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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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hängige protestantische Presse geflüchtet hatte, regnete es Spott- und Schmäh¬
gedichte auf die Fürsten, welche dem Kaiser zur Unterdrückung der Religion
die Hand boten. Am härtesten ward natürlich Kurfürst Moritz angegriffen.
Wir setzen aus einem im Tone des "armen Judas" gegen ihn und seine Räthe ge¬
sungenen Liede einige besonders kräftige Strophen hierher, in denen der Aus¬
druck sittlicher Entrüstung einen poetischen Schwung annimmt:


[Beginn Spaltensatz] Moritz, du rechter Judas,
Was hast du gethan?
Du bringst zu uns die Spanier.
Die schänden Frau und Mann;
Du bringst her die Maraner")
In unser Vaterland,
Dazu die Italiener;
Es ist dir ewig Schand.
Kyrieleison. Moritz, du armer Judas,
Wie hast du'S doch gemacht,
Daß du an des Kurfürsten
Wolthatcn nicht gedacht?
Hat er dir doch gegeben
Einst Kleider, Speis und Trank,
Er hielt dich als sein eigen Kind ;
So ist nun das der Dank.Kyriel. [Spaltenumbruch] Moritz bei allen Menschen
Hat alle Gunst verlor'n.
Hat über sich gehauset
Des großen Gottes Zorn.
Wie kann man für ihn beten?
Es thut's kein Biedermann,
So wenig man für Judas
Christus anrufen kann.Kyriel. Moritz, du großer Judas,
Du wollt'se nit haben Ruh,
Wollt'se gerne werden Kurfürst,
Du bist geschickt dazu:
Verrathen und verkaufen,
Das kannst du meisterlich;
Man wird dich wieder raufen,
Laß nit verlangen dich.Kyriel. [Ende Spaltensatz]

Noch heftiger flammte der Ingrimm der öffentlichen Meinung auf, als
die beiden Kurfürsten als Vollstrecker der kaiserlichen Acht sich mit Heeresmacht
vor Magdeburg legten, um dieses stärkste Bollwerk des Protestantismus zu
"rechen. Damals verbreitete sich auf dem Reichstage von 1350 in Augsburg
co neuer Spruch vom Herzog Moritz, von dem man nicht wußte, woher er
kam. ^ enthielt in seltsam durchgereimter Form, eine fingirte Beichte und
reumüthiges Bekenntniß dieses Fürsten. in welchem er sich selbst einen Schelm
und Verräther an seinem väterlichen Oheim und am allerheiligsten Glauben
nannte und zum Schluß erklärte, er verdiene eigentlich dafür vom Teufel ge¬
holt zu werden.

Und doch stand Moritz schon damals im Begriff vom Kaiser abzufallen.
Er hatte erreicht und auch nicht erreicht, was er wollte. Was half es ihm
jetzt, daß er Kurfürst geworden, wenn der Kaiser Alleinherrscher sein wollte?
Die persönliche Beleidigung, die für ihn in der fortdauernden Gefangenhal-
^



*)^auren?
Grenzboten IV. 1875.

hängige protestantische Presse geflüchtet hatte, regnete es Spott- und Schmäh¬
gedichte auf die Fürsten, welche dem Kaiser zur Unterdrückung der Religion
die Hand boten. Am härtesten ward natürlich Kurfürst Moritz angegriffen.
Wir setzen aus einem im Tone des „armen Judas" gegen ihn und seine Räthe ge¬
sungenen Liede einige besonders kräftige Strophen hierher, in denen der Aus¬
druck sittlicher Entrüstung einen poetischen Schwung annimmt:


[Beginn Spaltensatz] Moritz, du rechter Judas,
Was hast du gethan?
Du bringst zu uns die Spanier.
Die schänden Frau und Mann;
Du bringst her die Maraner")
In unser Vaterland,
Dazu die Italiener;
Es ist dir ewig Schand.
Kyrieleison. Moritz, du armer Judas,
Wie hast du'S doch gemacht,
Daß du an des Kurfürsten
Wolthatcn nicht gedacht?
Hat er dir doch gegeben
Einst Kleider, Speis und Trank,
Er hielt dich als sein eigen Kind ;
So ist nun das der Dank.Kyriel. [Spaltenumbruch] Moritz bei allen Menschen
Hat alle Gunst verlor'n.
Hat über sich gehauset
Des großen Gottes Zorn.
Wie kann man für ihn beten?
Es thut's kein Biedermann,
So wenig man für Judas
Christus anrufen kann.Kyriel. Moritz, du großer Judas,
Du wollt'se nit haben Ruh,
Wollt'se gerne werden Kurfürst,
Du bist geschickt dazu:
Verrathen und verkaufen,
Das kannst du meisterlich;
Man wird dich wieder raufen,
Laß nit verlangen dich.Kyriel. [Ende Spaltensatz]

