Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bildet zu haben schienen. Es ist nur die Rede davon, den Mörder eines
Deutschen, den die ausländische Justiz nicht bestrafen wollte oder konnte, für
dessen Verbrechen eine völkerrechtliche Sühne zu erlangen nicht möglich war, an
der Frechheit zu hindern, daß er nach Deutschland kommt und etwa die Ange¬
hörigen seines Opfers durch gemüthliche Höflichkeit belästigt. -- Eine spätere
Zeit wird diese Sitzung vom 14. Dezember als eine merkwürdige aus¬
zeichnen, in welcher eine Handhabe für den Schutz des deutschen Staatsbürgers
im Auslande, welche der größte Staatsmann seiner Zeit vom deutschen Reichs-
tag forderte, von diesem abgelehnt ward. Und warum abgelehnt? Aus
juristischer Weisheit und Gewissenhaftigkeit. Der Reichskanzler hatte gesagt,
die Schutzlosigkeit der Deutschen im Auslande gegen Verbrechen sei gegen die
nationale Würde. Herr Dr. Hänel sagte: man könne dies zugeben, aber
das Gefühl der Würde dürfe nicht mit dem Gerechtigkeitsgefühl collidiren.
Ist das nicht echt deutsch? Jedes Parlament der Welt würde einstimmig
beschließen: wenn die nationale Würde mit der Gerechtigkeit collidirt, so hole
die Gerechtigkeit, wer will! Aber wir sind in einem deutschen Reichstag,
da geht es in einigen Dingen anders zu. als in der ganzen übrigen Welt.
Aber diese Juristen, die die nationale Würde in den Wind schlagen für die
Gerechtigkeit, wie sie das nennen, für die Juristerei, wie verständige Leute
sagen, diese Juristen waren bei weitem nicht die schlimmsten. Es fand sich
auch eine Figur, allerdings vom Reichstag mit einstimmigem Gelächter und
nachher vom Abgeordneten Bamberger mit einem ernsthaften Proteste beehrt,
welche den Reichskanzler vor der Unmöglichkeit warnte, in Folge solcher
Strafgesetzparagraphen "dem ganzen großen Ausland diesseit und jenseit
des Oceans den Krieg erklären zu müssen". -- Die Paragraphen wurden ab¬
gelehnt. Darauf folgte die Ablehnung derjenigen Paragraphen, worin der
wenig glückliche Versuch gemacht war, den sogenannten beendeten Versuch zu
einem besonderen Vergehen zu machen. Ein Paragraph der Novelle, welche
die nicht criminell zu ahndenden Handlungen der Kinder zum Ausgangspunkt
Pädagogischer Schutzmaßregeln macht, wurde angenommen, dagegen der Para¬
graph, welcher an die Handlungen der Staatsanwaltschaft wegen begangener
That die Unterbrechung der Verjährung knüpft, abgelehnt. An die Reihe
kamen nun zwei von den sogenannten Kautschukparagraphen, von denen
der eine, § 85, der bisher strafbaren direkten Aufforderung zu einer straf¬
baren Handlung die indirekte Aufforderung hinzufügt, der zweite, § 110,
in gleicher Weise neben der direkten Aufforderung zum Ungehorsam gegen
Gesetze und obrigkeitliche Anordnungen die indirekte strafbar macht. Die
Paragraphen wurden beinahe einstimmig abgelehnt. Man sieht deutlich, daß
dieselben auf die socialdemokratische und ultramontane Agitation zielen wollten,
welche von der indirekten Aufforderung zum Ungehorsam den ausgiebigsten
Gr


wjboten IV. 187S, ^

bildet zu haben schienen. Es ist nur die Rede davon, den Mörder eines
Deutschen, den die ausländische Justiz nicht bestrafen wollte oder konnte, für
dessen Verbrechen eine völkerrechtliche Sühne zu erlangen nicht möglich war, an
der Frechheit zu hindern, daß er nach Deutschland kommt und etwa die Ange¬
hörigen seines Opfers durch gemüthliche Höflichkeit belästigt. — Eine spätere
Zeit wird diese Sitzung vom 14. Dezember als eine merkwürdige aus¬
zeichnen, in welcher eine Handhabe für den Schutz des deutschen Staatsbürgers
im Auslande, welche der größte Staatsmann seiner Zeit vom deutschen Reichs-
tag forderte, von diesem abgelehnt ward. Und warum abgelehnt? Aus
juristischer Weisheit und Gewissenhaftigkeit. Der Reichskanzler hatte gesagt,
die Schutzlosigkeit der Deutschen im Auslande gegen Verbrechen sei gegen die
nationale Würde. Herr Dr. Hänel sagte: man könne dies zugeben, aber
das Gefühl der Würde dürfe nicht mit dem Gerechtigkeitsgefühl collidiren.
