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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Labyrinth sich nur der kundige Seemann zurecht finden kann. Allwärts Ge¬
stein und hochaufragende Felsen; nirgends eine flache Küste und meist tiefes
Fahrwasser bis an den Rand heran. Es ist ein unendlicher Gegensatz zum
italienischen Gestade drüben im Westen. In wenig gekrümmter, nie unter¬
brochener, von keiner Insel gedeckter Linie läuft die Küste von der Pomün-
dung hinab bis zum Cap von Santa Maria ti Leuca, welches hinausblickt
gegen das jonische Meer und den Weg zur weiten Bucht von Tarento weist.
Diese Bildung bestimmt den maritimen Charakter des Landes, dessen Küsten¬
entwicklung unverhältnißmäßig viel bedeutender ist, als seine Gesammtfläche;
sie übte aber zugleich auch einen erheblichen Einfluß auf die Trennung in eine
Reihe landschaftlicher Gebiete verschiedenen Charakters und hierdurch auf das
Vorwalten einer ausgeprägten landschaftlichen und municipalen Sinnesart.
Da fernerhin die Küste fast durchweg vom Meere ab hoch ansteigt, so scheidet
sich überall dort, wo nicht die See tiefer ins Land hinein sich zieht, die Küste
vom Binnenlands und wir finden auf wenige Meilen Entfernung den Unter¬
schied zwischen einer seemännischen und einer landbebauenden und Viehzucht
treibenden Bevölkerung in ganz entschieden ausgeprägter Weise vorhanden.
Wo der Dalmatiner an der See liegt, dort wird er zum tüchtigen Matrosen.
Von Jugend auf ruht sein Blick auf den wunderbar blauen Fluthen der Adria
und schon als Knabe folgt er gerne dem Vater oder Verwandten ins Fischer¬
boot oder fährt mit ihm die Küste entlang in den kleinen Küstenfahrzeugen,
welche nach Landesart und altem Herkommen gebaut und getakelt sind und
als Trabekole, Pielegi, Brazzerea u. tgi. bezeichnet werden. Größer geworden
sucht er Dienst auf den Schiffen der Handelsmarine, denn es mangelt im
Lande an leichtem Erwerbe und es liegt einmal in der Natur einer solchen
Bevölkerung, daß sie den Drang zur See nicht meistern kann. Wohl ist der
Dienst ein harter, wie kaum ein anderer Zweig, wohl ist der Lohn, welchen
der Seemann sich verdient, nicht groß und fast nicht im Verhältnisse zu den
Mühen und Gefahren, aber er kann nicht anders und müßte wohl auch
Hunger leiden, wenn er am Lande bliebe. So giebt es Gegenden in Dalmatien,
wo man die Leute zählen kann, welche nicht dem Seedienste gewidmet sind.
In solchen Ortschaften kommen die Männer nur vorübergehend heim, um
kurze Zeit der Ruhe unter den Ihren zu genießen; nur die Jungen und die
Greise bleiben seßhaft. In diesem seemännischen Charakter der Bevölkerung
liegt die wesentliche Bedeutung des Landes für Oesterreich. Es ist das große
Reservoir für die Bemannung seiner Flotten und nicht nur auf den Kauf¬
fahrern sieht man den Dalmatiner gerne, weil er seevertraut, willig, aus¬
dauernd und nüchtern ist, auch die Kriegsmarine rechnet ihn zu dem Kerne
ihres lebenden Materiales, und würde schwer seinen Abgang vermissen. Aber
trotzdem liebt der Dalmatiner den Kriegsdienst nicht, keineswegs weil er


Labyrinth sich nur der kundige Seemann zurecht finden kann. Allwärts Ge¬
stein und hochaufragende Felsen; nirgends eine flache Küste und meist tiefes
Fahrwasser bis an den Rand heran. Es ist ein unendlicher Gegensatz zum
italienischen Gestade drüben im Westen. In wenig gekrümmter, nie unter¬
brochener, von keiner Insel gedeckter Linie läuft die Küste von der Pomün-
dung hinab bis zum Cap von Santa Maria ti Leuca, welches hinausblickt
gegen das jonische Meer und den Weg zur weiten Bucht von Tarento weist.
Diese Bildung bestimmt den maritimen Charakter des Landes, dessen Küsten¬
entwicklung unverhältnißmäßig viel bedeutender ist, als seine Gesammtfläche;
sie übte aber zugleich auch einen erheblichen Einfluß auf die Trennung in eine
Reihe landschaftlicher Gebiete verschiedenen Charakters und hierdurch auf das
Vorwalten einer ausgeprägten landschaftlichen und municipalen Sinnesart.
Da fernerhin die Küste fast durchweg vom Meere ab hoch ansteigt, so scheidet
sich überall dort, wo nicht die See tiefer ins Land hinein sich zieht, die Küste
vom Binnenlands und wir finden auf wenige Meilen Entfernung den Unter¬
schied zwischen einer seemännischen und einer landbebauenden und Viehzucht
treibenden Bevölkerung in ganz entschieden ausgeprägter Weise vorhanden.
Wo der Dalmatiner an der See liegt, dort wird er zum tüchtigen Matrosen.
