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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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größten Theil in der Verschiedenheit der materiellen Verhältnisse begründet,
in der wesentlich größeren Bedeutung, welche bei unsern Nachbarn die Haupt¬
stadt für das ganze Land hat, in dem größeren Reichthum Frankreichs und
vor Allem in demjenigen der Pariser Bevölkerung selbst. In einer von dem
leider so früh verstorbenen Director des statistischen Bureaus der Stadt
Berlin, Schwabe, aufgestellten vergleichenden Tabelle der Bevölkerung
einer Anzahl größerer Städte nach den verschiedenen Lebensaltern springt in
die Augen, daß in Berlin der Procentsatz der Zwanzig- bis Dreißigjährigen
in Vergleich zu Paris bedeutend überwiegt, während in Paris die späteren
Altersklassen verhältnißmäßig weit zahlreicher vertreten sind, als in Berlin.
Diese Thatsache besagt nichts Anderes, als daß in Berlin sich ein beträchtlich
größerer Bruchtheil der Bevölkerung lediglich zum Zwecke des arbeitenden
Erwerbes in der Hauptstadt aufhält, als in Paris, wo in erheblich stärkerem
Maße jene Altersklassen vertreten sind, welche bereits von den Zinsen des Er¬
worbenen zu leben, also auch wohlhabender zu sein pflegen. Außer all diesen
Verhältnissen liegen die Vorzüge von Paris als Weltstadt aber auch in dem
eigenthümlichen Wesen seiner Bevölkerung begründet. Gegen Factoren von
so schwerwiegender Bedeutung ist nicht anzukommen und man kann dreist be¬
haupten, daß Berlin niemals werden wird, was Paris ist. Wie schon
gesagt aber dem jungen deutschen Reiche wird das nicht zum Schaden gerei¬
chen. Wenn Frankreich -- was freilich schon an sich ein undenkbarer Ge¬
danke ist -- sein Paris nicht besäße, so müßte dasselbe eigens geschaffen
werden. Seit Jahrhunderten dreht sich das öffentliche Leben unserer Nachbarn
um die nationale Moire; ein solches Volk bedarf einer glänzenden Capitale
als der Verkörperung seiner Herrlichkeit. Daher die kolossalen Summen, welche
das Land an die Hauptstadt verschwendet: Paris ist nicht eine sich selbst
verwaltende Commune, sondern das Paradepferd des ganzen Landes. Dem
deutschen Volke ist ein derartiges Bedürfniß fremd, und ich denke, auch der
für das Selfgovernment begeisterte Berliner Bürger wird sich neidlos mit
der bescheidenen Rolle seiner Heimathstadt begnügen, sobald er erwägt, um
welchen Preis die Cäsarenstadt an der Seine -- denn das war sie und wird
sie wieder werden -- ihren Glanz erkauft hat. Daß man aber trotzdem im
Einzelnen an der Spree gar viel des Guten von Paris lernen könnte, geht
aus dem oben Gesagten zur Genüge hervor.




größten Theil in der Verschiedenheit der materiellen Verhältnisse begründet,
in der wesentlich größeren Bedeutung, welche bei unsern Nachbarn die Haupt¬
stadt für das ganze Land hat, in dem größeren Reichthum Frankreichs und
vor Allem in demjenigen der Pariser Bevölkerung selbst. In einer von dem
leider so früh verstorbenen Director des statistischen Bureaus der Stadt
Berlin, Schwabe, aufgestellten vergleichenden Tabelle der Bevölkerung
einer Anzahl größerer Städte nach den verschiedenen Lebensaltern springt in
die Augen, daß in Berlin der Procentsatz der Zwanzig- bis Dreißigjährigen
in Vergleich zu Paris bedeutend überwiegt, während in Paris die späteren
Altersklassen verhältnißmäßig weit zahlreicher vertreten sind, als in Berlin.