Ist das nicht echt deutsch? Jedes Parlament der Welt würde einstimmig
beschließen: wenn die nationale Würde mit der Gerechtigkeit collidirt, so hole
die Gerechtigkeit, wer will! Aber wir sind in einem deutschen Reichstag,
da geht es in einigen Dingen anders zu. als in der ganzen übrigen Welt.
Aber diese Juristen, die die nationale Würde in den Wind schlagen für die
Gerechtigkeit, wie sie das nennen, für die Juristerei, wie verständige Leute
sagen, diese Juristen waren bei weitem nicht die schlimmsten. Es fand sich
auch eine Figur, allerdings vom Reichstag mit einstimmigem Gelächter und
nachher vom Abgeordneten Bamberger mit einem ernsthaften Proteste beehrt,
welche den Reichskanzler vor der Unmöglichkeit warnte, in Folge solcher
Strafgesetzparagraphen „dem ganzen großen Ausland diesseit und jenseit
des Oceans den Krieg erklären zu müssen". — Die Paragraphen wurden ab¬
gelehnt. Darauf folgte die Ablehnung derjenigen Paragraphen, worin der
wenig glückliche Versuch gemacht war, den sogenannten beendeten Versuch zu
einem besonderen Vergehen zu machen. Ein Paragraph der Novelle, welche
die nicht criminell zu ahndenden Handlungen der Kinder zum Ausgangspunkt
Pädagogischer Schutzmaßregeln macht, wurde angenommen, dagegen der Para¬
graph, welcher an die Handlungen der Staatsanwaltschaft wegen begangener
That die Unterbrechung der Verjährung knüpft, abgelehnt. An die Reihe
kamen nun zwei von den sogenannten Kautschukparagraphen, von denen
der eine, § 85, der bisher strafbaren direkten Aufforderung zu einer straf¬
baren Handlung die indirekte Aufforderung hinzufügt, der zweite, § 110,
in gleicher Weise neben der direkten Aufforderung zum Ungehorsam gegen
Gesetze und obrigkeitliche Anordnungen die indirekte strafbar macht. Die
Paragraphen wurden beinahe einstimmig abgelehnt. Man sieht deutlich, daß
dieselben auf die socialdemokratische und ultramontane Agitation zielen wollten,
welche von der indirekten Aufforderung zum Ungehorsam den ausgiebigsten
Gr


wjboten IV. 187S, ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0517" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134863"/>
          <p xml:id="ID_1569" prev="#ID_1568" next="#ID_1570"> bildet zu haben schienen. Es ist nur die Rede davon, den Mörder eines<lb/>
Deutschen, den die ausländische Justiz nicht bestrafen wollte oder konnte, für<lb/>
dessen Verbrechen eine völkerrechtliche Sühne zu erlangen nicht möglich war, an<lb/>
der Frechheit zu hindern, daß er nach Deutschland kommt und etwa die Ange¬<lb/>
hörigen seines Opfers durch gemüthliche Höflichkeit belästigt. &#x2014; Eine spätere<lb/>
Zeit wird diese Sitzung vom 14. Dezember als eine merkwürdige aus¬<lb/>
zeichnen, in welcher eine Handhabe für den Schutz des deutschen Staatsbürgers<lb/>
im Auslande, welche der größte Staatsmann seiner Zeit vom deutschen Reichs-<lb/>
tag forderte, von diesem abgelehnt ward. Und warum abgelehnt? Aus<lb/>
juristischer Weisheit und Gewissenhaftigkeit. Der Reichskanzler hatte gesagt,<lb/>
die Schutzlosigkeit der Deutschen im Auslande gegen Verbrechen sei gegen die<lb/>
nationale Würde. Herr Dr. Hänel sagte: man könne dies zugeben, aber<lb/>
das Gefühl der Würde dürfe nicht mit dem Gerechtigkeitsgefühl collidiren.<lb/>
Ist das nicht echt deutsch? Jedes Parlament der Welt würde einstimmig<lb/>
beschließen: wenn die nationale Würde mit der Gerechtigkeit collidirt, so hole<lb/>
die Gerechtigkeit, wer will! Aber wir sind in einem deutschen Reichstag,<lb/>
da geht es in einigen Dingen anders zu. als in der ganzen übrigen Welt.<lb/>
Aber diese Juristen, die die nationale Würde in den Wind schlagen für die<lb/>
Gerechtigkeit, wie sie das nennen, für die Juristerei, wie verständige Leute<lb/>
sagen, diese Juristen waren bei weitem nicht die schlimmsten. Es fand sich<lb/>
auch eine Figur, allerdings vom Reichstag mit einstimmigem Gelächter und<lb/>
nachher vom Abgeordneten Bamberger mit einem ernsthaften Proteste beehrt,<lb/>
welche den Reichskanzler vor der Unmöglichkeit warnte, in Folge solcher<lb/>
Strafgesetzparagraphen &#x201E;dem ganzen großen Ausland diesseit und jenseit<lb/>
des Oceans den Krieg erklären zu müssen". &#x2014; Die Paragraphen wurden ab¬<lb/>
gelehnt. Darauf folgte die Ablehnung derjenigen Paragraphen, worin der<lb/>
wenig glückliche Versuch gemacht war, den sogenannten beendeten Versuch zu<lb/>
