Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

reich hätte in diesem Augenblicke Gelegenheit, sich eine freiheitliche Gestalt zu
geben. Aber die Anhänger der Monarchie ebnen der Rückkehr der napoleo-
niden den Weg oder stürzen das Land durch ihren blinden Eiser für ein
bigottes Bourbonenthum in Anarchie. Die Republik ist dermalen die einzig
mögliche Regierungsform in Frankreich, aber die Republikaner verhindern sie,
Wurzel zu schlagen, weil der Katholicismus sie mit dem Geiste des Despo¬
tismus und der Unduldsamkeit erfüllt hat, und so wird das Land kaum einer
neuen Aufrichtung des Absolutismus entgehen. Katholiken können keine Re¬
publikaner sein, weil die römische Religion die Völker nicht innerlich frei
werden läßt, sie nicht duldsam macht, sie nicht vorbereitet, sich selbst zu
regieren.

Bei den katholischen Völkern steht die Duldung bisweilen in den Ge¬
setzen, nie aber lebt sie bei ihnen in den Sitten. Wehe dem, welcher von
der Gewissensfreiheit Gebrauch machen will und den Eingebungen des seinigen
zu gehorchen beschließt. Er wird von den Gleichgültigen mehr verspottet als
von den Gläubigen. Die Ungläubigen finden es bequemer, den Priester aus¬
zulachen oder anzugreifen, was sie nicht abhält, sich in allen wichtigen Lagen
des Lebens vor ihm zu beugen. Indem sie das Joch der Orthodoxie dulden,
über das sie sich lustig machen, und dem sie sich doch unterwerfen, erlauben
sie nicht, daß andere, die es zu schwer finden, sich ihm offen entziehen. Durch
Einschüchterung und Verspottung drängt sich die Uniformität auf, und die
Freiheit ist nur ein leerer Schall."

Alle modernen Völker bestreben sich, die constitutionelle Regierung einzu¬
führen. Aber dieselbe scheint sich in den katholischen Ländern nicht auf die
Dauer halten zu können, und zwar deshalb nicht, weil das Staatsoberhaupt,
König oder Präsident, wenn er der Kirche ergeben ist, kein verfassungsmäßiger
Herrscher sein kann. Er wird dann von seinem Beichtvater gelenkt werden,
der seinerseits wieder dem Papste gehorcht. Vermittelst des Beichtstuhls wird
also der Papst in den wichtigsten Angelegenheiten der eigentliche Souverain
sein, das heißt, wenn dieser nicht wieder von den Jesuiten beherrscht ist. Die
Rechte, welche die Verfassung dem Inhaber der vollziehenden Gewalt einräumt,
werden dann von einer auswärtigen Macht und zum Schaden des Landes
ausgeübt. Die Geschichte ist voll von Beispielen hiervon. Zu gehorsam ge¬
gen seinen Beichtvater, widerruft Ludwig der Vierzehnte das Edict von Nantes,
verliert Jacob der Zweite von England seine Krone, stirbt Ludwig der Sech¬
zehnte aus dem Schaffst, ruinirt Ferdinand von Oesterreich durch Verfolgung
der Protestanten seine Staaten, bereitet Sigismund von Polen die Theilung
dieses Landes durch Begünstigung der Jesuiten vor, muß Karl der Zehnte
vom Throne Frankreichs ins Exil gehen. Unter einem frommen, gut katho¬
lischen, seine Pflicht als Beichtkind gehörig erfüllenden Souverain ist die ver-


reich hätte in diesem Augenblicke Gelegenheit, sich eine freiheitliche Gestalt zu
geben. Aber die Anhänger der Monarchie ebnen der Rückkehr der napoleo-
niden den Weg oder stürzen das Land durch ihren blinden Eiser für ein
bigottes Bourbonenthum in Anarchie. Die Republik ist dermalen die einzig
mögliche Regierungsform in Frankreich, aber die Republikaner verhindern sie,
Wurzel zu schlagen, weil der Katholicismus sie mit dem Geiste des Despo¬
tismus und der Unduldsamkeit erfüllt hat, und so wird das Land kaum einer
neuen Aufrichtung des Absolutismus entgehen. Katholiken können keine Re¬
publikaner sein, weil die römische Religion die Völker nicht innerlich frei
werden läßt, sie nicht duldsam macht, sie nicht vorbereitet, sich selbst zu
regieren.

