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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Lage eignen sich die zwei kleinen Herzogthümer von vorne herein wenig zu
einem einheitlichen Staatswesen; auch kann man sich für einen Gesammtstaat
von etwa 180,000 Seelen kaum mehr erwärmen, wie für zwei Einzelstaaten
von 30,000 und 130,000 Angehörigen. Es fehlt der Unionsidee an
jedem belebenden, begeisternden Inhalt, sie appellirt weder an die
Vaterlandsliebe, die ja dem ganzen Deutschland gehört, noch an sonst einen
edlen Trieb: sie ist bloß eine Frage des practischen Bortheils, vor
Allem des pecuniären Nutzens. Für diejenigen Angelegenheiten, deren
einheitliche Behandlung wirklich Bedürfniß ist, besteht eine organisirte
Gemeinschaft; zu ihnen gehört das Verhältniß des Landes zum Herzog, zum
deutschen Staatswesen und zu auswärtigen Staaten, das Staatsgrundgesetz,
das Ministerium, das Oberappellationsgericht in Jena, das Appellationsge¬
richt in Eisenach, seit Kurzem überhaupt das ganze Justizwesen. Die Selbst,
Ständigkeit jedes der beiden Ländchen, also die getrennte Gesetzgebung
und Verwaltung beschränkt sich in der Hauptsache auf das Innere und die
Polizei, auf Kirchen- und Schulsachen, auf das Steuerwesen und
"das Domänenvermögen mit Ausschluß des Schmalkaldener Waldes, welcher
auf Grund der oben erwähnten Thatsachen gleich nach der Erwerbung der
gemeinschaftlichen Ministerialabtheilung unterstellt worden ist. Diese
hat ihren Sitz in Gotha und fungirt zugleich als Abtheilung für die gothai-
schen Spezialangelegenheiten, während für die Coburgischen Sachen eine be¬
sondere, allerdings nur aus wenigen Beamten zusammengesetzte Abtheilung in
der Stadt Coburg fungirt. Die Vervollständigung des Aufbaus der
Union könnte, trotz aller Berufungen auf die geschichtlichen Anrechte Coburgs,
nur in der Weise geschehen, daß die coburgische Mi nisterialab -
theilung wegfiele, d. h. mit dem gothaischen Ministerium zu Einer Behörde
vereinigt würde. Gotha hat von einer solchen Maßregel an und für sich
keinen Nutzen zu erwarten, den Coburgern aber kann man es kaum verdenken,
daß sie auf die Annehmlichkeit und den Vortheil, eine sorgsame, wohlwollende,
mit allen Einzelheiten des Ländchens genau vertraute Regierung in ihrer
Mitte zu haben und ihre inneren Angelegenheiten durch eine Art von Kreis¬
tag selbst zu regeln, einigen Werth legen. Dennoch würden sie wohl darauf
verzichten und die Gotha er würden anderer Seits auch ihren, von der weniger
günstigen Finanzlage Coburgs entlehnten Bedenken entsagen, wenn mit der
Zusammenlegung der Ministerien und der totalen staatlichen Vereinigung
beider Länder wesentliche Ersparnisse in dem Verwaltungsauf¬
wand verbunden wären oder mit anderen Worten, wenn durch eine solche
Maßregel die Herzogthümer in die Lage kämen, ihren staatlichen Auf¬
gaben besser und sicherer als bisher genügen zu können. Aber
daran fehlt es gerade: irgend namhafte finanzell Erfolge einer völligen Ver-


Grmzbotcn III, 1875. 15

Lage eignen sich die zwei kleinen Herzogthümer von vorne herein wenig zu
einem einheitlichen Staatswesen; auch kann man sich für einen Gesammtstaat
von etwa 180,000 Seelen kaum mehr erwärmen, wie für zwei Einzelstaaten
von 30,000 und 130,000 Angehörigen. Es fehlt der Unionsidee an
jedem belebenden, begeisternden Inhalt, sie appellirt weder an die
Vaterlandsliebe, die ja dem ganzen Deutschland gehört, noch an sonst einen
edlen Trieb: sie ist bloß eine Frage des practischen Bortheils, vor
Allem des pecuniären Nutzens. Für diejenigen Angelegenheiten, deren
einheitliche Behandlung wirklich Bedürfniß ist, besteht eine organisirte
Gemeinschaft; zu ihnen gehört das Verhältniß des Landes zum Herzog, zum
deutschen Staatswesen und zu auswärtigen Staaten, das Staatsgrundgesetz,
das Ministerium, das Oberappellationsgericht in Jena, das Appellationsge¬
richt in Eisenach, seit Kurzem überhaupt das ganze Justizwesen. Die Selbst,
Ständigkeit jedes der beiden Ländchen, also die getrennte Gesetzgebung
und Verwaltung beschränkt sich in der Hauptsache auf das Innere und die
Polizei, auf Kirchen- und Schulsachen, auf das Steuerwesen und
«das Domänenvermögen mit Ausschluß des Schmalkaldener Waldes, welcher
auf Grund der oben erwähnten Thatsachen gleich nach der Erwerbung der
gemeinschaftlichen Ministerialabtheilung unterstellt worden ist. Diese
hat ihren Sitz in Gotha und fungirt zugleich als Abtheilung für die gothai-
schen Spezialangelegenheiten, während für die Coburgischen Sachen eine be¬
sondere, allerdings nur aus wenigen Beamten zusammengesetzte Abtheilung in
der Stadt Coburg fungirt. Die Vervollständigung des Aufbaus der
Union könnte, trotz aller Berufungen auf die geschichtlichen Anrechte Coburgs,
nur in der Weise geschehen, daß die coburgische Mi nisterialab -
theilung wegfiele, d. h. mit dem gothaischen Ministerium zu Einer Behörde
vereinigt würde. Gotha hat von einer solchen Maßregel an und für sich
keinen Nutzen zu erwarten, den Coburgern aber kann man es kaum verdenken,
daß sie auf die Annehmlichkeit und den Vortheil, eine sorgsame, wohlwollende,
mit allen Einzelheiten des Ländchens genau vertraute Regierung in ihrer
Mitte zu haben und ihre inneren Angelegenheiten durch eine Art von Kreis¬
tag selbst zu regeln, einigen Werth legen. Dennoch würden sie wohl darauf
verzichten und die Gotha er würden anderer Seits auch ihren, von der weniger
günstigen Finanzlage Coburgs entlehnten Bedenken entsagen, wenn mit der
Zusammenlegung der Ministerien und der totalen staatlichen Vereinigung
beider Länder wesentliche Ersparnisse in dem Verwaltungsauf¬
wand verbunden wären oder mit anderen Worten, wenn durch eine solche
Maßregel die Herzogthümer in die Lage kämen, ihren staatlichen Auf¬
gaben besser und sicherer als bisher genügen zu können. Aber
daran fehlt es gerade: irgend namhafte finanzell Erfolge einer völligen Ver-