Diese Thatsache besagt nichts Anderes, als daß in Berlin sich ein beträchtlich
größerer Bruchtheil der Bevölkerung lediglich zum Zwecke des arbeitenden
Erwerbes in der Hauptstadt aufhält, als in Paris, wo in erheblich stärkerem
Maße jene Altersklassen vertreten sind, welche bereits von den Zinsen des Er¬
worbenen zu leben, also auch wohlhabender zu sein pflegen. Außer all diesen
Verhältnissen liegen die Vorzüge von Paris als Weltstadt aber auch in dem
eigenthümlichen Wesen seiner Bevölkerung begründet. Gegen Factoren von
so schwerwiegender Bedeutung ist nicht anzukommen und man kann dreist be¬
haupten, daß Berlin niemals werden wird, was Paris ist. Wie schon
gesagt aber dem jungen deutschen Reiche wird das nicht zum Schaden gerei¬
chen. Wenn Frankreich — was freilich schon an sich ein undenkbarer Ge¬
danke ist — sein Paris nicht besäße, so müßte dasselbe eigens geschaffen
werden. Seit Jahrhunderten dreht sich das öffentliche Leben unserer Nachbarn
um die nationale Moire; ein solches Volk bedarf einer glänzenden Capitale
als der Verkörperung seiner Herrlichkeit. Daher die kolossalen Summen, welche
das Land an die Hauptstadt verschwendet: Paris ist nicht eine sich selbst
verwaltende Commune, sondern das Paradepferd des ganzen Landes. Dem
deutschen Volke ist ein derartiges Bedürfniß fremd, und ich denke, auch der
für das Selfgovernment begeisterte Berliner Bürger wird sich neidlos mit
der bescheidenen Rolle seiner Heimathstadt begnügen, sobald er erwägt, um
welchen Preis die Cäsarenstadt an der Seine — denn das war sie und wird
sie wieder werden — ihren Glanz erkauft hat. Daß man aber trotzdem im
Einzelnen an der Spree gar viel des Guten von Paris lernen könnte, geht
aus dem oben Gesagten zur Genüge hervor.




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[0478] größten Theil in der Verschiedenheit der materiellen Verhältnisse begründet, in der wesentlich größeren Bedeutung, welche bei unsern Nachbarn die Haupt¬ stadt für das ganze Land hat, in dem größeren Reichthum Frankreichs und vor Allem in demjenigen der Pariser Bevölkerung selbst. In einer von dem leider so früh verstorbenen Director des statistischen Bureaus der Stadt Berlin, Schwabe, aufgestellten vergleichenden Tabelle der Bevölkerung einer Anzahl größerer Städte nach den verschiedenen Lebensaltern springt in die Augen, daß in Berlin der Procentsatz der Zwanzig- bis Dreißigjährigen in Vergleich zu Paris bedeutend überwiegt, während in Paris die späteren Altersklassen verhältnißmäßig weit zahlreicher vertreten sind, als in Berlin. Diese Thatsache besagt nichts Anderes, als daß in Berlin sich ein beträchtlich größerer Bruchtheil der Bevölkerung lediglich zum Zwecke des arbeitenden Erwerbes in der Hauptstadt aufhält, als in Paris, wo in erheblich stärkerem Maße jene Altersklassen vertreten sind, welche bereits von den Zinsen des Er¬ worbenen zu leben, also auch wohlhabender zu sein pflegen. Außer all diesen Verhältnissen liegen die Vorzüge von Paris als Weltstadt aber auch in dem eigenthümlichen Wesen seiner Bevölkerung begründet. Gegen Factoren von so schwerwiegender Bedeutung ist nicht anzukommen und man kann dreist be¬ haupten, daß Berlin niemals werden wird, was Paris ist. Wie schon gesagt aber dem jungen deutschen Reiche wird das nicht zum Schaden gerei¬ chen. Wenn Frankreich — was freilich schon an sich ein undenkbarer Ge¬ danke ist — sein Paris nicht besäße, so müßte dasselbe eigens geschaffen werden. Seit Jahrhunderten dreht sich das öffentliche Leben unserer Nachbarn um die nationale Moire; ein solches Volk bedarf einer glänzenden Capitale als der Verkörperung seiner Herrlichkeit. Daher die kolossalen Summen, welche das Land an die Hauptstadt verschwendet: Paris ist nicht eine sich selbst verwaltende Commune, sondern das Paradepferd des ganzen Landes. Dem deutschen Volke ist ein derartiges Bedürfniß fremd, und ich denke, auch der für das Selfgovernment begeisterte Berliner Bürger wird sich neidlos mit der bescheidenen Rolle seiner Heimathstadt begnügen, sobald er erwägt, um welchen Preis die Cäsarenstadt an der Seine — denn das war sie und wird sie wieder werden — ihren Glanz erkauft hat. Daß man aber trotzdem im Einzelnen an der Spree gar viel des Guten von Paris lernen könnte, geht aus dem oben Gesagten zur Genüge hervor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/478>, abgerufen am 22.07.2024.