Bei den katholischen Völkern steht die Duldung bisweilen in den Ge¬
setzen, nie aber lebt sie bei ihnen in den Sitten. Wehe dem, welcher von
der Gewissensfreiheit Gebrauch machen will und den Eingebungen des seinigen
zu gehorchen beschließt. Er wird von den Gleichgültigen mehr verspottet als
von den Gläubigen. Die Ungläubigen finden es bequemer, den Priester aus¬
zulachen oder anzugreifen, was sie nicht abhält, sich in allen wichtigen Lagen
des Lebens vor ihm zu beugen. Indem sie das Joch der Orthodoxie dulden,
über das sie sich lustig machen, und dem sie sich doch unterwerfen, erlauben
sie nicht, daß andere, die es zu schwer finden, sich ihm offen entziehen. Durch
Einschüchterung und Verspottung drängt sich die Uniformität auf, und die
Freiheit ist nur ein leerer Schall."

Alle modernen Völker bestreben sich, die constitutionelle Regierung einzu¬
führen. Aber dieselbe scheint sich in den katholischen Ländern nicht auf die
Dauer halten zu können, und zwar deshalb nicht, weil das Staatsoberhaupt,
König oder Präsident, wenn er der Kirche ergeben ist, kein verfassungsmäßiger
Herrscher sein kann. Er wird dann von seinem Beichtvater gelenkt werden,
der seinerseits wieder dem Papste gehorcht. Vermittelst des Beichtstuhls wird
also der Papst in den wichtigsten Angelegenheiten der eigentliche Souverain
sein, das heißt, wenn dieser nicht wieder von den Jesuiten beherrscht ist. Die
Rechte, welche die Verfassung dem Inhaber der vollziehenden Gewalt einräumt,
werden dann von einer auswärtigen Macht und zum Schaden des Landes
ausgeübt. Die Geschichte ist voll von Beispielen hiervon. Zu gehorsam ge¬
gen seinen Beichtvater, widerruft Ludwig der Vierzehnte das Edict von Nantes,
verliert Jacob der Zweite von England seine Krone, stirbt Ludwig der Sech¬
zehnte aus dem Schaffst, ruinirt Ferdinand von Oesterreich durch Verfolgung
der Protestanten seine Staaten, bereitet Sigismund von Polen die Theilung
dieses Landes durch Begünstigung der Jesuiten vor, muß Karl der Zehnte
vom Throne Frankreichs ins Exil gehen. Unter einem frommen, gut katho¬
lischen, seine Pflicht als Beichtkind gehörig erfüllenden Souverain ist die ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134444"/>
          <p xml:id="ID_253" prev="#ID_252"> reich hätte in diesem Augenblicke Gelegenheit, sich eine freiheitliche Gestalt zu<lb/>
geben. Aber die Anhänger der Monarchie ebnen der Rückkehr der napoleo-<lb/>
niden den Weg oder stürzen das Land durch ihren blinden Eiser für ein<lb/>
bigottes Bourbonenthum in Anarchie. Die Republik ist dermalen die einzig<lb/>
mögliche Regierungsform in Frankreich, aber die Republikaner verhindern sie,<lb/>
Wurzel zu schlagen, weil der Katholicismus sie mit dem Geiste des Despo¬<lb/>
tismus und der Unduldsamkeit erfüllt hat, und so wird das Land kaum einer<lb/>
neuen Aufrichtung des Absolutismus entgehen. Katholiken können keine Re¬<lb/>
publikaner sein, weil die römische Religion die Völker nicht innerlich frei<lb/>
werden läßt, sie nicht duldsam macht, sie nicht vorbereitet, sich selbst zu<lb/>
regieren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_254"> Bei den katholischen Völkern steht die Duldung bisweilen in den Ge¬<lb/>
setzen, nie aber lebt sie bei ihnen in den Sitten. Wehe dem, welcher von<lb/>
der Gewissensfreiheit Gebrauch machen will und den Eingebungen des seinigen<lb/>
zu gehorchen beschließt. Er wird von den Gleichgültigen mehr verspottet als<lb/>
von den Gläubigen. Die Ungläubigen finden es bequemer, den Priester aus¬<lb/>
zulachen oder anzugreifen, was sie nicht abhält, sich in allen wichtigen Lagen<lb/>
des Lebens vor ihm zu beugen. Indem sie das Joch der Orthodoxie dulden,<lb/>
über das sie sich lustig machen, und dem sie sich doch unterwerfen, erlauben<lb/>
sie nicht, daß andere, die es zu schwer finden, sich ihm offen entziehen. Durch<lb/>
Einschüchterung und Verspottung drängt sich die Uniformität auf, und die<lb/>
Freiheit ist nur ein leerer Schall."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_255" next="#ID_256"> Alle modernen Völker bestreben sich, die constitutionelle Regierung einzu¬<lb/>
führen. Aber dieselbe scheint sich in den katholischen Ländern nicht auf die<lb/>
Dauer halten zu können, und zwar deshalb nicht, weil das Staatsoberhaupt,<lb/>
