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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Siege auch aus die ätherische" Verhältnisse einen schweren Druck ausübten
und der patriotischen Partei den Makedoneufreunden gegenüber einen harten
Stand bereiteten, hatten die Häupter der ersteren, Demosthenes und Lykurgos,
immer von neuem Anklagen aller Art zu bestehen, und wie Demosthenes
schließlich, nach Lykurg's Tode, im Harpalischen Prozesse unterlegen war, da
vermochte es die nun schrankenlos waltende makedonische Partei, auch über
Lykurg's Söhne jene schimpfliche Fesselung zu bringen, die freilich doch bald
wieder aufgehoben wurde. Er hatte, so lange er lebte, den Ruf eines' durch¬
aus redlichen und uneigennützigen Charakters, und darum gaben ihm auch
viele Einzelne ihre Gelder in Verwahrung, die er dann in Zeiten des Be¬
dürfnisses im Betrage von Hunderten von Talenten dem Staate ohne Zinsen
vorschoß. Zu allen Zeiten war ein solcher Credit eines athenischen Staats¬
mannes eine Ausnahme, indem die Politiker als Classe den übelsten Ruf
hatten, und das Volk, wie unsre Redner spotten, nicht abließ, solchen Leuten
die Fürsorge über das Gemeinwesen zu übertragen, denen kein Einzelner in
der Versammlung auch nur das Geringste von seinem Eigenthum anvertrauen
mochte. Das allerdings wird auch von Lykurg berichtet, daß er, als ein von
ihm selber gegebenes Gesetz, welches um der republikanischen Gleichheit willen
bei einem Talent Geldbuße den Frauen untersagte, die Prozession nach Eleu-
sis zu Wagen statt zu Fuße mitzumachen, von seiner eiguen Frau übertreten
war, den Angeber mit der gleichen Summe abgekauft habe; als die Sache
in der Volksversammlung zur Sprache kam, habe er gesagt: ich freue mich,
daß nach so vieljähriger Staatsverwaltung mir ein Geben eher als ein
Nehmen nachgewiesen ist. Lykurg war, wie auch hieraus ersichtlich, nicht
etwa gleich einem Aristeides oder Phvkion unbemittelt, sondern wie Perikles
von nicht unbedeutendem ererbten Vermögen, indem seine Familie zu den
ältesten und angesehensten Athens gehörte und in den früheren Generationen
nicht wenige wohlverdiente Bürger hervorgebracht hatte. Als ein Vertreter
des alten Athens inmitten einer schon damals großen Theils neuen und aus
den verschiedensten Stämmen und Nationen gemischten Bürgerschaft war er
ein gläubiger Verehrer der väterlichen Götter und ein eifriger Beförderer ihres
Dienstes: die meisten seiner überlieferten Gesetze beziehen sich auf Cultus und
Feste, darunter auch jenes bekannteste, welches die Anfertigung eines Staats¬
exemplares von den Werken der drei großen Tragiker, an welches die Schau¬
spieler hinfort gebunden sein sollten, sowie die Errichtung ihrer Standbilder
im Theater verordnete. Die sich hier zeigende Liebe für die nationale Poesie
tritt nicht weniger in der von ihm erhaltenen Rede hervor, welche lange Ci¬
tate aus Homer, Euripides, Tyrtaios und andern Dichtern enthält. Es war
nämlich auch dies in den großen Staatsreden jener Zeit ein nicht ungewöhn¬
licher Schmuck, wie denn auch Aischines' Rede gegen Timarchos und De-


Siege auch aus die ätherische» Verhältnisse einen schweren Druck ausübten
und der patriotischen Partei den Makedoneufreunden gegenüber einen harten
Stand bereiteten, hatten die Häupter der ersteren, Demosthenes und Lykurgos,
immer von neuem Anklagen aller Art zu bestehen, und wie Demosthenes
schließlich, nach Lykurg's Tode, im Harpalischen Prozesse unterlegen war, da
vermochte es die nun schrankenlos waltende makedonische Partei, auch über
Lykurg's Söhne jene schimpfliche Fesselung zu bringen, die freilich doch bald
wieder aufgehoben wurde. Er hatte, so lange er lebte, den Ruf eines' durch¬
aus redlichen und uneigennützigen Charakters, und darum gaben ihm auch
viele Einzelne ihre Gelder in Verwahrung, die er dann in Zeiten des Be¬
dürfnisses im Betrage von Hunderten von Talenten dem Staate ohne Zinsen
vorschoß. Zu allen Zeiten war ein solcher Credit eines athenischen Staats¬
mannes eine Ausnahme, indem die Politiker als Classe den übelsten Ruf
hatten, und das Volk, wie unsre Redner spotten, nicht abließ, solchen Leuten
die Fürsorge über das Gemeinwesen zu übertragen, denen kein Einzelner in
der Versammlung auch nur das Geringste von seinem Eigenthum anvertrauen
mochte. Das allerdings wird auch von Lykurg berichtet, daß er, als ein von
ihm selber gegebenes Gesetz, welches um der republikanischen Gleichheit willen
bei einem Talent Geldbuße den Frauen untersagte, die Prozession nach Eleu-
sis zu Wagen statt zu Fuße mitzumachen, von seiner eiguen Frau übertreten
war, den Angeber mit der gleichen Summe abgekauft habe; als die Sache
in der Volksversammlung zur Sprache kam, habe er gesagt: ich freue mich,
daß nach so vieljähriger Staatsverwaltung mir ein Geben eher als ein
Nehmen nachgewiesen ist. Lykurg war, wie auch hieraus ersichtlich, nicht
etwa gleich einem Aristeides oder Phvkion unbemittelt, sondern wie Perikles
von nicht unbedeutendem ererbten Vermögen, indem seine Familie zu den
ältesten und angesehensten Athens gehörte und in den früheren Generationen
nicht wenige wohlverdiente Bürger hervorgebracht hatte. Als ein Vertreter
des alten Athens inmitten einer schon damals großen Theils neuen und aus
den verschiedensten Stämmen und Nationen gemischten Bürgerschaft war er
ein gläubiger Verehrer der väterlichen Götter und ein eifriger Beförderer ihres
Dienstes: die meisten seiner überlieferten Gesetze beziehen sich auf Cultus und
Feste, darunter auch jenes bekannteste, welches die Anfertigung eines Staats¬
exemplares von den Werken der drei großen Tragiker, an welches die Schau¬
spieler hinfort gebunden sein sollten, sowie die Errichtung ihrer Standbilder
im Theater verordnete. Die sich hier zeigende Liebe für die nationale Poesie
tritt nicht weniger in der von ihm erhaltenen Rede hervor, welche lange Ci¬
tate aus Homer, Euripides, Tyrtaios und andern Dichtern enthält. Es war
nämlich auch dies in den großen Staatsreden jener Zeit ein nicht ungewöhn¬
licher Schmuck, wie denn auch Aischines' Rede gegen Timarchos und De-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/12>, abgerufen am 29.09.2024.