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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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der an wildromantischen Reizen reichen Bocche die Cattaro, der Crivoscie,
ihr armseliges, aber von hohem Selbstgefühle getragenes Dasein fristen.
Den Crivvsctaner und die ihm benachbarten Gesellen scheidet nur die Grenze,
nicht die eigene Art vom Montenegriner. Sie haben wie er den Typus des
Gebirgssohnes und wohl steht es in Frage, ob diese großen, sehnigen Ge¬
stalten gedeihen würden, wenn man sie von ihren Felsenbergen wegführte,
deren Anblick für den Wanderer etwas unendlich Beengendes hat. Vor
solcher Natur überkommt uns heimliches Grauen und fremd steht man einer
Volksart gegenüber, die in solcher Umgebung aufwächst und deren Luft ein¬
athmet. Drüben in der Herzegowina ist es nicht anders und wenn man dies¬
seits mit engster Sympathie den Kämpfen der Stammesgenossen jenseits der
Grenze folgt, so kann dies nicht Wunder nehmen.

Auch die Leute auf den Inseln geben der Bezeichnung nach ihrer Insel
den Vorzug und der Brazzciner weiß wohl vom Curpetaner oder Lissaner sich
zu scheiden. In den Städten der Inseln und längs der Küste italienisirte
sich die Bevölkerung, welche die Verbindung mit dem Westen nie ganz ver¬
loren hatte und nahm welsche Sprache und Sitte an. Aber daß auch hier
das Slaventhum tief eingedrungen ist, zeigt sich schon an dem Namen der
Familien. Es finden sich wenige von echt italienischem Klang, viele zeigen
den slavischen Stamm mit welscher Form und die überwiegendste Mehrzahl
ist slavisch geblieben. Die Städte konnten sich eben von der Berührung mit
dem Landvolke nicht abschließen; dieses zog immer wieder in deren Mauern
ein und erzeugte die Masse der Bevölkerung, deren aus vorslavischer Zeit
stammende Ueberreste zusammenschmelzen oder durch den steten Contact mit
zahlreichen slavischen Elementen sich in diesen letzteren verflüchtigen. Wohl
kam auch mancher Zuzug von Italien, aus den Ländern der Signoria, welche
darauf bedacht war, die Leitung der Municipien in sicheren Händen zu wissen,
aber dieser Zuzug war mehr der Qualität nach bedeutend. Durch denselben
ward die italienische Sitte in den mittleren und oberen Classen der Bevölkerung
erhalten und erweitert und da sie durch die Cultur in den Städten einen voll¬
kommen italienischen Anstrich bewahrte, und die Slaven durchaus keinen
Gegensatz bieten konnten, so erhielten diese durch lange Zeit gesponnenen
Verbindungen die Neigung zu italienischem Wesen in hohem Grade. Frei¬
lich ging man nicht so weit, diese Neigung auch zu einer politischen zu
machen. Dalmatien hatte erfahren, wie schwer italienische Herrschaft auf
demselben gelastet hatte und es konnte sich nicht einen Augenblick der Täu¬
schung hingeben, daß es jemals eine viel andere Rolle als zur Venetianer-
zeit spielen werde. Auch setzte schon die Eigenthümlichkett des ganzen Hinter¬
landes solchen Gedanken Schranken, die immer nur in den Köpfen unklarer
und von nationalen Tendenzen übermäßig beherrschten Individuen auftauchten.


der an wildromantischen Reizen reichen Bocche die Cattaro, der Crivoscie,
ihr armseliges, aber von hohem Selbstgefühle getragenes Dasein fristen.
Den Crivvsctaner und die ihm benachbarten Gesellen scheidet nur die Grenze,
nicht die eigene Art vom Montenegriner. Sie haben wie er den Typus des
Gebirgssohnes und wohl steht es in Frage, ob diese großen, sehnigen Ge¬
stalten gedeihen würden, wenn man sie von ihren Felsenbergen wegführte,
deren Anblick für den Wanderer etwas unendlich Beengendes hat. Vor
solcher Natur überkommt uns heimliches Grauen und fremd steht man einer
Volksart gegenüber, die in solcher Umgebung aufwächst und deren Luft ein¬
athmet. Drüben in der Herzegowina ist es nicht anders und wenn man dies¬
seits mit engster Sympathie den Kämpfen der Stammesgenossen jenseits der
Grenze folgt, so kann dies nicht Wunder nehmen.

Auch die Leute auf den Inseln geben der Bezeichnung nach ihrer Insel
den Vorzug und der Brazzciner weiß wohl vom Curpetaner oder Lissaner sich
zu scheiden. In den Städten der Inseln und längs der Küste italienisirte
sich die Bevölkerung, welche die Verbindung mit dem Westen nie ganz ver¬
loren hatte und nahm welsche Sprache und Sitte an. Aber daß auch hier
das Slaventhum tief eingedrungen ist, zeigt sich schon an dem Namen der
Familien. Es finden sich wenige von echt italienischem Klang, viele zeigen
den slavischen Stamm mit welscher Form und die überwiegendste Mehrzahl
ist slavisch geblieben. Die Städte konnten sich eben von der Berührung mit
dem Landvolke nicht abschließen; dieses zog immer wieder in deren Mauern
ein und erzeugte die Masse der Bevölkerung, deren aus vorslavischer Zeit
stammende Ueberreste zusammenschmelzen oder durch den steten Contact mit
zahlreichen slavischen Elementen sich in diesen letzteren verflüchtigen. Wohl
kam auch mancher Zuzug von Italien, aus den Ländern der Signoria, welche
darauf bedacht war, die Leitung der Municipien in sicheren Händen zu wissen,
aber dieser Zuzug war mehr der Qualität nach bedeutend. Durch denselben
ward die italienische Sitte in den mittleren und oberen Classen der Bevölkerung
erhalten und erweitert und da sie durch die Cultur in den Städten einen voll¬
kommen italienischen Anstrich bewahrte, und die Slaven durchaus keinen
Gegensatz bieten konnten, so erhielten diese durch lange Zeit gesponnenen
Verbindungen die Neigung zu italienischem Wesen in hohem Grade. Frei¬
lich ging man nicht so weit, diese Neigung auch zu einer politischen zu
machen. Dalmatien hatte erfahren, wie schwer italienische Herrschaft auf
demselben gelastet hatte und es konnte sich nicht einen Augenblick der Täu¬
schung hingeben, daß es jemals eine viel andere Rolle als zur Venetianer-
zeit spielen werde. Auch setzte schon die Eigenthümlichkett des ganzen Hinter¬
landes solchen Gedanken Schranken, die immer nur in den Köpfen unklarer
und von nationalen Tendenzen übermäßig beherrschten Individuen auftauchten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/491>, abgerufen am 22.07.2024.