einem besonderen Vergehen zu machen. Ein Paragraph der Novelle, welche<lb/>
die nicht criminell zu ahndenden Handlungen der Kinder zum Ausgangspunkt<lb/>
Pädagogischer Schutzmaßregeln macht, wurde angenommen, dagegen der Para¬<lb/>
graph, welcher an die Handlungen der Staatsanwaltschaft wegen begangener<lb/>
That die Unterbrechung der Verjährung knüpft, abgelehnt. An die Reihe<lb/>
kamen nun zwei von den sogenannten Kautschukparagraphen, von denen<lb/>
der eine, § 85, der bisher strafbaren direkten Aufforderung zu einer straf¬<lb/>
baren Handlung die indirekte Aufforderung hinzufügt, der zweite, § 110,<lb/>
in gleicher Weise neben der direkten Aufforderung zum Ungehorsam gegen<lb/>
Gesetze und obrigkeitliche Anordnungen die indirekte strafbar macht. Die<lb/>
Paragraphen wurden beinahe einstimmig abgelehnt. Man sieht deutlich, daß<lb/>
dieselben auf die socialdemokratische und ultramontane Agitation zielen wollten,<lb/>
welche von der indirekten Aufforderung zum Ungehorsam den ausgiebigsten<lb/>
Gr</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> wjboten IV. 187S, ^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0517] bildet zu haben schienen. Es ist nur die Rede davon, den Mörder eines Deutschen, den die ausländische Justiz nicht bestrafen wollte oder konnte, für dessen Verbrechen eine völkerrechtliche Sühne zu erlangen nicht möglich war, an der Frechheit zu hindern, daß er nach Deutschland kommt und etwa die Ange¬ hörigen seines Opfers durch gemüthliche Höflichkeit belästigt. — Eine spätere Zeit wird diese Sitzung vom 14. Dezember als eine merkwürdige aus¬ zeichnen, in welcher eine Handhabe für den Schutz des deutschen Staatsbürgers im Auslande, welche der größte Staatsmann seiner Zeit vom deutschen Reichs- tag forderte, von diesem abgelehnt ward. Und warum abgelehnt? Aus juristischer Weisheit und Gewissenhaftigkeit. Der Reichskanzler hatte gesagt, die Schutzlosigkeit der Deutschen im Auslande gegen Verbrechen sei gegen die nationale Würde. Herr Dr. Hänel sagte: man könne dies zugeben, aber das Gefühl der Würde dürfe nicht mit dem Gerechtigkeitsgefühl collidiren. Ist das nicht echt deutsch? Jedes Parlament der Welt würde einstimmig beschließen: wenn die nationale Würde mit der Gerechtigkeit collidirt, so hole die Gerechtigkeit, wer will! Aber wir sind in einem deutschen Reichstag, da geht es in einigen Dingen anders zu. als in der ganzen übrigen Welt. Aber diese Juristen, die die nationale Würde in den Wind schlagen für die Gerechtigkeit, wie sie das nennen, für die Juristerei, wie verständige Leute sagen, diese Juristen waren bei weitem nicht die schlimmsten. Es fand sich auch eine Figur, allerdings vom Reichstag mit einstimmigem Gelächter und nachher vom Abgeordneten Bamberger mit einem ernsthaften Proteste beehrt, welche den Reichskanzler vor der Unmöglichkeit warnte, in Folge solcher Strafgesetzparagraphen „dem ganzen großen Ausland diesseit und jenseit des Oceans den Krieg erklären zu müssen". — Die Paragraphen wurden ab¬ gelehnt. Darauf folgte die Ablehnung derjenigen Paragraphen, worin der wenig glückliche Versuch gemacht war, den sogenannten beendeten Versuch zu einem besonderen Vergehen zu machen. Ein Paragraph der Novelle, welche die nicht criminell zu ahndenden Handlungen der Kinder zum Ausgangspunkt Pädagogischer Schutzmaßregeln macht, wurde angenommen, dagegen der Para¬ graph, welcher an die Handlungen der Staatsanwaltschaft wegen begangener That die Unterbrechung der Verjährung knüpft, abgelehnt. An die Reihe kamen nun zwei von den sogenannten Kautschukparagraphen, von denen der eine, § 85, der bisher strafbaren direkten Aufforderung zu einer straf¬ baren Handlung die indirekte Aufforderung hinzufügt, der zweite, § 110, in gleicher Weise neben der direkten Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und obrigkeitliche Anordnungen die indirekte strafbar macht. Die Paragraphen wurden beinahe einstimmig abgelehnt. Man sieht deutlich, daß dieselben auf die socialdemokratische und ultramontane Agitation zielen wollten, welche von der indirekten Aufforderung zum Ungehorsam den ausgiebigsten Gr wjboten IV. 187S, ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/517
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/517>, abgerufen am 22.07.2024.