Von Jugend auf ruht sein Blick auf den wunderbar blauen Fluthen der Adria
und schon als Knabe folgt er gerne dem Vater oder Verwandten ins Fischer¬
boot oder fährt mit ihm die Küste entlang in den kleinen Küstenfahrzeugen,
welche nach Landesart und altem Herkommen gebaut und getakelt sind und
als Trabekole, Pielegi, Brazzerea u. tgi. bezeichnet werden. Größer geworden
sucht er Dienst auf den Schiffen der Handelsmarine, denn es mangelt im
Lande an leichtem Erwerbe und es liegt einmal in der Natur einer solchen
Bevölkerung, daß sie den Drang zur See nicht meistern kann. Wohl ist der
Dienst ein harter, wie kaum ein anderer Zweig, wohl ist der Lohn, welchen
der Seemann sich verdient, nicht groß und fast nicht im Verhältnisse zu den
Mühen und Gefahren, aber er kann nicht anders und müßte wohl auch
Hunger leiden, wenn er am Lande bliebe. So giebt es Gegenden in Dalmatien,
wo man die Leute zählen kann, welche nicht dem Seedienste gewidmet sind.
In solchen Ortschaften kommen die Männer nur vorübergehend heim, um
kurze Zeit der Ruhe unter den Ihren zu genießen; nur die Jungen und die
Greise bleiben seßhaft. In diesem seemännischen Charakter der Bevölkerung
liegt die wesentliche Bedeutung des Landes für Oesterreich. Es ist das große
Reservoir für die Bemannung seiner Flotten und nicht nur auf den Kauf¬
fahrern sieht man den Dalmatiner gerne, weil er seevertraut, willig, aus¬
dauernd und nüchtern ist, auch die Kriegsmarine rechnet ihn zu dem Kerne
ihres lebenden Materiales, und würde schwer seinen Abgang vermissen. Aber
trotzdem liebt der Dalmatiner den Kriegsdienst nicht, keineswegs weil er


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[0487] Labyrinth sich nur der kundige Seemann zurecht finden kann. Allwärts Ge¬ stein und hochaufragende Felsen; nirgends eine flache Küste und meist tiefes Fahrwasser bis an den Rand heran. Es ist ein unendlicher Gegensatz zum italienischen Gestade drüben im Westen. In wenig gekrümmter, nie unter¬ brochener, von keiner Insel gedeckter Linie läuft die Küste von der Pomün- dung hinab bis zum Cap von Santa Maria ti Leuca, welches hinausblickt gegen das jonische Meer und den Weg zur weiten Bucht von Tarento weist. Diese Bildung bestimmt den maritimen Charakter des Landes, dessen Küsten¬ entwicklung unverhältnißmäßig viel bedeutender ist, als seine Gesammtfläche; sie übte aber zugleich auch einen erheblichen Einfluß auf die Trennung in eine Reihe landschaftlicher Gebiete verschiedenen Charakters und hierdurch auf das Vorwalten einer ausgeprägten landschaftlichen und municipalen Sinnesart. Da fernerhin die Küste fast durchweg vom Meere ab hoch ansteigt, so scheidet sich überall dort, wo nicht die See tiefer ins Land hinein sich zieht, die Küste vom Binnenlands und wir finden auf wenige Meilen Entfernung den Unter¬ schied zwischen einer seemännischen und einer landbebauenden und Viehzucht treibenden Bevölkerung in ganz entschieden ausgeprägter Weise vorhanden. Wo der Dalmatiner an der See liegt, dort wird er zum tüchtigen Matrosen. Von Jugend auf ruht sein Blick auf den wunderbar blauen Fluthen der Adria und schon als Knabe folgt er gerne dem Vater oder Verwandten ins Fischer¬ boot oder fährt mit ihm die Küste entlang in den kleinen Küstenfahrzeugen, welche nach Landesart und altem Herkommen gebaut und getakelt sind und als Trabekole, Pielegi, Brazzerea u. tgi. bezeichnet werden. Größer geworden sucht er Dienst auf den Schiffen der Handelsmarine, denn es mangelt im Lande an leichtem Erwerbe und es liegt einmal in der Natur einer solchen Bevölkerung, daß sie den Drang zur See nicht meistern kann. Wohl ist der Dienst ein harter, wie kaum ein anderer Zweig, wohl ist der Lohn, welchen der Seemann sich verdient, nicht groß und fast nicht im Verhältnisse zu den Mühen und Gefahren, aber er kann nicht anders und müßte wohl auch Hunger leiden, wenn er am Lande bliebe. So giebt es Gegenden in Dalmatien, wo man die Leute zählen kann, welche nicht dem Seedienste gewidmet sind. In solchen Ortschaften kommen die Männer nur vorübergehend heim, um kurze Zeit der Ruhe unter den Ihren zu genießen; nur die Jungen und die Greise bleiben seßhaft. In diesem seemännischen Charakter der Bevölkerung liegt die wesentliche Bedeutung des Landes für Oesterreich. Es ist das große Reservoir für die Bemannung seiner Flotten und nicht nur auf den Kauf¬ fahrern sieht man den Dalmatiner gerne, weil er seevertraut, willig, aus¬ dauernd und nüchtern ist, auch die Kriegsmarine rechnet ihn zu dem Kerne ihres lebenden Materiales, und würde schwer seinen Abgang vermissen. Aber trotzdem liebt der Dalmatiner den Kriegsdienst nicht, keineswegs weil er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/487>, abgerufen am 22.07.2024.