König oder Präsident, wenn er der Kirche ergeben ist, kein verfassungsmäßiger<lb/>
Herrscher sein kann. Er wird dann von seinem Beichtvater gelenkt werden,<lb/>
der seinerseits wieder dem Papste gehorcht. Vermittelst des Beichtstuhls wird<lb/>
also der Papst in den wichtigsten Angelegenheiten der eigentliche Souverain<lb/>
sein, das heißt, wenn dieser nicht wieder von den Jesuiten beherrscht ist. Die<lb/>
Rechte, welche die Verfassung dem Inhaber der vollziehenden Gewalt einräumt,<lb/>
werden dann von einer auswärtigen Macht und zum Schaden des Landes<lb/>
ausgeübt. Die Geschichte ist voll von Beispielen hiervon. Zu gehorsam ge¬<lb/>
gen seinen Beichtvater, widerruft Ludwig der Vierzehnte das Edict von Nantes,<lb/>
verliert Jacob der Zweite von England seine Krone, stirbt Ludwig der Sech¬<lb/>
zehnte aus dem Schaffst, ruinirt Ferdinand von Oesterreich durch Verfolgung<lb/>
der Protestanten seine Staaten, bereitet Sigismund von Polen die Theilung<lb/>
dieses Landes durch Begünstigung der Jesuiten vor, muß Karl der Zehnte<lb/>
vom Throne Frankreichs ins Exil gehen. Unter einem frommen, gut katho¬<lb/>
lischen, seine Pflicht als Beichtkind gehörig erfüllenden Souverain ist die ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] reich hätte in diesem Augenblicke Gelegenheit, sich eine freiheitliche Gestalt zu geben. Aber die Anhänger der Monarchie ebnen der Rückkehr der napoleo- niden den Weg oder stürzen das Land durch ihren blinden Eiser für ein bigottes Bourbonenthum in Anarchie. Die Republik ist dermalen die einzig mögliche Regierungsform in Frankreich, aber die Republikaner verhindern sie, Wurzel zu schlagen, weil der Katholicismus sie mit dem Geiste des Despo¬ tismus und der Unduldsamkeit erfüllt hat, und so wird das Land kaum einer neuen Aufrichtung des Absolutismus entgehen. Katholiken können keine Re¬ publikaner sein, weil die römische Religion die Völker nicht innerlich frei werden läßt, sie nicht duldsam macht, sie nicht vorbereitet, sich selbst zu regieren. Bei den katholischen Völkern steht die Duldung bisweilen in den Ge¬ setzen, nie aber lebt sie bei ihnen in den Sitten. Wehe dem, welcher von der Gewissensfreiheit Gebrauch machen will und den Eingebungen des seinigen zu gehorchen beschließt. Er wird von den Gleichgültigen mehr verspottet als von den Gläubigen. Die Ungläubigen finden es bequemer, den Priester aus¬ zulachen oder anzugreifen, was sie nicht abhält, sich in allen wichtigen Lagen des Lebens vor ihm zu beugen. Indem sie das Joch der Orthodoxie dulden, über das sie sich lustig machen, und dem sie sich doch unterwerfen, erlauben sie nicht, daß andere, die es zu schwer finden, sich ihm offen entziehen. Durch Einschüchterung und Verspottung drängt sich die Uniformität auf, und die Freiheit ist nur ein leerer Schall." Alle modernen Völker bestreben sich, die constitutionelle Regierung einzu¬ führen. Aber dieselbe scheint sich in den katholischen Ländern nicht auf die Dauer halten zu können, und zwar deshalb nicht, weil das Staatsoberhaupt, König oder Präsident, wenn er der Kirche ergeben ist, kein verfassungsmäßiger Herrscher sein kann. Er wird dann von seinem Beichtvater gelenkt werden, der seinerseits wieder dem Papste gehorcht. Vermittelst des Beichtstuhls wird also der Papst in den wichtigsten Angelegenheiten der eigentliche Souverain sein, das heißt, wenn dieser nicht wieder von den Jesuiten beherrscht ist. Die Rechte, welche die Verfassung dem Inhaber der vollziehenden Gewalt einräumt, werden dann von einer auswärtigen Macht und zum Schaden des Landes ausgeübt. Die Geschichte ist voll von Beispielen hiervon. Zu gehorsam ge¬ gen seinen Beichtvater, widerruft Ludwig der Vierzehnte das Edict von Nantes, verliert Jacob der Zweite von England seine Krone, stirbt Ludwig der Sech¬ zehnte aus dem Schaffst, ruinirt Ferdinand von Oesterreich durch Verfolgung der Protestanten seine Staaten, bereitet Sigismund von Polen die Theilung dieses Landes durch Begünstigung der Jesuiten vor, muß Karl der Zehnte vom Throne Frankreichs ins Exil gehen. Unter einem frommen, gut katho¬ lischen, seine Pflicht als Beichtkind gehörig erfüllenden Souverain ist die ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/98>, abgerufen am 22.07.2024.