Grmzbotcn III, 1875. 15
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[0121] Lage eignen sich die zwei kleinen Herzogthümer von vorne herein wenig zu einem einheitlichen Staatswesen; auch kann man sich für einen Gesammtstaat von etwa 180,000 Seelen kaum mehr erwärmen, wie für zwei Einzelstaaten von 30,000 und 130,000 Angehörigen. Es fehlt der Unionsidee an jedem belebenden, begeisternden Inhalt, sie appellirt weder an die Vaterlandsliebe, die ja dem ganzen Deutschland gehört, noch an sonst einen edlen Trieb: sie ist bloß eine Frage des practischen Bortheils, vor Allem des pecuniären Nutzens. Für diejenigen Angelegenheiten, deren einheitliche Behandlung wirklich Bedürfniß ist, besteht eine organisirte Gemeinschaft; zu ihnen gehört das Verhältniß des Landes zum Herzog, zum deutschen Staatswesen und zu auswärtigen Staaten, das Staatsgrundgesetz, das Ministerium, das Oberappellationsgericht in Jena, das Appellationsge¬ richt in Eisenach, seit Kurzem überhaupt das ganze Justizwesen. Die Selbst, Ständigkeit jedes der beiden Ländchen, also die getrennte Gesetzgebung und Verwaltung beschränkt sich in der Hauptsache auf das Innere und die Polizei, auf Kirchen- und Schulsachen, auf das Steuerwesen und «das Domänenvermögen mit Ausschluß des Schmalkaldener Waldes, welcher auf Grund der oben erwähnten Thatsachen gleich nach der Erwerbung der gemeinschaftlichen Ministerialabtheilung unterstellt worden ist. Diese hat ihren Sitz in Gotha und fungirt zugleich als Abtheilung für die gothai- schen Spezialangelegenheiten, während für die Coburgischen Sachen eine be¬ sondere, allerdings nur aus wenigen Beamten zusammengesetzte Abtheilung in der Stadt Coburg fungirt. Die Vervollständigung des Aufbaus der Union könnte, trotz aller Berufungen auf die geschichtlichen Anrechte Coburgs, nur in der Weise geschehen, daß die coburgische Mi nisterialab - theilung wegfiele, d. h. mit dem gothaischen Ministerium zu Einer Behörde vereinigt würde. Gotha hat von einer solchen Maßregel an und für sich keinen Nutzen zu erwarten, den Coburgern aber kann man es kaum verdenken, daß sie auf die Annehmlichkeit und den Vortheil, eine sorgsame, wohlwollende, mit allen Einzelheiten des Ländchens genau vertraute Regierung in ihrer Mitte zu haben und ihre inneren Angelegenheiten durch eine Art von Kreis¬ tag selbst zu regeln, einigen Werth legen. Dennoch würden sie wohl darauf verzichten und die Gotha er würden anderer Seits auch ihren, von der weniger günstigen Finanzlage Coburgs entlehnten Bedenken entsagen, wenn mit der Zusammenlegung der Ministerien und der totalen staatlichen Vereinigung beider Länder wesentliche Ersparnisse in dem Verwaltungsauf¬ wand verbunden wären oder mit anderen Worten, wenn durch eine solche Maßregel die Herzogthümer in die Lage kämen, ihren staatlichen Auf¬ gaben besser und sicherer als bisher genügen zu können. Aber daran fehlt es gerade: irgend namhafte finanzell Erfolge einer völligen Ver- Grmzbotcn III, 1875. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/121>, abgerufen am 28.09.2024.