern des Volkes erkauft, nicht dem Volke zum Besten riethen,<lb/> freilich mit dem Zusatz: „als Redner und Staatsmänner", was Euxenippos<lb/> nicht war. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist weder Lykophron unschuldig ge¬<lb/> wesen, noch hat Euxenippos umsonst geträumt; aber die formelle Unstatt-<lb/> haftigkeit insbesondere der letzteren Klage, wo wir die Vertheidigungsrede voll-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
soll er der versammelten Masse gegenüber manchmal einen aristokratischen
Freimuth gezeigt haben: so habe er, als das Volk einmal lärmte und ihn
nicht anhören wollte, im Zorne ausgerufen: o kerkyräische Peitsche, wie viele
Talente bist du werth! Aber was bei Andern Hoffart und Uebermuth
angezeigt haben würde, ging bei ihm aus der ernsten Strenge seines Charakters
hervor, welche er am allermeisten gegen sich selbst kehrte. Denn nicht nur
daß er, um nicht durch langen Schlaf die Zeit zur Arbeit zu verlieren, eine
möglichst harte und unbequeme Lagerstätte hatte: er zeigte auch sonst eine
fast spartanische Abhärtung, so daß er im Sommer und Winter dasselbe
Gewand trug und insgemein ohne Schuhe ging. Kein Vorwurf ist unsres
Wissens gegen sein Privatleben vorgebracht worden, was einen ganz besondern
Grad von Reinheit und Strenge desselben beweist; Demosthenes wenigstens
ist auch in dieser Hinsicht sowohl von Seiten des Aischines als unkritischer
Biographen den häßlichsten Schmähungen nicht entgangen.
Anders geartet und nicht in gleicher Weise achtungswerth erscheint Hype-
rei des, dem in der patriotischen Partei die dritte Stelle, nach Demosthenes
und Lykurgos, ohne Frage gebührt, und der in der Beredsamkeit unter allen
Rednern des Zeitalters, wenn auch mit weitem Abstände und mit grundver¬
schiedenen Charakter, dem Demosthenes wohl am nächsten kommt. Dieser
Schriftsteller ist für uns erst seit einigen zwanzig Jahren im eigentlichen Sinne
des Wortes von den Todten auferstanden, indem aus den Grabkammern
des ägyptischen Thebens verschiedene Reden von ihm, theils vollständig theils
in Bruchstücken, hervorgezogen sind; wir können somit die außerordentlichen
Lobsprüche, die ihm die Alten zuertheilen, jetzt etwas besser würdigen und be¬
greifen. Bei zweien dieser Reden, für Lykophron und für Euxenippos, steht
dem Hypereides Lykurgos gegenüber, wenn nicht als eigentlicher Ankläger, so
doch als Unterstützer der Anklage; beide Male hat diese die Form der Eis-
angelie, der Anzeige bei Rath und Volk, welche für Umsturz der Verfassung,
Landesverrat!) und ähnliche schwere Staatsverbrechen vom Gesetze verordnet
war. Und doch wurde dem Lykophron nichts als ein vielleicht besonders skan¬
dalöses ehebrecherisches Verhältniß vorgeworfen, welches die Anklage als Um¬
sturz aller guten Sitte und damit indirekt auch der Verfassung bezeichnete;
Euxenippos aber wurde belangt, weil er, vom Volke an ein Traumorakel
abgeordnet, sich hätte bestechen lassen einen erlogenen Traum zu berichten;
denn auch gegen diejenigen verstattete das Gesetz die Eisangelie, welche, von
den Widersachern des Volkes erkauft, nicht dem Volke zum Besten riethen,
freilich mit dem Zusatz: „als Redner und Staatsmänner", was Euxenippos
nicht war. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist weder Lykophron unschuldig ge¬
wesen, noch hat Euxenippos umsonst geträumt; aber die formelle Unstatt-
haftigkeit insbesondere der letzteren Klage, wo wir die Vertheidigungsrede voll-
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