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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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nicht irre, ein Neffe der vorm Jahre verstorbenen Fürstin Liegnitz -- zählt
zur böhmischen Feudalpartei, die im Verein mit der Geistlichkeit bekanntlich
das jetzige Tschechenthum groß gezogen hat und noch stützt, und hat in seinen
Beamten, Arbeitern, Pächtern u. s. w. ausschließlich Tschechen lautersten Wassers
in die ehedem rein deutschen Bezirke gesandt. Einer dieser eingewanderten
Slaven ist auch der Wirth der "gräflichen Schenke", wie das Gasthaus trotz
seiner Hotelprätensionen allgemein genannt wird, und ein fanatischer Deutschen¬
fresser dazu. Bei ihm spricht das ganze Tschechien aus näherem und ferne¬
rem Umkreise ein, und der Deutsche, den sein Weg zufällig in das Haus
führt, kommt, um einen treffenden Trivialausdruck zu gebrauchen, sich in
dieser fremden Atmosphäre vor "wie verrathen und verkauft". Müssen doch
sogar leblose Dinge dazu dienen, um, wenn gleich in läppischster Weise,
tschechisch zu demonstriren. So wird die Billardtafel der Gaststube von einem
mächtigen Löwen getragen, der gekrönt, und doppelschweifig, das Wappenthier
Böhmens vorstellen soll.

Wenn der Leser einen Blick auf die Karte wirft, so wird er bemerken,
daß sich im Nordosten des Landes ein Zipfel des preußischen Schlesiens gleich
einem Keil in den Rand Böhmens hineinschiebt; an der Spitze dieses Kens,
da, wo Jser- und Riesengebirge zusammenstoßen, beginnt das Gebiet, welches
wir durchwandern wollen. Eine halbe Stunde südlich von Neuwelt gelangt
Wan an den dem erstern der beiden Bergzüge seinen Namen leidenden Fluß ; er
scheidet sie von einander, die schmale Thalsohle fast ausfüllend, und bildet
^gleich die Grenze dreier umfänglicher Grundherrschaften. Vom linken Ufer
der Jser steigen die Wälder der Grafen Schaffgotsch und Harrach empor, am
rechten dehnen sich die Forsten des Fürsten Rohan aus, dessen prachtvolles
Schloß Sichrow bei Turnau, während der Kriegsrvochen von 1866 eine Zeit
lang Hauptquartier sowohl des Königs als des Prinzen Friedrich Carl von
Preußen war, es ist von einem der schönsten Gärten der Welt umgeben.

Der Graf Schaffgotsch ist der eigentliche Dynast des Riesengebirgs, die
ganze Nordseite desselben und nahezu das gesammte Jsergebirge gehören ihm;
^nein könnte ihn als den heutigen Rübezahl bezeichnen; jedenfalls ist er einer
der Wald- und Bergkönige Deutschlands. Seine Besitzungen sind es, die sich
^'ilartig ins Böhmerland hinein zwängen, ein mit dichten Fichtenholzungen
bedecktes Terrain, voller versteckter Pfade und schwer zugänglicher Schlupf¬
winkel , welches dem in früheren Tagen schwunghaft betriebenen Schmuggler¬
gewerbe fördersam zu statten kann. Jetzt ist die Pascherei nur noch ein kleines
Geschäft, das nicht viel abwirft, höchstens geht man über die Brücke nach
Preußen hinüber, sich feinen Wirthschaftsbedarf an Salz zu holen, wie um¬
gekehrt ab und zu wohl eine Taglast böhmischen Flachs- oder Baumwollge-
spinnstes einem schlesischen Weber unverzollt ins Haus wandert. Sonst aber


nicht irre, ein Neffe der vorm Jahre verstorbenen Fürstin Liegnitz — zählt
zur böhmischen Feudalpartei, die im Verein mit der Geistlichkeit bekanntlich
das jetzige Tschechenthum groß gezogen hat und noch stützt, und hat in seinen
Beamten, Arbeitern, Pächtern u. s. w. ausschließlich Tschechen lautersten Wassers
in die ehedem rein deutschen Bezirke gesandt. Einer dieser eingewanderten
Slaven ist auch der Wirth der „gräflichen Schenke", wie das Gasthaus trotz
seiner Hotelprätensionen allgemein genannt wird, und ein fanatischer Deutschen¬
fresser dazu. Bei ihm spricht das ganze Tschechien aus näherem und ferne¬
rem Umkreise ein, und der Deutsche, den sein Weg zufällig in das Haus
führt, kommt, um einen treffenden Trivialausdruck zu gebrauchen, sich in
dieser fremden Atmosphäre vor „wie verrathen und verkauft". Müssen doch
sogar leblose Dinge dazu dienen, um, wenn gleich in läppischster Weise,
tschechisch zu demonstriren. So wird die Billardtafel der Gaststube von einem
mächtigen Löwen getragen, der gekrönt, und doppelschweifig, das Wappenthier
Böhmens vorstellen soll.

Wenn der Leser einen Blick auf die Karte wirft, so wird er bemerken,
daß sich im Nordosten des Landes ein Zipfel des preußischen Schlesiens gleich
einem Keil in den Rand Böhmens hineinschiebt; an der Spitze dieses Kens,
da, wo Jser- und Riesengebirge zusammenstoßen, beginnt das Gebiet, welches
wir durchwandern wollen. Eine halbe Stunde südlich von Neuwelt gelangt
Wan an den dem erstern der beiden Bergzüge seinen Namen leidenden Fluß ; er
scheidet sie von einander, die schmale Thalsohle fast ausfüllend, und bildet
^gleich die Grenze dreier umfänglicher Grundherrschaften. Vom linken Ufer
der Jser steigen die Wälder der Grafen Schaffgotsch und Harrach empor, am
rechten dehnen sich die Forsten des Fürsten Rohan aus, dessen prachtvolles
Schloß Sichrow bei Turnau, während der Kriegsrvochen von 1866 eine Zeit
lang Hauptquartier sowohl des Königs als des Prinzen Friedrich Carl von
Preußen war, es ist von einem der schönsten Gärten der Welt umgeben.

Der Graf Schaffgotsch ist der eigentliche Dynast des Riesengebirgs, die
ganze Nordseite desselben und nahezu das gesammte Jsergebirge gehören ihm;
^nein könnte ihn als den heutigen Rübezahl bezeichnen; jedenfalls ist er einer
der Wald- und Bergkönige Deutschlands. Seine Besitzungen sind es, die sich
^'ilartig ins Böhmerland hinein zwängen, ein mit dichten Fichtenholzungen
bedecktes Terrain, voller versteckter Pfade und schwer zugänglicher Schlupf¬
winkel , welches dem in früheren Tagen schwunghaft betriebenen Schmuggler¬
gewerbe fördersam zu statten kann. Jetzt ist die Pascherei nur noch ein kleines
Geschäft, das nicht viel abwirft, höchstens geht man über die Brücke nach
Preußen hinüber, sich feinen Wirthschaftsbedarf an Salz zu holen, wie um¬
gekehrt ab und zu wohl eine Taglast böhmischen Flachs- oder Baumwollge-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/81>, abgerufen am 22.07.2024.