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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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zieht diese in Böhmen einschneidende schlesische Ecke mancherlei seltsame Eigen¬
thümlichkeiten nach sich. Auf dem rechten Jsergestade wird der Lauf von Zeit
und Welt aus den Prager und Reichenberger Blättern studirt, jenseit des
Wassers, keinen Steinwurf davon, sind es Hirschberger und Görlitzer Zeitungen,
nach denen man der Tagesgeschichte folgt und seine Anschauungen modelt; hier
herrscht die singende schlesische Mundart mit entschieden norddeutschen Aus¬
drucksformen, dort das kurz abgestoßn? Deutschböhmisch mit Wiener Wort¬
bildungen und Redewendungen. Am übelsten fährt bei diesen Grenzwunderlich¬
keiten der preußische Postbote. Von dem volle drei Stunden entfernten
Schreibersau aus, dem nächsten deutschen Neichspostamte, muß er Sommer
und Winter, Tag für Tag, die an den steilen Berghalden der linken Flu߬
seite hängenden Häuser und Einzelhöfe belaufen, die der österreichische Brief¬
träger -- augenblicklich ist's eine Briefträgerin -- von drüben in wenigen
Minuten mit versorgen könnte. Und mit dem bedauernswerthen Postboten
leidet selbstverständlich das auf seine Marschfähigkeit angewiesene Publicum.

Die Grafen Schaffgotsch und Harrach sind die beiden bedeutendsten
Glasproducenten des Gebirges, soweit die Fabrikation am Luxushohlglas in
Frage kommt. Die Werke in Neuwelt bestehen schon mehr denn fünfzig Jahre;
von dahaben böhmische Glasmacher die Industrie nach den benachbarten Thä¬
lern und Höhen, Wäldern und Gründen am Schreibersau verpflanzt, wo, auf
dem Boden ihrer freien Standesherrschaft Hermsdorf unter dem Kynast, die
Reichsgrafen von Schaffgotsch ihre Josephinenhütte anlegten, jenes Lieb-
lingsausflugsziel aller Touristen und Sommerfrischler im Hirschberger Thale.
Mittlerweile hat sich die Mutter von der Tochter weit überflügeln lassen; die
Neuweiler Produktion ist sowol quantitativ als namentlich qualitativ er¬
heblich hinter den Erzeugnissen der Josephinenhütte zurück geblieben , die zur
Zeit als die vorzüglichsten ihrer Art gelten. Daß dieser Ruf ein wohl be¬
gründeter ist, davon wird sich Jeder überzeugen, der die Magazine des Schaff-
got'schen Etablissements in Augenschein nimmt; die dort ausgestellten großen
Basen, manchmal wol von Künstlerhand bemalt, die reich vergoldeten Scha¬
len, und die mannigfaltigen Trinkgefäße der verschiedensten Gattung und in
den verschiedensten Farben gewähren in der That einen herrlichen Anblick,
glänzen jedoch nicht minder durch die Höhe ihrer Preise. Die geschäftsstille
Zeit lastet indeß mit schwerer Hand auch auf den Schaffgot'schen und
Harrach'schen Glashütten; in beiden brennt momentan nur ein Theil ihrer
sonst'im Gange befindlichen Oefen, und manchen Tag glüht hier und dort wohl
gar kein Feuer.

Neuwelt wie Josephinenhütte liefert die Waaren fix und fertig zum Ge-
rauche. Neben ihnen aber sitzt das angrenzende Gebirge voll größerer und
kleinerer Raffineure, d. h. Zwischenfabrikanten, welche das rohe Glas aus den


zieht diese in Böhmen einschneidende schlesische Ecke mancherlei seltsame Eigen¬
thümlichkeiten nach sich. Auf dem rechten Jsergestade wird der Lauf von Zeit
und Welt aus den Prager und Reichenberger Blättern studirt, jenseit des
Wassers, keinen Steinwurf davon, sind es Hirschberger und Görlitzer Zeitungen,
nach denen man der Tagesgeschichte folgt und seine Anschauungen modelt; hier
herrscht die singende schlesische Mundart mit entschieden norddeutschen Aus¬
drucksformen, dort das kurz abgestoßn? Deutschböhmisch mit Wiener Wort¬
bildungen und Redewendungen. Am übelsten fährt bei diesen Grenzwunderlich¬
keiten der preußische Postbote. Von dem volle drei Stunden entfernten
Schreibersau aus, dem nächsten deutschen Neichspostamte, muß er Sommer
und Winter, Tag für Tag, die an den steilen Berghalden der linken Flu߬
seite hängenden Häuser und Einzelhöfe belaufen, die der österreichische Brief¬
träger — augenblicklich ist's eine Briefträgerin — von drüben in wenigen
Minuten mit versorgen könnte. Und mit dem bedauernswerthen Postboten
leidet selbstverständlich das auf seine Marschfähigkeit angewiesene Publicum.

Die Grafen Schaffgotsch und Harrach sind die beiden bedeutendsten
Glasproducenten des Gebirges, soweit die Fabrikation am Luxushohlglas in
Frage kommt. Die Werke in Neuwelt bestehen schon mehr denn fünfzig Jahre;
von dahaben böhmische Glasmacher die Industrie nach den benachbarten Thä¬
lern und Höhen, Wäldern und Gründen am Schreibersau verpflanzt, wo, auf
dem Boden ihrer freien Standesherrschaft Hermsdorf unter dem Kynast, die
Reichsgrafen von Schaffgotsch ihre Josephinenhütte anlegten, jenes Lieb-
lingsausflugsziel aller Touristen und Sommerfrischler im Hirschberger Thale.
Mittlerweile hat sich die Mutter von der Tochter weit überflügeln lassen; die
Neuweiler Produktion ist sowol quantitativ als namentlich qualitativ er¬
heblich hinter den Erzeugnissen der Josephinenhütte zurück geblieben , die zur
Zeit als die vorzüglichsten ihrer Art gelten. Daß dieser Ruf ein wohl be¬
gründeter ist, davon wird sich Jeder überzeugen, der die Magazine des Schaff-
got'schen Etablissements in Augenschein nimmt; die dort ausgestellten großen
Basen, manchmal wol von Künstlerhand bemalt, die reich vergoldeten Scha¬
len, und die mannigfaltigen Trinkgefäße der verschiedensten Gattung und in
den verschiedensten Farben gewähren in der That einen herrlichen Anblick,
glänzen jedoch nicht minder durch die Höhe ihrer Preise. Die geschäftsstille
Zeit lastet indeß mit schwerer Hand auch auf den Schaffgot'schen und
Harrach'schen Glashütten; in beiden brennt momentan nur ein Theil ihrer
sonst'im Gange befindlichen Oefen, und manchen Tag glüht hier und dort wohl
gar kein Feuer.

Neuwelt wie Josephinenhütte liefert die Waaren fix und fertig zum Ge-
rauche. Neben ihnen aber sitzt das angrenzende Gebirge voll größerer und
kleinerer Raffineure, d. h. Zwischenfabrikanten, welche das rohe Glas aus den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/82>, abgerufen am 22.07.2024.