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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Dies war eine leichte Construction bei quadratischer Grundform, aber sie wurde
schwer, sobald ein Rechteck und fast unmöglich, sobald eine unregelmäßige
Grundform zu überwölben war. Sobald man aber den runden Bogen brach
und das Gewölbe in lauter sphärische Dreiecke zerlegte, gab's keine Schwierig¬
keiten mehr. In letzterem Falle zeichnet sich das Gewölbe an der Seiten-
Wand als Spitzbogen ab. In ein solches Feld setzte man zwar anfänglich
noch das rundbogige Fenster, aber die einfache Consequenz mußte dahin drän¬
gen auch die Fenster und Thürgebälke spitzbogig zu brechen. Dies ist die
Entstehung des Gothischen Styles. Die Meister Nordfrankreichs finden's
zuerst, andere machen's nach, und am Ende tritt der neue Styl mit der Herrsch¬
sucht einer neuen Mode auf. Man ist im Mittelalter von sehr moderner
Neigung, vielmehr wie wir, die wir auch einen vergangenen Geschmack zu
würdigen wissen. Darum wird ein angefangenes Gebäude nie nach dem alten
Plane vollendet, der neue Geschmack drängt sich dem Alten unvermittelt auf.
Wünscht man eine Kirche älterer Form zu erweitern, so lehnt sich an die
Westseite des älteren Baues unvermittelt der neue mit seinen spitzen Bogen
oder reicheren Ornamenten oder gestreckteren Wölbungen. Oder es schiebt sich
durch die schlichten romanischen Thürme der hohe Chor mit seinem zierlichen
Maßwerk und weit durchbrochenen Wänden hindurch. So baut jedes Jahr¬
hundert, ja jedes Jahrzent ohne Rücksicht auf das vorhergehende, was denn
sur Folge hat, daß diejenigen unserer Dome, die eine lange Bauzeit gehabt
haben, verkörperte Geschichten der Architektur darstellen. Dies ist dem Kenner
Zwar interessant aber für den Gesammteindruck ziemlich störend. Nachdem
aber im sechszehnten Jahrhundert der römisch-italienische Styl nach Deutsch¬
land importirt wurde, machte er der deutschen Tradition um so schneller den
Garaus, als er sowohl den Geschmack als auch die Bauhütten in Auflösung
begriffen vorfand.

Vielleicht trägt es zum Verständnisse für diese Erscheinungen und zur
Vermehrung des Interesses an denselben bei, wenn ich versuche, wie bei der
Malerei so auch bei der Baukunst aus quellenmäßigen Einzelheiten ein
^lib zu skizziren, welches uns zeigt, wie denn eigentlich gebaut wurde, mit
welchen Mitteln, welcher Technik, welchen Löhnen und welcher zunftmäßigen
Ordnung der Werkleute. Wir halten uns hierbei meist an kirchliche Bau¬
denkmäler, welche bedeutender und bekannter sind als Profanbauten', und
über die wir auch besser unterrichtet werden.

Es ist natürlich, daß wir an kirchlichen Metropolen auch die schönsten
und imposantesten Baudenkmäler finden. Es ist natürlich, daß jene Kirchen-
fürsten mit ihren reicheren Mitteln und größeren Bezirken, welche zum Bau



") Grenzboten 1878 III. 321 s, IV. Jen. f. 1874 I. 8l. 137.

Dies war eine leichte Construction bei quadratischer Grundform, aber sie wurde
schwer, sobald ein Rechteck und fast unmöglich, sobald eine unregelmäßige
Grundform zu überwölben war. Sobald man aber den runden Bogen brach
und das Gewölbe in lauter sphärische Dreiecke zerlegte, gab's keine Schwierig¬
keiten mehr. In letzterem Falle zeichnet sich das Gewölbe an der Seiten-
Wand als Spitzbogen ab. In ein solches Feld setzte man zwar anfänglich
noch das rundbogige Fenster, aber die einfache Consequenz mußte dahin drän¬
gen auch die Fenster und Thürgebälke spitzbogig zu brechen. Dies ist die
Entstehung des Gothischen Styles. Die Meister Nordfrankreichs finden's
zuerst, andere machen's nach, und am Ende tritt der neue Styl mit der Herrsch¬
sucht einer neuen Mode auf. Man ist im Mittelalter von sehr moderner
Neigung, vielmehr wie wir, die wir auch einen vergangenen Geschmack zu
würdigen wissen. Darum wird ein angefangenes Gebäude nie nach dem alten
Plane vollendet, der neue Geschmack drängt sich dem Alten unvermittelt auf.
Wünscht man eine Kirche älterer Form zu erweitern, so lehnt sich an die
Westseite des älteren Baues unvermittelt der neue mit seinen spitzen Bogen
oder reicheren Ornamenten oder gestreckteren Wölbungen. Oder es schiebt sich
durch die schlichten romanischen Thürme der hohe Chor mit seinem zierlichen
Maßwerk und weit durchbrochenen Wänden hindurch. So baut jedes Jahr¬
hundert, ja jedes Jahrzent ohne Rücksicht auf das vorhergehende, was denn
sur Folge hat, daß diejenigen unserer Dome, die eine lange Bauzeit gehabt
haben, verkörperte Geschichten der Architektur darstellen. Dies ist dem Kenner
Zwar interessant aber für den Gesammteindruck ziemlich störend. Nachdem
aber im sechszehnten Jahrhundert der römisch-italienische Styl nach Deutsch¬
land importirt wurde, machte er der deutschen Tradition um so schneller den
Garaus, als er sowohl den Geschmack als auch die Bauhütten in Auflösung
begriffen vorfand.

Vielleicht trägt es zum Verständnisse für diese Erscheinungen und zur
Vermehrung des Interesses an denselben bei, wenn ich versuche, wie bei der
Malerei so auch bei der Baukunst aus quellenmäßigen Einzelheiten ein
^lib zu skizziren, welches uns zeigt, wie denn eigentlich gebaut wurde, mit
welchen Mitteln, welcher Technik, welchen Löhnen und welcher zunftmäßigen
Ordnung der Werkleute. Wir halten uns hierbei meist an kirchliche Bau¬
denkmäler, welche bedeutender und bekannter sind als Profanbauten', und
über die wir auch besser unterrichtet werden.

Es ist natürlich, daß wir an kirchlichen Metropolen auch die schönsten
und imposantesten Baudenkmäler finden. Es ist natürlich, daß jene Kirchen-
fürsten mit ihren reicheren Mitteln und größeren Bezirken, welche zum Bau



") Grenzboten 1878 III. 321 s, IV. Jen. f. 1874 I. 8l. 137.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/87>, abgerufen am 22.07.2024.