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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Deutschen an, in die Fußtapfen zu treten, die auf seinen Rath andere Natio¬
nen uns voranschretten. Es mag gut sein, diesen Rath nicht zu befolgen,
und dies ist sogar unsere eigne Ueberzeugung. Aber durch Verkleinerung wird
man den Einfluß der Carey'schen Lehren nicht aus der Welt schaffen, sondern
nur durch eingehende Bekämpfung mit Gründen. -- Den Glanzpunkt der
Verhandlung bildete die Rede des Präsidenten Delbrück, der, wie uns dünkt,
während seiner ganzen Thätigkeit als Präsident des Reichskanzleramts nie¬
mals vortrefflicher gesprochen. Nach dieser Rede konnte man mit gutem Ge¬
wissen für den Fortfall der" Eisenzölle stimmen, auch wer mit der Hinaus¬
schiebung nur einem ungünstigen Moment ausweichen, nicht aber zum Schutz¬
zoll hatte zurückkehren wollen. Das überraschende und unwiderstehliche Argu¬
ment Delbrück's war, daß die Lage der deutschen Eisenindustrie um kein Haar
gebessert werden würde, auch wenn wir die Einfuhr fremder Eisenwaaren sofort
ganz und gar verbieten wollten.

Am 9. Dezember wurde ein Antrag der Fortschrittspartei berathen, der
die Wiederaufnahme der im vorigen Jahr nahezu um dieselbe Zeit angenom¬
menen Resolution Hoverbeck bezweckte. In unserer an politischer und sozialer
Bewegung überreichen Zeit sind wohl manchem Leser die vorjährigen Vor¬
gänge entschwunden. Am 4. Dezember hatte der Abgeordnete Jörg, indem
er das Kullmann'sche Attentat ungefähr als harmlosen Mißgriff eines Unzu¬
rechnungsfähigen bezeichnete, den Reichskanzler zu der bekannten Aeußerung
genöthigt: Der Mörder hängt sich an Ihre Rockschöße. Am 11. Dez. wurde
der Reichstagabgeordnete und Redakteur der Germania, Kaplan Majunke, zur
Verbüßung einer Strafhaft eingezogen, deren Erkenntniß vor dem Beginn der
Retchstagssession bereits rechtskräftig geworden. Daraus brachte am 12. De¬
zember der Abgeordnete Laster einen dringlichen Antrag ein: die Geschäfts¬
ordnungscommission mit schleuniger Berichterstattung zu beauftragen, wie
dieser Fall sich zu dem Z 31 der Reichsverfassung verhalte, der die Reichstags-
mitglieder vor Verhaftung ohne Genehmigung des Reichstags schützt, sofern
es sich um ein noch nicht beendigtes Strafverfahren handelt. Am 16. Dezem¬
ber wurde über den Bericht der Geschäftscommission berathen und eine Reso¬
lution des Abgeordneten Hoverbeck angenommen: die Würde des Reichstags
erfordere eine Abänderung der Verfassung dahinzielend, daß kein Mitglied des
Reichstags ohne des letzteren Genehmigung, aus welchem Grunde immer,
während der Session verhaftet werden könne. Darauf reichte Fürst Bismarck
seine Entlassung ein. Das Entlassungsgesuch wurde zurückgenommen, als am
18. Dezember bei Gelegenheit der geheimen Ausgaben des auswärtigen Amtes
Herr v. Bennigsen ein Vertrauensvotum für den Reichskanzler herbeiführte,
welches jedoch die Fortschrittspartei, obwohl für die Bewilligung der geheimen
Ausgaben stimmend, nicht zu theilen erklärte.


Deutschen an, in die Fußtapfen zu treten, die auf seinen Rath andere Natio¬
nen uns voranschretten. Es mag gut sein, diesen Rath nicht zu befolgen,
und dies ist sogar unsere eigne Ueberzeugung. Aber durch Verkleinerung wird
man den Einfluß der Carey'schen Lehren nicht aus der Welt schaffen, sondern
nur durch eingehende Bekämpfung mit Gründen. — Den Glanzpunkt der
Verhandlung bildete die Rede des Präsidenten Delbrück, der, wie uns dünkt,
während seiner ganzen Thätigkeit als Präsident des Reichskanzleramts nie¬
mals vortrefflicher gesprochen. Nach dieser Rede konnte man mit gutem Ge¬
wissen für den Fortfall der" Eisenzölle stimmen, auch wer mit der Hinaus¬
schiebung nur einem ungünstigen Moment ausweichen, nicht aber zum Schutz¬
zoll hatte zurückkehren wollen. Das überraschende und unwiderstehliche Argu¬
ment Delbrück's war, daß die Lage der deutschen Eisenindustrie um kein Haar
gebessert werden würde, auch wenn wir die Einfuhr fremder Eisenwaaren sofort
ganz und gar verbieten wollten.

Am 9. Dezember wurde ein Antrag der Fortschrittspartei berathen, der
die Wiederaufnahme der im vorigen Jahr nahezu um dieselbe Zeit angenom¬
menen Resolution Hoverbeck bezweckte. In unserer an politischer und sozialer
Bewegung überreichen Zeit sind wohl manchem Leser die vorjährigen Vor¬
gänge entschwunden. Am 4. Dezember hatte der Abgeordnete Jörg, indem
er das Kullmann'sche Attentat ungefähr als harmlosen Mißgriff eines Unzu¬
rechnungsfähigen bezeichnete, den Reichskanzler zu der bekannten Aeußerung
genöthigt: Der Mörder hängt sich an Ihre Rockschöße. Am 11. Dez. wurde
der Reichstagabgeordnete und Redakteur der Germania, Kaplan Majunke, zur
Verbüßung einer Strafhaft eingezogen, deren Erkenntniß vor dem Beginn der
Retchstagssession bereits rechtskräftig geworden. Daraus brachte am 12. De¬
zember der Abgeordnete Laster einen dringlichen Antrag ein: die Geschäfts¬
ordnungscommission mit schleuniger Berichterstattung zu beauftragen, wie
dieser Fall sich zu dem Z 31 der Reichsverfassung verhalte, der die Reichstags-
mitglieder vor Verhaftung ohne Genehmigung des Reichstags schützt, sofern
es sich um ein noch nicht beendigtes Strafverfahren handelt. Am 16. Dezem¬
ber wurde über den Bericht der Geschäftscommission berathen und eine Reso¬
lution des Abgeordneten Hoverbeck angenommen: die Würde des Reichstags
erfordere eine Abänderung der Verfassung dahinzielend, daß kein Mitglied des
Reichstags ohne des letzteren Genehmigung, aus welchem Grunde immer,
während der Session verhaftet werden könne. Darauf reichte Fürst Bismarck
seine Entlassung ein. Das Entlassungsgesuch wurde zurückgenommen, als am
18. Dezember bei Gelegenheit der geheimen Ausgaben des auswärtigen Amtes
Herr v. Bennigsen ein Vertrauensvotum für den Reichskanzler herbeiführte,
welches jedoch die Fortschrittspartei, obwohl für die Bewilligung der geheimen
Ausgaben stimmend, nicht zu theilen erklärte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/480>, abgerufen am 22.07.2024.