Noch heftiger flammte der Ingrimm der öffentlichen Meinung auf, als
die beiden Kurfürsten als Vollstrecker der kaiserlichen Acht sich mit Heeresmacht
vor Magdeburg legten, um dieses stärkste Bollwerk des Protestantismus zu
«rechen. Damals verbreitete sich auf dem Reichstage von 1350 in Augsburg
co neuer Spruch vom Herzog Moritz, von dem man nicht wußte, woher er
kam. ^ enthielt in seltsam durchgereimter Form, eine fingirte Beichte und
reumüthiges Bekenntniß dieses Fürsten. in welchem er sich selbst einen Schelm
und Verräther an seinem väterlichen Oheim und am allerheiligsten Glauben
nannte und zum Schluß erklärte, er verdiene eigentlich dafür vom Teufel ge¬
holt zu werden.

Und doch stand Moritz schon damals im Begriff vom Kaiser abzufallen.
Er hatte erreicht und auch nicht erreicht, was er wollte. Was half es ihm
jetzt, daß er Kurfürst geworden, wenn der Kaiser Alleinherrscher sein wollte?
Die persönliche Beleidigung, die für ihn in der fortdauernden Gefangenhal-
^



*)^auren?
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[0069] hängige protestantische Presse geflüchtet hatte, regnete es Spott- und Schmäh¬ gedichte auf die Fürsten, welche dem Kaiser zur Unterdrückung der Religion die Hand boten. Am härtesten ward natürlich Kurfürst Moritz angegriffen. Wir setzen aus einem im Tone des „armen Judas" gegen ihn und seine Räthe ge¬ sungenen Liede einige besonders kräftige Strophen hierher, in denen der Aus¬ druck sittlicher Entrüstung einen poetischen Schwung annimmt: Moritz, du rechter Judas, Was hast du gethan? Du bringst zu uns die Spanier. Die schänden Frau und Mann; Du bringst her die Maraner") In unser Vaterland, Dazu die Italiener; Es ist dir ewig Schand. Kyrieleison. Moritz, du armer Judas, Wie hast du'S doch gemacht, Daß du an des Kurfürsten Wolthatcn nicht gedacht? Hat er dir doch gegeben Einst Kleider, Speis und Trank, Er hielt dich als sein eigen Kind ; So ist nun das der Dank.Kyriel. Moritz bei allen Menschen Hat alle Gunst verlor'n. Hat über sich gehauset Des großen Gottes Zorn. Wie kann man für ihn beten? Es thut's kein Biedermann, So wenig man für Judas Christus anrufen kann.Kyriel. Moritz, du großer Judas, Du wollt'se nit haben Ruh, Wollt'se gerne werden Kurfürst, Du bist geschickt dazu: Verrathen und verkaufen, Das kannst du meisterlich; Man wird dich wieder raufen, Laß nit verlangen dich.Kyriel. Noch heftiger flammte der Ingrimm der öffentlichen Meinung auf, als die beiden Kurfürsten als Vollstrecker der kaiserlichen Acht sich mit Heeresmacht vor Magdeburg legten, um dieses stärkste Bollwerk des Protestantismus zu «rechen. Damals verbreitete sich auf dem Reichstage von 1350 in Augsburg co neuer Spruch vom Herzog Moritz, von dem man nicht wußte, woher er kam. ^ enthielt in seltsam durchgereimter Form, eine fingirte Beichte und reumüthiges Bekenntniß dieses Fürsten. in welchem er sich selbst einen Schelm und Verräther an seinem väterlichen Oheim und am allerheiligsten Glauben nannte und zum Schluß erklärte, er verdiene eigentlich dafür vom Teufel ge¬ holt zu werden. Und doch stand Moritz schon damals im Begriff vom Kaiser abzufallen. Er hatte erreicht und auch nicht erreicht, was er wollte. Was half es ihm jetzt, daß er Kurfürst geworden, wenn der Kaiser Alleinherrscher sein wollte? Die persönliche Beleidigung, die für ihn in der fortdauernden Gefangenhal- ^ *)^auren? Grenzboten IV. 1875.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/69>, abgerufen am 22.07.2024.