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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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passen. "Gott setzt seine Könige als Diener ein und herrscht durch sie über
die Völker." -- "Die Macht des Königs ist unbeschränkt." -- "Der Fürst
braucht von dem, was er befiehlt, niemandem Negenschaft zu geben." --
"Man muß den Fürsten wie der Gerechtigkeit selb se gehorchen.
Sie sind Götter und in gewissem Maaße der göttlichen Unab¬
hängigkeit theilhaftig." -- "Die Unterthanen haben einem gewalt¬
thätigen Verfahren der Fürsten nur ehrfurchtsvolle Vorstellungen entgegen
zu setzen ohne Meuterei und ohne Murren." So muß logischerweise in einem
katholischen Lande die Regierung despotisch sein. weil sie in der Kirche despo¬
tisch ist, die als Typus dient; dann weil die Fürsten hier ihre Gewalt direct
von Gott oder dem Papste haben und diese Gewalt keine Schranke haben
und keiner Controle unterworfen sein darf.

Die Reformation dagegen gebar, indem sie eine Rückkehr zum Urchristen-
thum war. überall den Geist der Freiheit und des Widerstandes gegen den
Absolutismus. Sie ließ republikanische und konstitutionelle Einrichtungen
entstehen. Der Protestant erkannte in Religionsscichen nur eine Autorität
an. die Bibel. Er beugte sich nicht wie der Katholik vor der Autorität eines
Menschen, er prüfte und erörterte selbst, was ihm gelehrt wurde. Nachdem
die Calvinisten und Presbytenaner der Kirche eine republikanische Einrichtung
gegeben hatten, übertrug der Protestant in logischer Folge dieselben Grund¬
sätze und Gewohnheiten auf die bürgerliche Gesellschaft. Die Anklage. diL
Lamennais gegen die Reformation richtet, ist vollkommen wahr. "Man
hatte die Gewalt", so sagt er, "in der religiösen Gesellschaft verneint, man
hätte sie nothwendigerweise auch in der politischen Gesellschaft verneinen und
in der einen wie in der andern an die Stelle der Vernunft und des Willens
Gottes die Vernunft und den Willen des einzelnen Menschen setzen sollen;
jeder mußte, jetzt nur von sich selbst abhängend, sich voller Freiheit erfreuen,
sein eigner Herr, sein König, sein Gott sein." Ebenso sagt Montesquieu:
"Die katholische Religion paßt sich mehr für eine Monarchie, der Protestan¬
tismus bequemt sich besser einer Republik an." Luther und Calvin predigen
den Widerstand gegen die Tyrannei nicht, sie verdammen ihn vielmehr und
sprechen den Gehorsam heilig. Sie gestehen selbst die volle Gewissensfreiheit
nicht zu. Trotzdem aber geht das Prinzip der politischen und religiösen Frei¬
heit mit logischer Nothwendigkeit aus der Reformation hervor. Der Beweis
ist. daß sie überall diese Frucht getragen hat. Die reformirten Schriftsteller
waren in der Folge Vertheidiger der Volksrechte, und wo die Protestanten
rriumphirten, gestaltete sich die bürgerliche Gesellschaft nach freisinnigen
Grundsätzen.

"Die Reformatoren", sagt ein venetianischer Gesandter am französischen
Hofe im sechzehnten Jahrhundert, "predigen, daß der König keine Autorität


passen. „Gott setzt seine Könige als Diener ein und herrscht durch sie über
die Völker." — „Die Macht des Königs ist unbeschränkt." — „Der Fürst
braucht von dem, was er befiehlt, niemandem Negenschaft zu geben." —
„Man muß den Fürsten wie der Gerechtigkeit selb se gehorchen.
Sie sind Götter und in gewissem Maaße der göttlichen Unab¬
hängigkeit theilhaftig." — „Die Unterthanen haben einem gewalt¬
thätigen Verfahren der Fürsten nur ehrfurchtsvolle Vorstellungen entgegen
zu setzen ohne Meuterei und ohne Murren." So muß logischerweise in einem
katholischen Lande die Regierung despotisch sein. weil sie in der Kirche despo¬
tisch ist, die als Typus dient; dann weil die Fürsten hier ihre Gewalt direct
von Gott oder dem Papste haben und diese Gewalt keine Schranke haben
und keiner Controle unterworfen sein darf.

Die Reformation dagegen gebar, indem sie eine Rückkehr zum Urchristen-
thum war. überall den Geist der Freiheit und des Widerstandes gegen den
Absolutismus. Sie ließ republikanische und konstitutionelle Einrichtungen
entstehen. Der Protestant erkannte in Religionsscichen nur eine Autorität
an. die Bibel. Er beugte sich nicht wie der Katholik vor der Autorität eines
Menschen, er prüfte und erörterte selbst, was ihm gelehrt wurde. Nachdem
die Calvinisten und Presbytenaner der Kirche eine republikanische Einrichtung
gegeben hatten, übertrug der Protestant in logischer Folge dieselben Grund¬
sätze und Gewohnheiten auf die bürgerliche Gesellschaft. Die Anklage. diL
Lamennais gegen die Reformation richtet, ist vollkommen wahr. „Man
hatte die Gewalt", so sagt er, „in der religiösen Gesellschaft verneint, man
hätte sie nothwendigerweise auch in der politischen Gesellschaft verneinen und
in der einen wie in der andern an die Stelle der Vernunft und des Willens
Gottes die Vernunft und den Willen des einzelnen Menschen setzen sollen;
jeder mußte, jetzt nur von sich selbst abhängend, sich voller Freiheit erfreuen,
sein eigner Herr, sein König, sein Gott sein." Ebenso sagt Montesquieu:
„Die katholische Religion paßt sich mehr für eine Monarchie, der Protestan¬
tismus bequemt sich besser einer Republik an." Luther und Calvin predigen
den Widerstand gegen die Tyrannei nicht, sie verdammen ihn vielmehr und
sprechen den Gehorsam heilig. Sie gestehen selbst die volle Gewissensfreiheit
nicht zu. Trotzdem aber geht das Prinzip der politischen und religiösen Frei¬
heit mit logischer Nothwendigkeit aus der Reformation hervor. Der Beweis
ist. daß sie überall diese Frucht getragen hat. Die reformirten Schriftsteller
waren in der Folge Vertheidiger der Volksrechte, und wo die Protestanten
rriumphirten, gestaltete sich die bürgerliche Gesellschaft nach freisinnigen
Grundsätzen.

„Die Reformatoren", sagt ein venetianischer Gesandter am französischen
Hofe im sechzehnten Jahrhundert, „predigen, daß der König keine Autorität


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/56>, abgerufen am 22.07.2024.